Unsere Heimat schützen – Flächenfraß stoppen!
Arbeitspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag
Beschlossen auf der Winterklausur in Rothenburg o.d. Tauber, 11.-13.01.2017
Zusammenfassung
Ausufernder Flächenfraß in Bayern bedroht unsere Natur, unsere gewachsenen Kulturlandschaften und unsere Landwirtschaft. Umgehungsstraßen, Erschließungsstraßen, Hotelburgen oder Discounter verdrängen Wälder, Wiesen und Felder. Gleichzeitig veröden die Ortskerne im ländlichen Raum, Brachflächen und Leerstände bleiben ungenutzt. Bayernweit verschwinden pro Tag mehr als 18 Fußballfelder in der Größe der Münchner Allianz-Arena unter einer Asphalt- und Betonlawine. Durch eine Änderung des Berechnungssystems wurde der Wert zwar zwischenzeitlich verringert – der reale Flächenfraß setzt sich aber fort. Die Auswirkungen und Gefahren für Menschen, Tiere und Pflanzen sind massiv: Die Versiegelung verstärkt Hochwasserereignisse, neue Straßen zerschneiden Lebensräume, die Beanspruchung immer weiterer Flächen dezimiert die Artenvielfalt und schädigt die Bodenfunktionen. Lebensqualität und touristische Attraktivität sinken aufgrund von Zersiedelung und Naturzerstörung.
Wir Grüne wollen den Flächenverbrauch ohne Maß und Ziel mithilfe eines umfassenden Maßnahmenpakets eindämmen. Das geht nur mit einer verbindlichen Landesplanung. Als ersten Schritt wollen wir im Landesplanungsgesetz eine Obergrenze für den Flächenfraß verankern. Als zentrales Instrument soll ein System handelbarer Flächenzertifikate einen fairen Ausgleich des Flächenverbrauchs zwischen Stadt und Land schaffen. Mittelfristig sollen in einem zweiten Schritt keine weiteren Flächen mehr verbraucht werden. Durch das Renaturieren oder Umwidmen bereits in Anspruch genommener Flächen soll eine Kreislaufwirtschaft entstehen.
Wohnbau und Gewerbe sollen sich weiter entfalten dürfen – aber möglichst innen, nicht außen. Die Lebensgrundlage Boden und die Basis für Bayerns Schönheit und Wohlstand – unsere Natur und unsere Landschaft – wollen wir bewahren, bevor sie unwiederbringlich verloren gehen. Mit einer konsequenten Innenentwicklungs-Strategie der Kommunen, intelligentem Flächenmanagement, flächenschonender Gewerbeentwicklung durch interkommunale Kooperationen und weiteren Maßnahmen erhalten wir beides: Ein lebenswertes Bayern mit reizvoller Natur und lebhaften Orten sowie ein prosperierendes Bayern mit starker Wirtschaft.
I. ZIELE
Wir Grüne stehen für verantwortungsvollen Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen. Der anhaltende Flächenfraß ist mit Blick auf künftige Generationen unverantwortlich. Der Boden ist elementarer Bestandteil unserer Lebensgrundlagen. Flächendeckende Zerstörung unserer Heimat durch Versiegelung, Zersiedelung und Naturverlust bedroht diese Lebensgrundlage. Durch eine Einschränkung des Flächenfraßes wollen wir einerseits die Ressource Boden schützen und zudem das bayerische Landschaftsbild aus Naturschönheiten, jahrhundertelang gewachsenen Kulturlandschaften und landwirtschaftlichen Flächen bewahren, das Bayern für seine Bürger*innen lebenswert und für Tourist*innen reizvoll macht.
Deshalb wollen wir folgende Ziele verankern:
1. Kurzfristige Zielsetzung: Obergrenze für den Flächenverbrauch bei 4,7 Hektar/Tag
2. Mittelfristige Zielsetzung: Kein weiterer Flächenverbrauch (Netto-Null-Ziel)
1. Kurzfristig: Nicht mehr als 4,7 Hektar pro Tag
Wir Grüne betrachten eine Landesentwicklung mit Rücksicht auf Natur und Landschaft als originäre Staatsaufgabe. Dazu brauchen wir eine Landesplanung, die in die Zukunft blickt. Das Landesentwicklungsprogramm (LEP) und das Landesplanungsgesetz sind dafür geschaffen, übergeordnete und verbindliche Vorgaben und Ziele im Sinne des Allgemeinwohls festzulegen.
Deshalb wollen wir über das Landesplanungsgesetz den Flächenverbrauch auf höchstens 4,7 ha am Tag begrenzen. Die Bundesregierung will mithilfe der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie den Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 ha pro Tag verringern. Die 4,7 ha entsprechen dabei dem bayerischen Anteil.
