27. November 2014

Meine Rede zur Regierungserklärung von Staatsminister Dr. Söder „Heimat Bayern 2020“

Hier geht es zu einem Videomitschnitt meines Redebeitrags. Über die dortige Playlist können Sie sich auch die gesamte Diskussion zu diesem Tagesordnungspunkt anschauen.

Zudem habe ich Ihnen an dieser Stelle den Wortlaut meiner Rede als Auszug des Plenarprotokolls hinterlegt:

Ludwig Hartmann (GRÜNE):
Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Staatsminister Söder!
Der Titel Ihrer heutigen Regierungserklärung ist „Heimat Bayern 2020“. Aber was ist eigentlich Heimat? In vielen von uns weckt der Begriff Heimat erst einmal Erinnerungen an die Kindheit, den Ort, an dem man aufgewachsen ist. Heimat ist aber auch immer ein politischer Begriff. Die Heimat, in der wir heute leben, in der die Kinder von heute aufwachsen, ist aufgrund vieler politischer Entscheidungen so, wie sie ist. Heimat ist das, was wir alle daraus machen, und nicht das, was schon immer so war.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Heimisch sind die Menschen, die jetzt hier leben, und nicht nur die, die meinen, immer da gewesen zu sein. Keiner war schon immer da.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für uns ist der Begriff Heimat deshalb auch eine Aufforderung, unser Umfeld so zu gestalten, dass alle eine Chance auf ein gutes Leben haben. Auf den Bereich „gutes Leben“ komme ich nachher noch einmal zurück. Ich möchte am Anfang bei dem Begriff Heimat bleiben. Beim Gestalten, beim Machen der Heimat, kommt es darauf an, wie wir das machen, aber auch darauf, was wir machen. Heimat gehört allen, die dort leben, und deshalb haben auch alle ein Recht darauf, mitzureden und mitzugestalten,

(Beifall bei den GRÜNEN)

egal, ob in der zehnten Generation ansässig oder neu zugezogen, egal, ob sie viel besitzen oder wenig, egal, ob Kind, Erwachsener oder Ruheständler. Sie alle haben ein Recht darauf, sich einzumischen, mitzugestalten, ihren Ort zu ihrer Heimat zu machen. Daran wollen wir arbeiten. Wo andere entscheiden, bin ich immer nur Gast.

Ich möchte kurz eine Geschichte aus meinem Leben erzählen. Ich bin in Landsberg aufgewachsen. Im Alter zwischen 14 und 17 Jahren – ich glaube, das ging vielen damals so – bin ich nach der Schule zu Freunden gefahren – die Schulsprengel waren ja etwas größer, man war am Nachmittag nicht immer in der eigenen Heimat –, und da habe ich relativ bald gedacht: Wo meine Freunde leben, ist alles viel besser; dort gibt es eine Skateboardanlage, sie haben einen Bauwagen für die Jugendlichen, der selbst verwaltet ist. Wenn man dann abends nach Hause geradelt oder mit dem Bus gefahren ist, hat man sich oft gedacht: Da ist die Umgebung doch deutlich besser.

Als ich mich dann, ziemlich im gleichen Alter, erstmalig im Jugendbeirat der Stadt Landsberg engagierte und gemerkt habe, dass man seine eigene Umgebung mitgestalten und beeinflussen kann, also durchaus etwas ändern kann – Landsberg hat übrigens später auch eine Skateboardanlage bekommen –, wurde Landsberg immer mehr zu meiner Heimat, zu dem Ort, an dem man sich zuhause fühlt, weil man mitgestalten kann, weil man gehört wird. Das macht für uns Heimat aus.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Heimat ist für uns keine Kategorie der Vergangenheit, sondern die Aufforderung, die Zukunft zu gestalten, und zwar so, dass alle ein gutes Leben führen können. Was ein gutes Leben ist, entscheidet jeder selbst. Dabei hat die Politik nicht hineinzureden. Hier gilt auch nicht der Spruch: „Das haben wir schon immer so gemacht.“

(Zurufe und Beifall bei den GRÜNEN)

