16. September 2015

Kommunen stärken – Beteiligung sichern – Umwelt und Klima schützen

Ökologie und Ökonomie in der bayerischen Landesentwicklung

Positionspaper der Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Bayerischen Landtag; beschlossen auf der Herbstklausur in Kempten am 16. September 2015

Wir schaffen gemeinsam ein lebenswertes Bayern

Die bayerische Kulturlandschaft, so wie wir sie heute erleben, ist das Ergebnis einer viele Jahrzehnte und mancherorts sogar Jahrhunderte langen Entwicklung. Dörfliche Strukturen und städtische Regionen haben sich in diesen Zeiträumen in verschiedene Richtungen entwickelt, um unterschiedliche Interessen zu befriedigen. Heute stehen wir vor der Aufgabe, traditionelle und gesund gewachsene Strukturen zu bewahren, Fehlentwicklungen entgegen zu wirken und Antworten auf die Bedrohungen und Herausforderungen zu finden, die durch den voranschreitenden Klimawandel, den verschwenderischen Verbrauch endlicher Ressourcen, die zunehmende Umweltzerstörung und den demografischen Wandel ausgelöst werden.

Unser Ziel ist ein lebendiges Bayern mit attraktiven und liebenswerten Dörfern, mit leistungsstarken und kulturell vielfältigen Städten, Metropolregionen als Standorte der regionalen Kooperation und schließlich einer Landschaft, die neben Landwirtschaft und Erholungsmöglichkeiten auch viel Raum für die Entwicklung qualitätsvoller Ökosysteme bietet.

Eine Landesplanung, die in die Zukunft blickt

Zahlreiche Fachverbände und wissenschaftliche Institutionen haben den Instrumentenkasten zum Erreichen dieser Ziele in der Vergangenheit prall gefüllt. Bisher wurde er aber von den politisch Verantwortlichen nicht oder bewusst falsch eingesetzt.

Bestes Beispiel ist das stetige Ausdünnen von verbindlichen Zielen im Landesentwicklungsprogramms (LEP) – dem Herzstück der Landesplanung in Bayern. Hier müssen wir ansetzen und die einseitige Ausrichtung auf ein rücksichtsloses und instabiles Wirtschaftswachstum beenden. Das LEP kann bei verantwortungsbewusster Ausgestaltung den Anspruch eines ganzheitlichen landesplanerischen Gesamtkonzeptes mit ökologischer Schwerpunktsetzung in allen Bereichen erfüllen. Es muss die Planungsträger stärken und gleichzeitig für klare Rahmenbedingungen sorgen, anstatt die Kommunen in einen gegenseitigen Unterbietungswettbewerb zu drängen.

Die Träger der Regionalplanung sind in ihrer Rolle als Organisatoren der Regionalentwicklung zu stärken. Demokratisch legitimiert und mit mehr Kompetenzen und Mitteln ausgestattet sollen sie dafür sorgen, dass die Entwicklung in den Kommunen nachhaltig, klimafreundlich, flächen- und umweltschonend erfolgt. In diesem Sinne wollen wir die defensive Grundhaltung des heute gültigen LEP durchbrechen und eine nachhaltige Raumordnung, die auch die sektoralen Fachplanungen und fachrechtlicher Regelungen einschließt, ermöglichen.

Zusätzlich sollen im LEP Verfahren für eine Erfolgskontrolle der verschiedenen Zielsetzungen eingeführt werden. Dazu gehört ein fundiertes Monitoring ebenso wie ein verlässliches Controlling, damit wir auf die kommenden und zum Teil bereits eingetretenen Herausforderungen unserer Zeit vernünftig reagieren können.

Blickt man weiter, benötigen wir auch dringend eine Reform des Zentrale-Orte- Systems und einen Neuzuschnitt der Planungsregionen. Das Gesicht Bayerns hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich geändert. Tiefgreifende Entwicklungen in der Vergangenheit und neue Herausforderungen in der Zukunft erfordern eine Neuordnung, die es jeder Kommune erlaubt, sich auf die Aufgaben gemäß ihrer Leistungsfähigkeit zu konzentrieren. Passt man den Zuschnitt der Regionen außerdem den realen Verflechtungsräumen an, können Kooperationen gestärkt und Doppelstrukturen vermieden werden.

Wachstum im Ortskern und in der Stadt

Mit einer Strategie zur Innenentwicklung wollen wir weitere Versiegelung im besten Fall vermeiden, zumindest aber minimieren. Dazu wollen wir alle Kommunen beim Aufbau eines Flächenressourcen-Managements finanziell unterstützen. Durch ein solches Management sollen alle Baulücken, Brach- und Freiflächen einer Kommune erfasst und – auch auf die ökologische Qualität hin – beurteilt werden. Laut Umweltbundesamt beläuft sich die Gesamtfläche solcher Brachen deutschlandweit auf 100.000 ha – Platz genug für eine nachhaltige Entwicklung!