(Anm.: Die Berechnung der Kontingentierung erfolgte anhand der Parameter a) Ausgangswert der Flächeninanspruchnahme für Siedlungen und Verkehr im Zeitraum von 2001 bis 2004, b) Anzahl der Einwohner im Jahr 2007 sowie c) voraussichtliche Anzahl der Einwohner im Jahr 2020 (Prognose der Statistischen Bundes- und Landesämter). Vgl. Umweltbundesamt (Kommission Bodenschutz) 2009: Flächenverbrauch einschränken – jetzt handeln; S. 11)
Mittelfristig gehen diese Ziele nicht weit genug, in Zukunft werden wir die zusätzliche Versiegelung von Natur und Landschaft noch weiter zurückfahren müssen.
2. Mittelfristig: Keine weitere Netto-Zunahme des Flächenverbrauchs
Mittelfristig sollen keine weiteren Flächen mehr verbraucht werden. Falls doch, muss dies mit der Renaturierung bereits beanspruchter Flächen kompensiert werden. Entsprechend der Forderung des Rats für Nachhaltige Entwicklung, des Sachverständigenrats für Umweltfragen sowie des BUND Deutschland wollen wir die Inanspruchnahme neuer Flächen spätestens zum Jahr 2030 auf null reduzieren (Netto-Null-Ziel). Um kurzfristig den Flächenverbrauch zu begrenzen und ihn mittelfristig zu stoppen brauchen wir schnellstmöglich effektive Maßnahmen (siehe III. Maßnahmen).
II. AUSGANGSLAGE
1. Auswirkungen
Der ausufernde Flächenfraß bedroht die Natur und die gewachsenen Kulturlandschaften Bayerns. Die Folgen sind verheerend: Zukünftig werden in Bayern große Niederschlagsmengen in kurzer Zeit infolge der Klimaüberhitzung immer häufiger vorkommen. Durch die zunehmende Versiegelung kann das Regenwasser nicht mehr versickern und Hochwasserereignisse werden so verstärkt. Zusätzlich wird die Funktion des Bodens als Puffer im Wasserhaushalt und Speicher von Grund- und Oberflächenwasser gestört. Der ausufernde Flächenverbrauch verringert die Artenvielfalt und verschlechtert lokale Klimabedingungen. Wenn wir unsere Heimat zubetonieren, wirft das auch gravierende soziale sowie kulturell-ästhetische Probleme auf. Die Verödung von Ortskernen durch Verlagerung von Gewerbegebieten auf die grüne Wiese, die damit einhergehende städtebauliche Entwertung, mehr Autoverkehr und weniger Lebensqualität stellen negative Begleiterscheinungen dar. Der Flächenverbrauch verursacht zudem hohe Kosten, beispielsweise für Betrieb, Unterhalt und Instandsetzung der Infrastruktur bei der Errichtung neuer Baugebiete.
Die Landwirtschaft leidet massiv unter dem Flächenfraß. So verringerte sich die landwirtschaftliche Fläche in Bayern in den letzten zwanzig Jahren um mehr als sieben Prozent. Das entspricht der Nutzfläche von knapp 8200 landwirtschaftlichen Betrieben, die in dieser Zeit aufgeben mussten. Wertvolles Grün- und Ackerland wird geopfert, gleichzeitig steigen die Pachtpreise und verstärken den Strukturwandel. Der Druck, die verbleibenden Flächen intensiver zu bewirtschaften, steigt.
Die zunehmende Versiegelung vernichtet Grün- und Ackerland, schadet der Umwelt und kostet Bayern wertvolle Areale unverbauter Natur und reizvoller Landschaft. Deshalb müssen wir heute eine Trendwende einleiten. Mit rund 35 % Waldfläche und rund 50 % landwirtschaftlicher Flächen ist die Situation in Bayern auf den ersten Blick noch positiv. Aber im Trend beschleunigt sich der Flächenfraß. Sieben Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche wurden in wenigen Jahren weggebaggert – aktuell haben wir noch 49 % – mit sinkender Tendenz.
2. Entwicklung des Flächenfraßes
Der bayernweite Flächenverbrauch – also die Umwandlung von unbebauter Landschaft und Natur in Siedlungs- und Verkehrsfläche – lag in den letzten Jahren jeweils bei rund 13,1 ha pro Tag. Das entspricht mehr als 18 Fußballfeldern in der Größe der Münchner Allianz-Arena. Flächenverbrauch wird über die Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche (SuV) ermittelt. Die SuV beinhaltet Gebäude- und zugehörige Freiflächen, Straßen, Gewerbe- und Betriebsflächen, Erholungsflächen und Friedhöfe.
