Kein Ausstieg aus der Energiewende
Grüne protestieren auf Klausur vor dem AKW Grafenrheinfeld gegen Laufzeitverlängerung
Das Jahr 2010 wird für die Energiepolitik Deutschlands entscheidend sein. Die neue schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke zum Ziel gesetzt. Spätestens nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai soll der vertraglich vereinbarte und von der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gewünschte Ausstieg aus der Atomenergie rückgängig gemacht werden.
Die Grünen lehnen die Aufweichung des Atomkonsenses entschieden ab und haben deswegen zum Klausur-Auftakt der Winterklausur 2010 in Schweinfurt vor dem AKW in Grafenrheinfeld protestiert:
- Die Atomenergie ist eine nicht beherrschbare Risikotechnologie. Die jüngsten Vorgänge um den norddeutschen Pannenreaktor Krümmel, aber auch der Skandal um das so genannte Forschungsbergwerk Asse zeigen, dass Deutschlands Atomanlagen nicht sicher sind. Je älter die Atomkraftwerke werden, desto anfälliger sind sie für technische Defekte.
- Noch immer gibt es kein sicheres Endlager für den strahlenden Müll. Allein eine Laufzeitverlängerung der AKW um weitere acht Jahre würde die Menge der abgebrannten Brennelemente um 31 Prozent erhöhen – ohne jeglichen Plan, wie die Abfälle über Jahrtausende hinweg sicher gelagert werden sollen.
- Eine längere Laufzeit nützt nur den großen Stromkonzernen und blockiert die Einführung der Erneuerbaren Energien. Denn so lange die Energieriesen mit ihren längst abgeschriebenen AKW die Preise diktieren können, verzerren sie den Wettbewerb für Sonne, Wind und Biogas.
Gerade Bayern, das sich wie kein anderes Bundesland abhängig gemacht hat von der Atomenergie, braucht dringend eine Energiewende: Fast 60 Prozent des bayerischen Stroms kommen aus den fünf bayerischen Reaktoren Grafenrheinfeld, Isar 1 und 2 sowie Gundremmingen B und C.
Grafenrheinfeld muss wie geplant 2015 vom Netz
Nach dem Atomgesetz müsste das unterfränkische AKW Grafenrheinfeld in fünf Jahren, nämlich 2015 vom Netz gehen. Das AKW Grafenrheinfeld ist ein Druckwasserreaktor (DWR) der Baulinie 3, und gehört damit zur zweitältesten Generation der in Deutschland noch in Betrieb befindlichen Druckwasserreaktoren (zur ältesten Generation der DWR gehören beispielsweise die Biblisreaktoren). Grafenrheinfeld ging 1981 in Betrieb (mit 43 Monaten Verspätung und bei einer Überschreitung der Baukosten um ca. 125 %).
Die grüne Landtagsfraktion protestiert zusammen mit lokalen grünen Politikern gegen eine geplante Laufzeitverlängerung vor dem AKW Grafenrheinfeld
Grafenrheinfeld – kein Musterschüler in der Skandalgeschichte der Atomwirtschaft
Das AKW Grafenrheinfeld galt lange Zeit als Musterbeispiel der deutschen Atomtechnologie. Es zählte viele Jahre zu den Atomkraftwerken mit der höchsten Verfügbarkeitsrate auf der ganzen Welt. Doch der Ruf Grafenrheinfelds war spätestens im April 1998 mit dem Castorskandal dahin. Bundesweit wurden an den Castoren außen und an den Transportgestellen radioaktive Kontaminationen festgestellt, deren Ursache zunächst nicht bekannt war. Grafenrheinfeld zeichnete sich hier mit einem Negativrekord aus: 50 000 Becquerel pro Quadratzentimeter wurden hier an einzelnen Stellen gemessen. Das war eine Überschreitung des Grenzwertes um das 12500-fache. Im Umweltausschuss des Deutschen Bundestags wurde herausgefunden, dass der damalige Werkleiter und andere Kollegen bereits vor dem Bekanntwerden die Überschreitung der Grenzwerte wussten, aber die Aufsichtsbehörden und die Öffentlichkeit darüber nicht informierten und auch keine Abhilfemaßnahmen ergriffen.