Wir alle brauchen aber gewisse Voraussetzungen, um ein gutes Leben führen zu können, egal, für welchen Lebensweg man sich entscheidet: eine intakte Umwelt, eigenständige Entscheidungen und auch das Gefühl, dass unser Handeln relevant ist. Wir brauchen ein gewisses Maß an Wohlstand zur Erfüllung unserer persönlichen Bedürfnisse und auch ein gewisses Maß an Daseinsvorsorge in den Gemeinden.
Wir bewerten Politik an dem Maßstab, ob sie hilft, diese Voraussetzungen zu erfüllen oder nicht. Wir können uns das jetzt einmal am Beispiel der intakten Umwelt, dem Schutz von Wasser, Boden und Luft ansehen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktion, in Wahlkämpfen sprechen Sie oft von der Absicht, Bayern und die Heimat zu bewahren. Sehen wir uns aber einmal an, was bei Ihrer Politik herauskommt. Ich nenne hier zum Beispiel das Bündnis zum Flächensparen aus dem Jahre 2003. Bayern hat einen maßlosen Flächenverbrauch, und es gibt einen völlig absurden Wettkampf der Gemeinden um immer mehr Gewerbegebiete im Land. Ein paar Zahlen hierzu: Die tatsächlich genutzte Gewerbefläche in Bayern beträgt laut dem Bayerischen Landesamt für Statistik 43.540 Hektar. Gleichzeitig weist die Datenbank der Industrie- und Handelskammer knapp 12.000 Hektar Gewerbefläche aus, die bis jetzt nicht bebaut und nicht benötigt worden ist. Man kann auch sagen: Die leerstehende Gewerbefläche in Bayern hat sich seit dem Jahr 2000 verzehnfacht. Oder anders ausgedrückt: Zu jedem vierten Gewerbe in Bayern haben wir bereits jetzt eine Expansionsfläche auf Vorrat ausgewiesen, und dann sagt der Herr Minister Söder, er mache sich keine Sorgen um den Flächenverbrauch in diesem Land.

(Zurufe bei den GRÜNEN – Beifall bei den GRÜNEN)

Täglich verschwindet in Bayern die Fläche von 25 Fußballfeldern für Straßen, Gewerbegebiete oder Einzelhandelsprojekte auf der grünen Wiese im wahrsten Sinne des Wortes unter Beton und Asphalt und der Minister macht sich darum keine Sorgen. Dieser ungebremste, verschwenderische Umgang mit Boden kommt einem Ausverkauf der Heimat gleich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das betrifft nicht nur die aus dem Boden gestampften Einkaufszentren in den Ortsrandlagen, sondern auch die Verkehrspolitik in unserem Land. Beim Blick auf die Verkehrspolitik erinnere ich mich immer wieder an ein Erlebnis aus dem Wahlkampf. Auch bei der Regierungserklärung, die eben gehalten wurde, wurde mir deutlich bewusst, wie verfehlt diese Politik ist. Ein junger Familienvater, der auf das Land gezogen ist, erzählt eigentlich die gleiche Geschichte wie eine 80-jährige Frau. Zuerst kommt die Umgehungstraße; das ist das Erste. Kurz danach folgt der Discounter an der Umgehungstraße. Kurz darauf schließen die Bäckerei und die Metzgerei im Ort. Mit jeder Schließung verschwindet eine fußläufige Einkaufsmöglichkeit. Es verschwinden regionale Produkte und ein Stück Wertschöpfung aus der Region. Kleine Handelsstrukturen sterben. Das Fleisch beim Discounter kommt nicht mehr vom Bauern