Eine Umstellung der Berechnungsmethode vom Automatisierten Liegenschaftsbuch (ALB) zum Amtlichen Liegenschaftskatasterinformationssystem (ALKIS) reduzierte den täglichen Flächenverbrauch nur scheinbar. Statt deutlich höherer Werte in den vergangenen Jahren wurden für das Jahr 2014 10,8 ha pro Tag als Verbrauch angesetzt. Das Fortschreiten des Flächenfraßes wurde aber nicht reduziert, lediglich die Berechnungsgrundlage wurde verändert. Im Unterschied zur vorherigen Methode werden in ALKIS z. B. Grünstreifen an Straßen und unbebaute Bauplätze als „Vegetation“ betrachtet, obwohl dieser Boden für Landschaft und Natur verloren ist. Die rücksichtslose Inanspruchnahme neuer Flächen setzt sich also fort. Zuletzt stieg auf Basis der neuen Datenstruktur in Bayern der durchschnittliche tägliche Flächenverbrauch von 10,8 (2014) auf 13,1 Hektar (2015) an.
Für den unverändert maßlosen Flächenfraß sind falsche politische Weichenstellungen verantwortlich. Diese basieren auf Sorglosigkeit und Unkenntnis über die realen Zustände. So verfügt die CSU-Regierung über keine halbwegs aktuellen Zahlen über den Umfang der Versiegelung in Bayern. Die letzten Zahlen stammen aus dem Jahr 2000.
(Anm.: Das Landesamt für Umwelt hat für 2017 neue Zahlen zur Versiegelung angekündigt)
Auch ist nicht klar, wie viele unbebaute oder ungenutzte Gewerbeflächen überhaupt verfügbar sind. Maßnahmen wie die geplante sogenannte „Lockerung des Anbindegebots“ im LEP kommen einem landesplanerischen Blindflug gleich. De facto wird die geplante Zulassung von Gewerbegebieten weit abseits von Ansiedlungen den gefährlichen Trend des ungebremsten Flächenfraßes zusätzlich befeuern. Die Folge wäre eine Siedlungs- und Gewerbestruktur, die auf Kosten natürlicher und landwirtschaftlicher Flächen, des Erscheinungsbildes der Ortskerne und des Landschaftsbildes geht. Auch darüber hinaus fehlt es dem LEP an verbindlichen Zielen und konkreten Maßnahmen zum Flächenschutz. Die geplante LEP-Teilfortschreibung gefährdet die landschaftlichen Qualitäten, die räumliche Struktur und die maßvolle Entwicklung Bayerns substantiell.
Der Flächenverbrauch steigt deutlich schneller als die Einwohnerzahl Bayerns. Während die Siedlungs- und Verkehrsfläche im Zeitraum von 1980 bis 2014 um 50 Prozent zunahm, stieg die Einwohnerzahl nur um 15 Prozent an.
3. Ansatzpunkte
a) Gewerbeflächen
Logistikzentren, Großmärkte und Discounter inklusive Mega-Parkplätzen schießen in den Außenbereichen von Kommunen aus dem Boden und verwandeln Felder und Wiesen am Ortsrand in ein Gemisch aus Beton, Metall und Asphalt. Die Ortsränder fräsen sich immer weiter in Naturlandschaften und landwirtschaftliche Flächen hinein.
Die Gewerbesteuer und die Konkurrenz um Unternehmensansiedlungen befeuern den Flächenverbrauch enorm. Neue, vermeintlich für die Kommune lukrative Gewerbegebiete werden ausgewiesen, obwohl in ganz Bayern mehr als genügend zur Verfügung stehen. Laut dem Standortportal SISBY, in das die Kommunen freiwillig freie Gewerbeflächen einstellen können, sind in Bayern über 11.000 ha Gewerbegebiet ungenutzt. Das entspricht fast 15.500 Fußballfeldern und ist lediglich die Zahl der bekannten ungenutzten Flächen. Viele Kommunen nutzen das Portal gar nicht oder stellen nicht alle verfügbaren Gewerbeflächen in SISBY ein. Es ist also davon auszugehen, dass die tatsächlich zur Verfügung stehende Gewerbefläche weit größer ist. Bayern hat demnach ein massives Überangebot an freien Gewerbeflächen, aber will die Ausweisung neuer Flächen dennoch erleichtern (Stichwort „Änderung des Anbindegebots“). Ein solcher Freibrief für den Flächenfraß heizt die raumgreifende Natur- und Landschaftszerstörung weiter an.