Dieser Skandal machte auf eine weitere Besonderheit des AKW Grafenrheinfeld aufmerksam. Es ist das einzige Atomkraftwerk in Deutschland, das keinen Gleisanschluss hat. Sämtliche Atommülltransporte werden daher zunächst über die Straße abgewickelt. Die Castortransporte zur Wiederaufarbeitungsanlage La Hague in Frankreich führten daher zunächst einige Kilometer zum Bahnhof nach Gochsheim. Dort gab es eine eigene Umladestation direkt neben einem Wohngebiet. Doch die Castoren standen dort stundenlang, ja manchmal auch tagelang. Die Anwohner in Gochsheim protestierten viele Jahre gegen die Umladung der Castorbehälter vor ihren Häusern und Gärten und verlangten einen Gleisanschluss für das Atomkraftwerk. Doch weder E.ON noch Staatsregierung schenkten der dortigen Bürgerinitiative Gehör. Dieses Problem ist vorübergehend „gelöst“, nachdem die rot-grüne Bundesregierung die Plutoniumwirtschaft beendet hat und die Wiederaufarbeitungstransporte nach Frankreich eingestellt wurden.
Zwischenlager Grafenrheinfeld – zu groß und zu dünn
Als Grüne haben wir uns grundsätzlich für das Konzept der Zwischenlagerung für abgebrannte Brennelemente eingesetzt. Es ist weniger gefährlich, die abgebrannten Brennelemente zunächst vor Ort zu lagern, anstatt sie quer durch Europa zu fahren, durch die Wiederaufarbeitung des Atommülls große Landstriche und Meere zu verseuchen und dann anschließend den größten Teil des Mülls wieder zurück nach Deutschland zu fahren.
Nicht einverstanden sind wir jedoch mit der konkreten Zwischenlagerung in Grafenrheinfeld. Und dies aus zwei Gründen: der Größe der Halle und ihrer Bauweise. Die Halle in Grafenrheinfeld ist absolut überdimensioniert. Sie bietet Platz für insgesamt 88 Castoren. Bis zur vorgesehenen Stilllegung im Jahr 2015 werden aber ca. 30 Castorstellplätze benötigt. D.h. E.ON hat den Bruch des Atomkonsenses schon lange geplant und schon damals in längere Laufzeiten investiert.
Die Halle entspricht nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik. Es gibt in Deutschland zwei Arten von Castorhallen. In Grafenrheinfeld wurde die „Leichtbauweise“ angewendet: Mit einer Wandstärke von 70 cm und einer Deckenstärke von 55 cm wurde die billigere Variante gewählt, während an anderen Standorten die Wand- und Deckenstärke bei 1,20 bis 1,30 Metern liegt. Verbunden wurde diese Leichtbauweise mit dem Argument: die Halle müsse ja gar nicht gegen Flugzeugabstürze ausgelegt sein, allein der Behälter sei schon in der Lage den Strahlenschutz in jeder Situation zu gewährleisten. Das bezweifeln wir und unserer Ansicht nach hat E.ON am falschen Platz gespart.
Grafenrheinfeld – mit zunehmendem Alter immer anfälliger
Das AKW hat seine Glanzzeiten bereits hinter sich. Mit zunehmendem Alter ist auch der unterfränkische Reaktor immer anfälliger geworden. Ein Problem, das auch in Grafenrheinfeld schon seit Jahrzehnten nicht in den Griff bekommen wird, ist die sog. „transkristalline Spannungsrisskorrossion“. Im Mai 2005 wurden drei Risse im Notspeisesystem des Reaktors gefunden. Überrascht war man damals vor allem, weil diese Risse an so genannten „austenitischen Rohren“ gefunden wurden, also an Rohren mit einem besonderen Stahl, der gegen Risse bisher als vergleichsweise resistent galt. Die genaue Ursache für diese Risse ist bis heute nicht definitiv geklärt. Die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) geht davon aus, dass diese Risse herstellungsbedingt sind. Zu weiteren Konsequenzen hat sich die Betreiberfirma bisher nicht geäußert.
