Bayern gibt es nur einmal
Wie wir die Betonflut eindämmen
Man kennt den Effekt bei Kindern, die man nur von Zeit zu Zeit sieht. „Mensch, du bist aber groß geworden“, denkt man und sagt es manchmal auch. Vielen von uns geht es mit ihren Geburts- und Heimatorten ebenso, wenn man dort nicht mehr wohnt und sie nur gelegentlich besucht. Und dann feststellt: Es gibt wieder ein neues Gewerbegebiet. Einen neuen Baumarkt oder einen Aldi vor der Toren der Stadt. Eine neue Umgehungsstraße. Aber die Metzgerei im Ortszentrum hat zugemacht und den Schuhladen gibt es auch nicht mehr. Stattdessen einen Ein-Euro-Shop.
Wenn Kinder größer werden, ist das der Lauf der Dinge und gut so. Dass unser Land seinen Charakter verliert, ist weder gut noch unabänderlich. Seit Jahren wälzt sich eine Betonflut über Bayern und begräbt Wiesen, Wälder und Felder unter sich. Jeden Tag werden 13 ha Fläche verbraucht. Das entspricht pro Jahr etwa der Fläche des Ammersees. Seit der Jahrtausendwende ist eine Fläche so groß wie München, Nürnberg, Augsburg, Regensburg und Fürth unter Asphalt und Beton verschwunden.
Es rückt immer mehr ins Bewusstsein, welche negativen Folgen diese Entwicklung hat. Wir vernichten wichtige Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Die rote Liste der bedrohten Arten wird immer länger. Besonders bedrohlich ist der Schwund bei Insekten, insbesondere bei den Bienen. Das werden wir über kurz oder lang merken, wenn die Erträge in der Landwirtschaft sinken: Ohne Insekten keine Bestäubung der Pflanzen, ohne Bestäubung kein Ertrag. Der Flächenverbrauch ist nicht die Hauptursache für den Artenschwund; aber er ist ein Baustein.
Je mehr Fläche bebaut oder verdichtet wird, umso größer ist die Hochwassergefahr. Während auf naturnahen Wiesen und Wäldern das Regenwasser erst einmal versickert und erst nach und nach in den Bächen und Flüssen landet, sammelt es sich auf bebauten Flächen blitzartig und kann in wenigen Stunden harmlose Bäche zu reißenden Flüssen machen. Gleichzeitig gibt es durch die Klimaüberhitzung zunehmend lokalen Starkregen. Welches Ausmaß lokale Überschwemmungen annehmen können, zeigte sich am Beispiel Simbach im Jahr 2016. Innerhalb weniger Stunden wurde der Ort verwüstet.
Über Jahrhunderte gewachsene Orte leiden ebenfalls unten den Folgen des Flächenverbrauchs. Bei ihnen zeigt sich der „Donut-Effekt“: Die Ränder wachsen und der Kern wird leer. Erst kommt eine neue Umgehungsstraße. Dort entsteht ein Einkaufszentrum mit den immer gleichen Lebensmittelläden, Drogeriemärkten, Getränke- und Textilmärkten, selbstverständlich mit einem großen Parkplatz vor der Tür. Die alteingesessenen Geschäfte in den weniger autofreundlichen Innenstädten halten der Konkurrenz nicht mehr stand und müssen aufgeben. Die Ortszentren bluten aus, wer ohne Auto etwas einkaufen möchte, hat das Nachsehen. Gerade viele ältere Menschen, die keinen Führerschein besitzen oder Menschen, die sich kein Auto leisten können. Mehr Lärm und mehr Abgase sind das Ergebnis der geänderten Siedlungsstruktur.
Mindestens 11.000 Hektar Gewerbefläche stehen Bayern leer. Und dennoch werden immer weitere Gebiete ausgewiesen in der meistens vergeblichen Hoffnung auf neue Unternehmen. Die landwirtschaftlichen Flächen schrumpfen dagegen immer mehr – wo bebaut ist, kann nichts mehr angebaut werden.