Hinzu kommt, dass viele Gewerbeansiedlungen, z. B. in Form riesiger Logistikhallen, kaum für Arbeitsplätze und Wertschöpfung sorgen. Die Gemeinden müssen mit den Investitionskosten für die notwendige Infrastruktur in Vorleistung gehen, ohne Sicherheit über die zukünftige Gewerbesteuererträge zu haben. Da die Gewerbesteuer häufig am Stammsitz größerer Unternehmen abgeführt wird, profitieren die Kommunen oft nicht von den Beton- und Stahlklötzen vor ihrer Ortschaft.
b) Verkehrsflächen
Statistisch kommen auf jede/n Bürger*in in Deutschland 224 Quadratmeter Verkehrsfläche, während die durchschnittliche Wohnfläche pro Person bei 46 Quadratmetern liegt. Insbesondere bei den Straßen gilt es hier anzusetzen: sie beeinträchtigen ihr Umfeld erheblich und zerschneiden zusammenhängende Lebensräume. Mit dem Bau immer neuer Straßen lassen sich die grundlegenden Verkehrsprobleme nicht lösen. Das Klima wird durch den viel zu hohen CO2-Ausstoß im Verkehrsbereich geschädigt. Die Ausgaben für den staatlichen Straßen- und Brückenbau verdoppelten sich zwischen 2005 und 2015 nahezu. Im gleichen Zeitraum stiegen die Ausgaben für den öffentlichen Nahverkehr um lediglich zehn Prozent. Diese falsche Schwerpunktsetzung ist sowohl Ursache als auch Wirkung von Flächenverbrauch und Zersiedelung.
Zudem ist der Versiegelungsanteil bei den Verkehrsflächen besonders hoch, was in Bezug auf die Bodenfunktionen die negativen Effekte steigert. Die weiterhin zu erwartende Zunahme der Straßenkilometer lässt eine verheerende Entwicklung erwarten: Gemäß den Planungszielen des Bundesverkehrswegeplans 2030 werden zukünftig bundesweit zusätzlich drei weitere Hektar pro Tag für Verkehrsprojekte verbraucht. Dieser Trend wird sich gerade in Bayern nochmals verschärfen, wenn die irrsinnigen Planungen der CSU-Regierung für ein landwirtschaftliches Kernwegenetz umgesetzt werden sollten.
c) Wohnflächen
Früher zusammenhängende Lebensräume für Flora und Fauna werden zunehmend durch Siedlungstätigkeit zerschnitten. Neue Wohn- und Gewerbegebiete in dezentralen Lagen erzeugen mehr Verkehr und belasten dadurch die Umwelt stärker.
Da in den nächsten Jahren mit einer weiteren Zunahme der Bevölkerungszahlen zu rechnen ist, brauchen wir tragfähige Lösungen, um den Wohnungsbedarf zu decken und gleichzeitig nicht in der bisherigen Geschwindigkeit unbebaute Flächen zu verbrauchen.
III. MASSNAHMEN
Bereits 2007 wurde mittels einer Evaluation der Empfehlungen des Rates für Nachhaltige Entwicklung festgestellt, dass es ambitionierter Maßnahmen bedarf, um die Flächenziele zu erreichen. Nur durch politische Steuerung können die Pläne der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie eingehalten werden.
Wir Grüne wollen deshalb folgendes Aktionspaket umsetzen:
1. Obergrenze für täglichen Flächenverbrauch ins Landesplanungsgesetz aufnehmen
Um unsere Heimat vor flächendeckender Betonierung zu schützen und eine nachhaltige Fortentwicklung Bayerns zu gewährleisten, braucht es eine solide Landesplanung. Dafür muss zunächst eine bayernweite Flächenverbrauchsobergrenze festgelegt werden. Eine Kombination durchdachter Richtlinien der Landesebene mit dem eigenverantwortlichen Handeln der Kommunen ist die beste Lösung, um die landesplanerischen Zielsetzungen zu erreichen. Wenn wir uns nicht auf ein gemeinsames Ziel einigen und jeder macht, was er will, wird unsere Landschaft unwiederbringlich zerstört.
Die flächenentwicklungspolitische Planungshoheit in der Bundesrepublik Deutschland liegt bei den Bundesländern. Diese Gesetzgebungskompetenz wollen wir für die bayerischen Bürger*Innen und zum Schutz der unverwechselbaren Landschaften Bayerns nutzen. Wir wollen eine Obergrenze für den Flächenverbrauch von 4,7 ha/Tag im Landesplanungsgesetz (BayLPlG) verankern. Das ist ein klares Signal für den Schutz der Naturschönheiten und Kulturlandschaften Bayerns. Bayern soll so als wirtschaftsstarker Flächenstaat und Tourismusland Nummer 1 den Empfehlungen von Raumordnungs- und Bauexperten folgen und Vorbild beim Flächenschutz werden.