Auch die Zahl der meldepflichtigen Ereignisse in Grafenrheinfeld nimmt tendenziell zu. So wurden aus Grafenrheinfeld im Jahr 2007 acht Ereignisse gemeldet. Damit lag Grafenrheinfeld deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt.
Im letzten Jahr musste die alljährliche Revision des Kraftwerks auf Grund zusätzlich aufgetretener Probleme um einige Tage verlängert werden (Grund: „Geometrieänderungen der Brennelemente“, d.h. die Brennelemente haben sich verbogen). Das macht ein Konzern nicht gerne, und nur wenn es sein muss. Denn jeder Tag an dem das Kraftwerk still liegt, verliert E.ON etwa 1 Million Euro.
Auch ohne AKW Grafenrheinfeld gehen in Bayern nicht die Lichter aus
Der Siegeszug der Erneuerbaren Energien macht Kraftwerke wie Grafenrheinfeld mehr und mehr überflüssig. So wurde der Reaktor im Mai letzten Jahres über mehrere Tage in der Leistung gedrosselt wurde, weil der Strom nicht gebraucht wurde. Dazu sollte man wissen, dass Atomreaktoren für diese Form der Leistungsdrosselung nach dem Strombedarf nie konzipiert wurden, sondern als Grundlastkraftwerke. Sie werden daher wirklich nur im „äußersten Notfall“ runter gefahren. Und auch innerhalb der Atomkraftwerke gelten die Siedewasserreaktoren leichter zu regeln als die Druckwasserreaktoren. Daher ist die Leistungsdrosselung eines Druckwasserreaktors wie Grafenrheinfeld schon ein allerletztes Mittel.
Besonders drastisch war die Situation vor etwa zwei Wochen an Weihnachten. Obwohl mehrere Atomkraftwerke in Deutschland wegen technischer Probleme abgeschaltet waren musste E.ON am 25. und 26. Dezember sämtliche Atomkraftwerke in Deutschland runterfahren und trotzdem wurde der Strompreis an der Börse in Leipzig negativ. D.h. es gab Zeiten in denen der Strom nicht nur verschenkt wurde, sondern der Verkäufer sogar bis zu 20 Cent pro KWh draufzahlen musste. Die Ursache für diese Entwicklung liegt im Ausbau der erneuerbaren Energien: Bläst der Wind an Tagen, an denen wenig Strom gebraucht wird, werden selbst die Grundlastkraftwerke nicht mehr gebraucht. Davon ist auch Grafenrheinfeld nicht mehr verschont.
Bayern braucht keine Atomkraftwerke – Energiewende jetzt!
Eine Verlängerung der Laufzeiten verlängert nur das Sicherheitsrisiko und potenziert den anfallenden Müll. Der einzige Nutzen liegt bei den Energiekonzernen, die bei einer längeren Laufzeit pro Jahr bis zu 10 Milliarden Euro mehr verdienen würden.
Bayern kann auf die Atomkraftwerke verzichten und dabei trotzdem seinen Beitrag zur Erreichung des deutschen Klimaschutzziels (Reduzierung der CO2-Emissionen um 40 % bis zum Jahr 2020) leisten. Die Möglichkeiten dazu hat die grüne Landtagsfraktion vom Ökoinstitut in ihren „Bayerischen Klimaschutzzielen“ durchrechnen lassen. Einige Bausteine dieser Strategie sind
- eine innovative und konsequente Stromeinsparpolitik
- der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung
- der forcierte Ausbau der Windenergie
- die verstärkte Nutzung der Biomasse und der Geothermie in Kraft-Wärme-Kopplung
Mit dieser Klimastrategie kann aber nicht nur der Atomausstieg und ein bayerischer Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden. Mit diesen Maßnahmen werden auch die regionalen Wertschöpfungsketten im Handwerk und im Mittelstand gestärkt. Viele Milliarden Euro, die bisher in nukleare und fossile Energierohstoffe gehen, können dafür eingesetzt werden, um regionale Arbeitsplätze zu schaffen.
Schweinfurt/Grafenrheinfeld, 12. Januar 2010