Einmal bebautes Land lässt sich nicht mehr so ohne weiteres in eine natürliche oder naturnahe Fläche zurückverwandeln. Unser Boden und die Landesfläche sind begrenzt, Fehlentwicklungen lassen sich kaum mehr korrigieren. Deshalb ist es Zeit, jetzt einen Damm gegen die Betonflut zu bauen. Wir müssen sparsam und intelligent mit dem Boden umgehen. Warum muss ein neuer Baumarkt ebenerdig mit einem riesigen, ebenerdigen Parkplatz gebaut werden? Baut man ihn mit zwei Stockwerken und einer Tiefgarage, reicht ein Drittel der ursprünglichen Fläche. Das ist nur ein Beispiel, wie mit sehr einfachen Maßnahmen der Flächenverbrauch deutlich reduziert werden kann. Auf Freiwilligkeit beim Flächensparen brauchen wir jedoch nicht zu hoffen. Seit fast 15 Jahren gibt es nun das „Bündnis für Flächensparen“, das auf Appelle und Aufklärung setzt – leider ohne jeden Erfolg.
Die Grüne Landtagsfraktion hat deshalb eine verbindliche Höchstgrenze für den Flächenverbrauch vorgeschlagen. Im Bayerischen Landesplanungsgesetz wird rechtlich geregelt, dass pro Tag in Bayern höchstens fünf Hektar in Siedlungs- und Verkehrsfläche umgewandelt werden dürfen. Das ist etwas mehr als ein Drittel des bisherigen Wertes; außerdem entsprechen die fünf Hektar dem Anteil, der Bayern laut der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung zusteht. Wir glauben, dass nur eine verbindliche Grenze wirkt. Auch mit fünf Hektar am Tag bleibt genug Raum für wirtschaftliche Entwicklung. Es bleibt genug Raum für Wohnungsbau. Würde man die Hälfte der fünf Hektar für den Bau von Wohnungen nutzen, könnte man darauf weit über 100.000 Wohnungen errichten. Derzeit ist es weniger als die Hälfte. Flächen, die bereits bebaut waren – etwa leerstehende Industrieflächen – werden nicht angerechnet und bieten zusätzlichen Spielraum.
Die Zeit drängt. Denn von alleine wird es keine Trendumkehr geben. Im Gegenteil, es ist wahrscheinlich, dass künftig noch deutlich mehr Fläche verbaut wird. Zum einen hat der Bundestag auf Drängen der CSU und mit den Stimmen der großen Koalition beschlossen, das Bauen an den Ortsrändern zu erleichtern. Das wird die Betonflut ebenso weiter anschwellen lassen wie die aktuell im Landtag diskutierte Aufweichung des Anbindegebots. Hinter dem harmlos klingenden Begriff steckt das Vorhaben von Markus Söder, das Bauen außerhalb der Ortschaften deutlich leichter zu machen – was dann wohl zu noch mehr Discountern, Gewerbegebieten und Logistikzentren führen dürfte.
Unser Gesetzentwurf mit der Höchstgrenze kam deshalb genau zum richtigen Zeitpunkt. Man verrät allerdings kein Geheimnis, wenn man sagt, dass er wohl im Landtag keine Mehrheit finden wird. Die CSU wird ihn nicht unterstützen, aber auch von der SPD und den Freien Wählern ist keine Zustimmung zu erwarten. Deshalb haben wir zusammen mit Verbündeten ein Volksbegehren auf den Weg gebracht. Die Bayerische Verfassung eröffnet die Möglichkeit, Gesetze nicht nur im Parlament, sondern auch auf dem Weg der Volksgesetzgebung zu verabschieden. Die Hürden dafür sind hoch, deshalb will dieser Schritt gut überlegt und gut geplant sein. Sollte sich ein Bündnis dafür finden, müssen wir im ersten Schritt 25.000 Unterschriften für unseren Gesetzentwurf sammeln – eine vergleichsweise niedrige Hürde. Erst im zweiten Schritt wird es schwierig, wenn sich binnen 14 Tagen zehn Prozent der bayerischen Wahlberechtigen in ihrem Rathaus eintragen müssen. In absoluten Zahlen sind das fast eine Million Menschen. Die Hürde ist sehr hoch. Aber sie ist auch überwindbar, wie wir in den vergangenen Jahren immer wieder gesehen haben. Und schließlich gilt auch hier: Wir können mit Bayern nicht umgehen als hätten wir ein zweites in der Tasche.