(Anm.: vgl. u. a. Henger, Ralph/Schröter-Schlaack, Christoph/Ulrich, Philip/Distelkamp, Martin 2010: Flächeninanspruchnahme 2020 und das 30-ha-Ziel: Regionale Verteilungsschlüssel und Anpassungserfordernisse)
Die kommunale Selbstverwaltung ist für uns Grüne ein hohes Gut. Trotzdem muss gut zwischen effektiver Landesplanung und kommunaler Selbstverwaltung abgewogen werden – wie der extrem hohe Flächenverbrauch der letzten Jahre zeigt. Kommunen können bisher weitgehend ohne Rücksicht auf landesplanerische Aspekte Flächen für Gewerbe und Wohnbebauung ausweisen.
Eine Verbrauchs-Obergrenze im BayLPlG einzuführen ist rechtlich möglich. Die umweltrechtliche Forschung beschäftigt sich schon länger mit dem Thema und kommt zu dem Ergebnis, dass die Vorgabe verbindlicher Kontingente für Siedlungs- und Verkehrszwecke durch die Länder verfassungsrechtlich zulässig ist. Die Formulierung eines Gesamtziels (4,7 ha/Tag) steht nicht mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) im Konflikt, da die Landesplanung damit keine Vorgaben für untergeordnete Planungsträger formuliert. Es bleibt den kommunalen Gliederungen vorbehalten, die Zielvorgabe auf die einzelnen Planungsräume herunterzubrechen.
2. Flächenverbrauch durch Zertifikate gerecht verteilen
Um eine tatsächliche Obergrenze von 4,7 ha pro Tag zu gewährleisten, wollen wir limitierte Flächenverbrauchszertifikate als neues Steuerungsinstrument einführen.
Das Grundprinzip des Flächenhandels beinhaltet, den Kommunen Zertifikate nach festgelegten Kriterien zuzuteilen. 20 Prozent der landesweiten zur Verfügung stehenden Fläche wird für überörtliche Vorhaben des Bundes und des Landes reserviert. Die weitere Verteilung der Flächenverbrauchsrechte richtet sich nach den aktuellen Bevölkerungszahlen der Kommunen. Wenn ein Bebauungsplan im Außenbereich aufgestellt werden soll, muss die betreffende Kommune die Zertifikate zentral einreichen. Die Anzahl der Zertifikate muss dem Umfang der erstmals für Siedlungs- und Verkehrszwecke gewidmeten Fläche entsprechen. Reichen die verfügbaren Zertifikate einer Kommune nicht aus, kann sie zusätzliche Ausweisungsrechte von anderen Kommunen erwerben. Benötigen Kommunen die ihnen zugewiesenen Zertifikate nicht, können sie diese an andere Kommunen weiterverkaufen und damit Einkünfte erzielen. Die Knappheit, die dazu führt, dass Kommunen bereit sind, für Zertifikate Geld auszugeben, wird durch die verbindliche Obergrenze von 4,7 Hektar hergestellt. Der Flächenhandel soll für Kommunen primär Anreize schaffen, bevorzugt auf Innenentwicklung zu setzen und bei Neuausweisungen im Außenbereich zurückhaltend vorzugehen.
Einschlägige Studien und Fachexpertisen bescheinigen Flächenzertifikatslösungen durchwegs positive Wirkungen. Ein Handelssystem ist ein kostensparendes Instrument, das mit einer knappen Gesamtmenge an Flächenzertifikaten effektiv die Inanspruchnahme neuer Siedlungs- und Verkehrsflächen reduziert. Die marktwirtschaftlichen Handelsmechanismen verhindern Flächenausweisungen in Kommunen, die davon keinen großen Nutzen haben. Das System ermöglicht außerdem, ein Mengenziel exakt zu fixieren und auf eine untergeordnete Ebene zu übertragen (Bezirke, Landkreise/kreisfreie Städte).
Hier lässt sich räumlich entlang der Landesplanungsziele und regionaler Besonderheiten differenzieren, was einen passgenauen Zuschnitt erlaubt und nicht ganz Bayern „über einen Kamm schert“. So setzt ein landesweites Handelssystem zwischen Regionen und Kommunen mit unterschiedlichen finanziellen und demografischen Rahmenbedingungen die richtigen Anreize.
Zertifikate, die Bestandsschutz gewährleisten, können außerdem einen überregionalen und regionalen Lastenausgleich zwischen Wachstums- und Schrumpfungsregionen herstellen. Die vorhandenen Kontingente können selbst verbraucht oder an andere Kommunen verkauft werden. Finanzschwache Kommunen können sich etwa entscheiden, auf Siedlungsentwicklung im Außenbereich zu verzichten und so neue Einnahmen generieren. Durch Flächenrecycling können die Kommunen zusätzlich selbst Kontingente produzieren und verkaufen. Das bietet zusätzlich eine Motivation, ehemals bebaute und versiegelte Flächen zu entsiegeln und zu renaturieren. Im Fall eines konjunkturellen Abschwungs kann der Preis für die Flächen sinken und so für antizyklische Investitionsimpulse sorgen.