aus der Ortschaft. – Das ist Ihre Politik. Dass das wirklich ein Verlust von Heimat ist, zeigt ganz deutlich das Beispiel des jungen Familienvaters, der sein Kind aus folgendem Grund nicht mehr alleine zum Einkaufen wird schicken können: Das Kind kann die Umgehungstraße, auf der die Autos mit 80 km/h vorbeibrettern, nicht mehr alleine überqueren. Aber auch ältere Menschen, die gar kein Auto besitzen, sind jetzt darauf angewiesen; anderenfalls haben sie wirklich eine Einschränkung ihrer Mobilität in diesem Bereich. Bei Umgehungsstraßen sind weder Überquerungshilfen noch Zebrastreifen, Ampeln oder Verkehrsinseln vorgesehen. Das Ziel Ihrer Politik ist, dass man möglichst zügig an den Ortschaften vorbeifahren kann. Dadurch verliert Bayern deutlich ein Stück Heimat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Somit verliert ein Ort massiv an Lebensqualität: Zum einen fallen regionale Handelsstrukturen weg, zum anderen wird den Menschen die Möglichkeit genommen, im Ort einzukaufen.
Die Entwicklung an sich ist nicht neu. Das Erstaunliche ist, was die Staatsregierung heute in der Regierungserklärung erklärt hat, dass diese Entwicklung nicht nur so weitergehen, sondern sogar durchaus beschleunigt werden soll. Sie haben das eine oder andere Förderprogramm, zum Beispiel die Dorferneuerung, oder den einen oder anderen Dorfladen, der in Bayern unterstützt wird, um etwas gegenzusteuern. Aber es ist doch absurd, mit Steuergeldern gegen eine Entwicklung auf der grünen Wiese zu subventionieren, die man selber verursacht hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der erste Schritt wäre, diese Entwicklung umzukehren und den Innenstädten und Dorfkernen zu helfen. Was Sie mit Ihrer Landesplanung machen, wenn sie in ein paar Jahren überhaupt vorhanden sein wird, zeigt, wie sinnbefreit Ihre Politik für den ländlichen Raum ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben bereits im Jahr 2010, damals zusammen mit der FDP, die Verkaufsfläche für Einzelhandelsgroßprojekte in Bayern ausgeweitet und tragen damit Verantwortung für das Sterben unserer Ortskerne.
Wir brauchen eine ehrliche Landesplanung. Das bedeutet, die interkommunale Zusammenarbeit ist zu stärken mit dem Ziel einer Innenentwicklung statt einer Zersiedlung im Außenbereich. Das bedeutet auch flächensparende Bauformen und vor allem eine bessere Förderung für kurze Wege, eine Nahmobilität zu Fuß, mit dem Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kurz gesagt: Bayern braucht endlich eine Politik, die Heimat ernst nimmt. Bayern braucht eine grüne Politik, bei der man nachdenkt, bevor der Bagger kommt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das heißt, endlich eine Verkehrspolitik zu machen, die dort ansetzt, wo die Wege der Bürgerinnen und Bürger beginnen, nämlich an ihrer Haustür. Wir brauchen eine umweltfreundliche, klimaschonende Mobilität. Das heißt, Bodenständigkeit statt Tempowahn. Die Stärkung des ÖPNV im ländlichen Raum stärkt den ländlichen Raum insgesamt.