Ergänzend zum Flächenmanagement soll eine ernstzunehmende Nachweispflicht fehlender Innenentwicklungspotenziale und eine Folgekostenkalkulation bei der Ausweisung neuer Bau- und insbesondere Gewerbegebiete eingeführt werden. Dabei muss auch die demografische Entwicklung berücksichtigt werden. Gleichzeitig sollen Kommunen zu einer interkommunalen Zusammenarbeit angehalten werden mit dem Ziel, den Flächenverbrauch zu reduzieren. Ist die Ausweisung neuer Bau- und Gewerbegebiete dennoch geboten, muss ein klares Anbindegebot gelten. Die geplante Lockerung des Anbindegebots führt zu einem Anheizen des Wettbewerbs um Gewerbeansiedlungen, einem weiteren Anstieg des Flächenverbrauchs und einer weiteren Zersiedelung.

Zusätzlich sollen Kommunen künftig ihre Möglichkeiten, deutlichere Vorgaben zu energieeffizienter und ressourcenschonender Nutzung der ausgewiesenen Flächen mittels Bauleitplanung oder städtebaulicher Verträge. Dafür sind im LEP entsprechende und eindeutig messbare Ziele festzusetzen.

Zusammenarbeit und Zusammenhalt in einer aktiven Gesellschaft

Wir fordern eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Träger der Regionalplanung. Wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, regionale Konzepte etwa in den Bereichen Energie, Umwelt- und Ressourcenschutz zu erstellen. Im Landesplanungsgesetz sollen die Kompetenzen hierfür geschaffen werden.

Durch die Schaffung von zusätzlichen Stellen für RegionalmanagerInnen und FachmitarbeiterInnen in den Regionalen Planungsverbänden soll zukünftig die interkommunale Zusammenarbeit gestärkt werden, um das Konkurrenzdenken bei der Siedlungsentwicklung zu überwinden und Synergien freizusetzen.

Regionalkonferenzen der Regionalen Planungsverbände sollen obligatorisch und in regelmäßigen Intervallen eingeführt werden. Dadurch wird den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben, an der Entwicklung der eigenen Region mitzuwirken.

Zusätzlich sollen für konkrete Vorhaben, welche die räumliche Entwicklung und Funktion eines größeren Gebietes maßgeblich beeinflussen, bürgerschaftliche Planungszellen etabliert werden, deren Mitglieder von den Regionalen Planungsverbänden nach Zufall und auf freiwilliger Basis aus der Bevölkerung ausgewählt werden. Diese Personen werden für einen vertretbaren Zeitraum freigestellt und werden damit beauftragt, in Begleitung von Expertinnen und Experten ein Bürger-Gutachten zu erstellen. Durch dieses Instrument können die üblichen Probleme der Bürgerbeteiligung – geringe Resonanz bei gleichzeitiger Dominanz bestimmter Bevölkerungsgruppen – umgangen werden.

Ein wertvolles Gut: Unser Boden

Mit diesen Zielsetzungen und Maßnahmen können wir es schaffen, den Flächenverbrauch für Siedlungs- und Verkehrsflächen bis 2020 auf durchschnittlich 6 ha pro Tag zu begrenzen und bis 2025 ein „Netto-Null-Ziel“ zu erreichen. Diese Ziele wollen wir im Landesplanungsgesetz rechtlich verankern. Wie wichtig das ist, zeigen folgende Zahlen: Heute liegt der Flächenverbrauch in Bayern bei annähernd 20 ha pro Tag – das sind fast 30 Fußballfelder oder aufs Jahr gerechnet eine Fläche in der Größenordnung des Chiemsees.

Versiegelung und Zersiedelung sind der Grund für weite Wege und gerade auf dem Land Ursache für einen steigenden CO2-Ausstoß durch immer mehr motorisierten Individualverkehr. Versiegelung entlang von Flüssen und Bächen verschärfen ebenso die Gefahren durch Hochwasser. Auch der Landwirtschaft wird immer mehr wertvoller Boden entzogen. Selbst in Städten verschwinden zusehends die letzten Grünflächen. Trotzdem spielt die Bedeutung des Bodenschutzes bei den Menschen vor Ort noch keine gebührende Rolle. Durch eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit der Träger der Regionalplanung kann dieser Zustand beendet werden. Die Möglichkeit zu einem breiteren öffentlichen Auftreten muss durch das Landesplanungsgesetz geschaffen werden und ist aus dem Staatshaushalt mit zu finanzieren.

Außerhalb von Siedlungsgebieten sollen die Träger der Regionalplanung künftig Vorranggebiete zum Schutz der Kulturlandschaft, zum Schutz landwirtschaftlich wertvoller Böden sowie für Ruhezonen als Rückzugsraum für bedrohte Arten festlegen können.

Ein mutiges Landesentwicklungsprogramm zum Schutz unserer Lebensgrundlagen

Mit einer Gesamtfortschreibung des LEP wollen wir die bestehenden Lücken hinsichtlich des demographischen Wandels, den Herausforderungen des Klimawandels oder aber der künftigen Mobilität schließen. Wir wollen die Chance ergreifen, der Landes- und Regionalplanung zu neuer Stärke zu verhelfen. Mit der Suche nach den besten Lösungen vor Ort im Zusammenspiel mit ökologisch und ökonomisch sinnvollen und klar formulierten Rahmenbedingungen schaffen wir es, die Kommunen zu stärken und vor einem ruinösen Wettbewerb um Gewerbeansiedlungen und Baugebiete zu bewahren, das Ziel „Klimaschutz durch kurze Wege“ zu erreichen und unser Land lebens- und liebenswerter zu machen.