Als Nebeneffekt dieses Systems sollen bestehende Ungleichgewichte zwischen wirtschaftlich starken und eher strukturschwachen Regionen abgemildert werden. In Boomregionen können die Flächenziele schwieriger eingehalten werden als in strukturschwachen Räumen, wo in der Regel viele ungenutzte Flächen, Leerstände, Brachflächen usw. zur Verfügung stehen. Eine funktionierende Flächenkreislaufwirtschaft ist in ländlichen Bereichen durch kreative Konzepte und ein qualitatives Wachstum leichter umsetzbar ist als in den Ballungsräumen.
Ein Handelssystem mit Flächenausweisungsrechten, das sich an einer landesplanerischen Mengenvorgabe orientiert, ist mit dem kommunalen Selbstverwaltungsgrundsatz (Art. 28 Abs. 2 GG) vereinbar. Ein System handelbarer Flächenausweisungsrechte erhöht die Flexibilität der Gemeinden und stärkt dauerhaft die Innenentwicklung, wenn die Zertifikatsmenge adäquat begrenzt wird. Der Zertifikatehandel lässt sich mit begrenztem Aufwand in die Verwaltungs- und Planungspraxis implementieren, wie die Ergebnisse von Planspielen in dem Bereich zeigen.
3. Konsequente Innenentwicklung für lebenswerte Ortskerne
Der Handel mit Flächenzertifikaten schafft ökonomische Anreize für die Realisierung einer Flächenkreislaufwirtschaft und bietet die einmalige Chance, die Ortskerne nachhaltig wieder zu beleben. Flächenpotenziale im Bestand sollen zukünftig vorrangig und systematisch ausgeschöpft, Brachflächen, Baulücken und Nachverdichtungsmöglichkeiten entsprechend genutzt werden.
Ein lebendiger Kern macht einen Ort attraktiv und erhöht die Lebensqualität. Das Veröden und Ausbluten von Ortskernen, vor allem im ländlichen Raum, muss gestoppt werden. Nahversorgungseinrichtungen gehören in die Ortszentren. Staatliche Subventionen und kommunale Investitionen müssen sich auf Innenentwicklung und Ertüchtigung der Bestände von Gebäuden und Infrastruktur fokussieren. Die bestehenden Programme der Städtebauförderung, Dorferneuerung, regionalen Wirtschaftsförderung usw. sollen deshalb mit einem klaren Fokus auf die Innenentwicklung überprüft und nachjustiert werden (z. B. in den Bereichen Bodensanierung und planerische Reaktivierung ungenutzter oder mindergenutzter Flächen innerhalb von Siedlungen etc.).
Wohnen und Arbeiten im Ortszentrum sorgt für kurze Wege und ist die richtige Antwort auf die älter werdende Gesellschaft. Es müssen deshalb gezielte Förderinstrumente geschaffen werden, um vor allem junge Menschen bei Erwerb und Renovierung von leerstehenden Wohn- und Geschäftsgebäuden im Innenbereich zu unterstützen. Dadurch entstehen keine zusätzlichen Infrastrukturkosten und „ältere“ Wohn- und Mischgebiete werden demografisch und sozial ausgewogener. Darüber hinaus haben Investitionen in die Innenentwicklung nachweislich überdurchschnittliche Beschäftigungseffekte zur Folge.
Die bundesweiten Innenentwicklungspotentiale sind mit einem Umfang von ca. 120.000-165.000 ha beträchtlich. Ein Fünftel dieser Fläche ist kurzfristig als Bauland nutzbar, mit qualitätsvoller Nachverdichtung ließen sich weitere Potenziale nutzen. Wir wollen ein besonderes Augenmerk darauf legen, dass es nicht zu Konflikten zwischen dringend benötigten Wohnungsbau und der Begrenzung des Flächenverbrauchs kommt. Der Freistaat muss hier mehr ökonomische und steuerliche Anreize für Innenentwicklungsvorhaben von Kommunen und Bürger*innen setzen. Brachflächen und Leerstände im Innenbereich müssen besser genutzt werden; die Möglichkeiten einer vertikalen Verdichtung durch Aufstockung von Gebäuden sind in Betracht zu ziehen und zu prüfen. Dazu gehört unter anderem, dass der Kauf und die Sanierung von staatlichen Liegenschaften aus Nachlässen (sog. Nachlassimmobilien, die dem Freistaat zufallen) durch Kommunen und Privatbürger*innen – insbesondere in Schrumpfungsregionen – gefördert wird. In vielen Kommunen – vor allem in Nordbayern – beeinträchtigen diese leerstehenden Häuser(-ruinen) die Ortsentwicklung, mindern den Wert von Nachbar-Immobilien und belasten das Ortsbild.