Der Minister hat heute in der Regierungserklärung gesagt, wir bräuchten Macher statt Mahner.

(Staatsminister Dr. Markus Söder: Nörgler!)

– Macher statt Mahner oder Macher statt Nörgler. Da bin ich bei Ihnen. Sie hätten eine ganze Reihe unzähliger Macher in diesem Land, Macher, die am Gelingen der Energiewende arbeiten möchten. Genau diesen Machern im ländlichen Raum nehmen Sie durch ein Windkraftverhinderungsgesetz aber die Möglichkeit, eine Energiewende zu erreichen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Energie aus der Region ist nicht nur ein Weg zu regionaler Wertschöpfung im Ort, sondern wird auch den Herausforderungen des Klimawandels gerecht, ganz nach dem Motto: global denken, lokal handeln.
Ich möchte noch kurz auf den gigantischen Flächenverbrauch zurückkommen. Dadurch stirbt auch die Artenvielfalt in unserem Land. Es hilft auch nichts, wenn die Staatsregierung am Schreibtisch eifrig ein Programm nach dem anderen zu Papier bringt. Die Realität sieht anders aus. Das Artensterben durch die Industrialisierung der Landwirtschaft geht immer weiter. Nitrat- und Pestizidbelastung im Grundwasser nehmen zu. Es ist ein Umdenken in der Agrarpolitik gefragt und nicht eine Aussage wie die des Ministers, der von normalen Wirtschaftsformen gesprochen hat. Egal, ob in Mittenwald oder Aschaffenburg: Wenn ich Wasser aus der Leitung trinke, möchte ich mir auch in Zukunft keine Gedanken darüber machen müssen, ob ich das Wasser so noch trinken kann. Sauberes Wasser gehört für mich zu Bayern wie der weiß-blaue Himmel.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Herr Minister trägt heute wieder einmal eine grüne Krawatte, wie so oft. Aber die Defizite Ihrer Umweltpolitik, wie sie in Ihrer Regierungserklärung deutlich zum Ausdruck gekommen sind, kann das nicht kompensieren. So viele Krawatten können Sie gar nicht tragen.
Ich bin am Anfang auf das Thema eingegangen und möchte es am Schluss noch einmal aufgreifen. Es geht darum, wie man durch Einmischung seinen Ort mitgestalten kann, und um die Frage, was geschehen muss, um einen Ort zu seiner Heimat zu machen. Die Katholische Landjugendbewegung hatte am Sonntag einen Kongress in Würzburg. Dort hat sie einen Antrag mit der Überschrift verabschiedet: Zukunft auf dem Land beginnt dort, wo die Jugend ernst genommen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es heißt weiter: Damit Jugendliche lieber anpacken, statt ihre Siebensachen einpacken. – Ich finde, die Katholische Landjugend hat das ganz deutlich auf den Punkt gebracht. Das trifft nicht nur auf die jungen Menschen in diesem Land zu. An seiner Heimat aktiv mitgestalten, das kann nur derjenige, der ausreichende Informationen zur Verfügung hat. Ein grundsätzlich freier Zugang zu Informationen der öffentlichen Verwaltung muss gegeben sein. Es ist schön und gut, dass man demnächst seinen Ausweis online beantragen kann. Das reicht aber nicht aus; das hat nichts mit Informationsfreiheit zu tun. Das Recht der Informationsfreiheit gehört außerhalb Bayerns schon längst zu den Bürgerrechten des 21. Jahrhunderts. In 70 Ländern dieser Welt, 11 Bundesländern und selbst beim Bund gibt es bereits Informationsfreiheitssatzungen. Die grün mitregierten Bundesländer wie Baden- Württemberg, Niedersachsen oder Hessen arbeiten bereits daran, diese Rechte einzuführen. Bayern und Sachsen haben hierbei die rote Laterne. Aber die Bürgerinnen und Bürger in unserem schönen Bayern sind durchaus selbstbewusst und lassen sich von der Staatsregierung die Rathaustür nicht vor der Nase zuschlagen. Das haben 65 Kommunen in Bayern gezeigt. Sie haben das Heft des Handelns selbst in die Hand genommen und Informationsfreiheitssatzungen auf den Weg gebracht. Wir haben diese Entwicklung erkannt und zusammen mit vielen Bürgerinnen und Bürgern in einem Online-Beteiligungsverfahren ein umfangreiches Transparenzgesetz für Bayern erarbeitet. Wir wollen die Zivilgesellschaft stärken und eine Belebung der öffentlichen Beteiligung erreichen, damit sich wirklich jeder in seine Heimat einbringen und mitgestalten kann.
Was Ihre Landesplanung angeht, kann man zusammenfassende feststellen: Mit Ihrer Landesplanung und Landesentwicklung regieren Sie entgegen der Wirklichkeit. Das geht nicht ewig. Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft, setzt sich die Wirklichkeit durch. Die Vielfältigkeit Bayerns, unserer Dörfer und Städte, die Artenvielfalt und die vielfältige Landschaft zu bewahren und gleichzeitig die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, ist kein Widerspruch. Genau das muss gute Politik in diesem Lande leisten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hierzu sind vielfältige Konzepte und Ideen umzusetzen. Das eine, für jede Region passende Konzept wird es nicht geben. Landesplanung – darin unterscheiden wir uns ganz deutlich – muss klare Zielvorgaben machen, damit Zukunft gemeinsam gestaltet werden kann.
Herr Minister Söder hat am Schluss seiner Regierungserklärung gesagt: Das Abenteuer geht weiter. Passender wäre es gewesen, den Liedtext von „Pur“ zu zitieren: „Komm mit mir ins Abenteuerland.“ Den nächsten Satz – ich kenne ihn – lasse ich hier weg; denn ich möchte den Kolleginnen und Kollegen des Ältestenrats eine lange Sitzung ersparen. Ich denke ihn mir und glaube, er wäre deutlich passender gewesen als Ihre Regierungserklärung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

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Pressebericht des Bayerischen Rundfunks vom 27.11.2014

dpa/lby-Meldung vom 27.11.2014 auf welt.de

Artikel im Internetangebot der Mittelbayerischen Zeitung (27.11.2014)

Pressebericht auf merkur-online.de vom 28.11.2014