4. Kommunales Flächenmanagement effektiv gestalten
All das funktioniert aber nur mit einem wirksamen Flächenmanagementsystem. Moderne Stadt- und Regionalentwicklung muss weitestgehend eine Entwicklung im Bestand sein, also die Revitalisierung brachgefallener oder mindergenutzter Flächen. Vor jeder Neuausweisung von Bauland und Gewerbegebieten soll es künftig Bedarfsanalysen und Wirtschaftlichkeitsberechnungen geben. Neben einer Folgekostenkalkulation vor einer Erschließung neuer Bau- und Gewerbegebiete müssen zudem fehlende Innenentwicklungspotenziale nachgewiesen werden. Entsprechende planerische Instrumente sind in die Bauleitplanung einzuführen.
Jede Gewerbeansiedlung sollte hinsichtlich des Kosten-Nutzen-Verhältnisses kritisch geprüft werden. So kann vermieden werden, dass ein Gewerbegebiet mehr Kosten als Steuereinnahmen bringt. Zudem sind mögliche Ansiedlungen auch hinsichtlich des Arbeitsplätze-Potenzials zu prüfen.
Um die komplexen Planungsaufgaben erfüllen zu können, benötigen die Kommunen ein funktionales, flächendeckendes und interkommunales Flächenressourcen-Management. Damit sollen alle Baulücken, Brach- und Freiflächen der Kommunen erfasst und auch im Hinblick auf ihre ökologische Qualität hin vergleich- und beurteilbar werden. Die Kosten für die flächendeckende Einführung eines umfassenden und interkommunalen Managementkonzeptes müssen staatlich gefördert werden.
5. Flächendeckendes Monitoring einführen
Ein aussagekräftiger Datenbestand ist unerlässlich, um zielorientiert zu handeln. Dazu gehört ein fundiertes Monitoring ebenso wie ein verlässliches Controlling, damit wir auf die aktuellen und künftigen Herausforderungen vernünftig reagieren können. Es kann nicht sein, dass die CSU-Regierung den Umfang der Kartoffeläcker in Bayern auf den Quadratmeter genau beziffern kann, aber nicht weiß, wie viel ungenutzte Gewerbe- und Wohnfläche in Bayern zur Verfügung steht. Nur durch Verknüpfung und Analyse entsprechender Geodaten, mittels moderner Satelliten- und Luftbildtechnik gewonnener Kartierungen und kommunal vorhandener Datenbestände können gezielte Maßnahmenpakete gegen weitere Natur- und Landschaftszerstörung entwickelt werden. Wir fordern deshalb ein flächendeckendes Monitoring für versiegelte und entsiegelte Flächen, Neuausweisungen und Bestand von Bauland und Gewerbegebieten, Verkehrsentwicklung, Wegstrecken zu Nahversorgungsangeboten, Grünvolumen , Leerstandskataster in allen Kommunen usw.
(Anm.: Als Grünvolumen (Grünvolumenzahl) wird das dreidimensionale Ausmaß einer Vegetationsfläche bezeichnet. Dies ist vor allem im Hinblick auf stadtklimatische Aspekte relevant. Siehe dazu: Meinel, Gotthard/Hecht, Robert/Buchroithner, Manfred 2006: Die Bestimmung städtischen Grünvolumens – Nutzen, Methodik und Ergebnisbewertung. In: Angewandte Geoinformatik, 18. AGIT-Symposium, Salzburg/Heidelberg, S. 430-437.)
6. Interkommunale Zusammenarbeit gezielter fördern
Das „Konkurrenzgerangel“ unter den Kommunen um Einwohner*innen, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen muss beendet werden. Insbesondere im Hinblick auf die Gewerbeansiedlungen sollte Qualität Vorrang vor Quantität haben.
Ein regional orientierter Blick muss die kommunale Kirchturmperspektive ablösen, Synergien freisetzen und letztendlich die Flächenvorratshaltung und den Flächenverbrauch deutlich reduzieren. Von einer guten Zusammenarbeit profitieren speziell kleinere Gemeinden: Durch eine intensive Kooperation bei Entwicklung und Vermarktung von Gewerbegebieten können Kommunen regionale Wertschöpfungsketten und -prozesse stärken. So bauen Städte und Gemeinden kommunale Konkurrenzen ab, vereinen ihr Knowhow und ihre Kapazitäten, können ein breites Portfolio anbieten und schaffen damit Vorteile für die gesamte Region.
Auf diesem Weg können beispielsweise Gemeinden, die über Flächen und gut ausgebaute Infrastruktur, aber nicht über genügende Mittel zu deren Entwicklung verfügen, von Kosten entlastet werden. Sie können dafür mit jenen Gemeinden zusammenarbeiten, die Entwicklungskosten übernehmen können, aber nicht genügend Gewerbeflächen zur Verfügung haben. So können auch weniger finanzstarke Kommunen an der positiven wirtschaftlichen Entwicklung einer Region teilhaben.
Die Vergabe von Fördermitteln soll an die Vorlage interkommunal abgestimmter Entwicklungskonzepte geknüpft werden, durch die der Flächenverbrauch nachvollziehbar reduziert wird. Die Zuwendungen des Freistaats für interkommunale Kooperationen sind dabei stärker auf die Bereiche Raum- und Ortsentwicklung, Planung und Entwicklung von Wohn-, Gewerbe- und Verkehrsflächen und das Flächenmanagement zu konzentrieren. Als eine Art „Startgeld“ für besonders innovative Vorhaben auf dem Gebiet interkommunaler Projekte soll eine separate Fördermöglichkeit entwickelt werden.
7. Straßenerhalt vor -neubau
Schon aus ökonomischen Gründen muss zukünftig beim Straßenbau gelten: Erhalt vor Neubau. Angesichts maroder Straßen in ganz Bayern wollen wir den Neubau von Staatsstraßen aussetzen. Der Ausbau von Staatsstraßen dient nicht der notwendigen Verkehrsvermeidung, sondern hat oft den gegenteiligen Effekt. Für uns hat dagegen der Bestandserhalt bei Straßen und Brücken in Zukunft oberste Priorität.
Außerdem brauchen wir Alternativen zum motorisierten Individualverkehr, vor allem durch ein besseres ÖPNV- und Radwegenetz. Bayern muss wieder stärker auf die Schiene setzen und braucht hierzu eine moderne, intakte Infrastruktur. Aufgrund sinkender Einwohnerzahlen, gerade auf dem Land, ist Straßenneubau nicht sinnvoll. Auch ökologische und finanzielle Gründe sprechen dagegen. Verkehrserschließungen müssen sich stärker an ökologischen Auswirkungen und an den Folgekosten für die Instandhaltung des Verkehrswegs orientieren. Die Schieflage bei den Verkehrsinvestitionen zugunsten des motorisierten Individualverkehrs muss zugunsten der öffentlichen Verkehrsmittel geändert werden. Den seitens der bayerischen Staatsregierung forcierten Ausbau des ländlichen Kernwegenetzes, der finanziell weder für den Freistaat noch für die Kommunen zu stemmen ist, lehnen wir aufgrund des entstehenden Flächenverbrauchs, zusätzlicher Versiegelung und negativer Auswirkungen auf die traditionelle Kulturlandschaft ab.
8. Regionale Planungsverbände stärken
Zur Umsetzung der geplanten Maßnahmen ist eine intensive Kooperation der Kommunen untereinander sowie der Kommunen, der obersten Landesplanungsbehörde und den Regionalen Planungsverbänden unerlässlich. Über die regionalen Planungsverbände lassen sich beispielsweise Förderungen regional deutlich differenzierter auflegen.
Die Träger der Regionalplanung brauchen deshalb mehr Geld und mehr Personal. Wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, regionale Konzepte etwa in den Bereichen Energie, Umwelt- und Ressourcenschutz zu erstellen. Im Landesplanungsgesetz sollen die Kompetenzen hierfür geschaffen werden. Zusätzliche Fachmitarbeiter*innen in den Regionalen Planungsverbänden verbessern die interkommunale Zusammenarbeit. Außerhalb von Siedlungsgebieten sollen die Träger der Regionalplanung künftig Vorranggebiete zum Schutz der Kulturlandschaft, zum Schutz landwirtschaftlich wertvoller Böden sowie für Ruhezonen als Rückzugsraum für bedrohte Arten festlegen können.
Zudem brauchen die Träger der Regionalplanung mehr Geld für die Öffentlichkeits-arbeit. Es ist eine zentrale Querschnittsaufgabe von Landesbehörden, Regionalen Planungsverbänden und Kommunen, die Bevölkerung über die massiven Probleme des Flächenfraßes aufzuklären und für wirkungsvolle Gegenmaßnahmen zu werben.
Das bislang wirkungslose Bündnis für Flächensparen wollen wir zu einem effizienten Instrument umbauen. Das Bündnis soll primär durch Bildungskampagnen und Öffentlichkeitsarbeit stärker auf das Problem des Flächenfraßes aufmerksam machen sowie konkrete Handlungsvorschläge für sparsamen Umgang mit Flächen entwickeln und nach außen tragen.
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