Jetzt die Weichen für die langfristige Sicherheit der bayerischen Stromversorgung stellen
Aktuelle stromwirtschaftliche Lage
Die stromwirtschaftliche Lage in Deutschland ist – entgegen allen Androhungen nach der Stilllegung von acht Atomkraftwerken in 2011 – erstaunlich:
- 2012 hat die Stromproduktion weiter zugenommen, obwohl der Stromverbrauch zurückgegangen ist.
- 2012 wurde ein neuer Rekord aufgestellt: Deutschland hat 23 TWh Strom mehr exportier als importiert – so viel wie noch nie.
- Die Börsenpreise sind im kontinuierlichen Fall. Der Strompreis für Stromlieferung im Jahr 2014 lag am 23. April bei 3,92 Cent/kWh.
Ursache für diese Phänomene ist neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien vor allem eine gigantische Überkapazität im Kraftwerkspark. Diese Überkapazitäten werden in absehbarer Zeit sogar noch zunehmen. Besonders problematisch ist ein hoher Anteil an sogenannten „Grundlastkraftwerken“. Dies sind vor allem Atom- und Braunkohlekraftwerke, mit dem besonderen Merkmal, dass sie nur in beschränkten Bereichen regelbar sind und eine Drosselung auf „null“ zu längeren Betriebspausen führt. Diese schwer regelbaren Kraftwerke sind die Ursache dafür, dass Strompreise manchmal so stark sinken, dass sie sogar negativ werden, d.h. dass Kunden für den Stromverbrauch noch eine finanzielle Belohnung erhalten. Diese paradoxe Situation erschwert den Umbau des Kraftwerksparks. Angesichts der vorhandenen Überkapazitäten werden neue Investitionen vermieden, obwohl sich alle einig sind, dass möglichst rasch Atom- und Braunkohlekraftwerke aus dem Markt sollen und neue Gaskraftwerke und Pumpspeicher als Stütze für die Erneuerbaren Energien gebraucht werden.
Neun Lösungsbausteine im Bereich der Kraftwerkskapazitäten
1. Schnellere Abschaltung von Atomkraftwerken
Alte abgeschriebene Atomkraftwerke werden nicht mehr gebraucht und stehen innovativen Stromerzeugungsmethoden im Weg. Gleichzeitig sollen moderne Gaskraftwerke wie Irsching auf Kosten der Stromkunden am Leben erhalten werden, während E.ON mit Grafenrheinfeld weiterhin satte Gewinne scheffelt. Ein schnellerer Atomausstieg ist zunächst Bundessache. Bayern kann mit E.ON Gespräche führen und durch einen sicherheitsorientierten Vollzug des Atomgesetzes den Einsatz des alten Reaktors in Grafenrheinfeld beschränken.
2. Lastmanagement einführen
Die Lastspitze in Bayern beträgt 12 700 MW. Die obersten 5 %, also 650 MW werden aber nur an 21 Stunden im Jahr benötigt und dies verteilt auf mehrere Tage. Die kostengünstigste Maßnahme ist es, diesen Spitzenbedarf um ein paar Stunden zu verschieben. Damit kann man sich den Bau eines teuren Kraftwerks sparen, das nur wenige Stunden am Netz wäre. Die Staatsregierung soll die Bereitschaft zur Lastverschiebung als festen Bestandteil in ihren „Pakten“ mit der Wirtschaft verankern: ob Umweltpakt, Klimaallianz oder im angekündigten Effizienzpakt.
3. Stromeinsparung endlich konsequent angehen
In der Vergangenheit wurde Nachtstrom quasi verschleudert, weil er im Überfluss vorhanden war. Hier sollte der Schwerpunkt der Stromeinsparung ansetzen: Umstellungsprogramm für elektrische Nachtspeicherheizungen, Umstellung der Straßenbeleuchtung (z.B. im Rahmen der Städtebauförderung), Austauschprogramme für ungeregelte Heizungspumpen.
4. Ausbau der Erneuerbaren Energien
Trotz aller Lippenbekenntnisse: Die Bayerische Staatsregierung fördert den Ausbau der Erneuerbaren Energien überhaupt nicht. Der Winderlass ist vage und ermöglicht weiterhin viel Willkür, etwa bei den Ausgleichszahlungen, der dreidimensionale Windatlas wird vor der Wahl nicht mehr erscheinen, der Wasserkrafterlass wurde vorerst aufgegeben.
5. Umbau der Biogasanlagen
Mit dem „Bayernplan“ hat Landwirtschaftsminister Brunner einen sinnvollen Plan vorgelegt – nur um ihn dann wieder in der Schublade verschwinden zu lassen! Es ist vollkommen richtig: Biogasanlagen sollten nicht auch dann noch Strom produzieren, wenn wir genügend Wind- und Solarstrom im Netz haben. Dazu müssen sie umgebaut werden. Das sollte praktischerweise dann erfolgen, wenn die Motoren aufgrund von Verschleißerscheinungen sowieso ausgetauscht werden müssen. Wir wollen diesen Bayernplan umsetzen.
6. Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung
Anstatt neuer großer Gaskraftwerke wollen wir lieber viele kleine dezentrale Kraft-Wärme-gekoppelte Anlagen. Denn große Gaskraftwerke rechnen sich derzeit nicht. Kleine Blockheizkraftwerke, die Wärme und Strom produzieren, sind der Rentabilitätsgrenze nahe. Verbunden mit der Möglichkeit, auch vom Netzbetreiber gesteuert zu werden, können sie einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten.
7. Modellprojekte regenerative Kombikraftwerke
Regenerative Kombikraftwerke kombinieren intelligent verschiedene Technologien, z.B. Wind und Biogas, oder Wind, Sonne und Stromspeicher. In diesen Kombinationen garantieren sie gesicherte Leistung im regionalen Rahmen. Sie sichern nicht nur Erzeugungskapazitäten ab – darüber hinaus entlasten sie auch die Stromnetze.
8. Neue hocheffiziente Gaskraftwerke
Eindeutig nachrangig – nach Stromeinsparung, Lastmanagement, Ausbau der Erneuerbaren Energien, Umbau der Biogasanlagen, Förderung dezentraler KWK-Anlagen und regenerativen Kombikraftwerken – kommt für uns der Bau neuer Gaskraftwerke in Frage. Die von Zeil geforderten fünf Gaskraftwerke sind eindeutig zu viel. Keines wäre vermutlich zu wenig. Neue Gaskraftwerke müssen Teil der Landesplanung werden. Selbstverständlich sollten auch hier Wärmenutzungskonzepte nach Möglichkeit realisiert werden.
9. Kapazitätsmechanismus auf Bundesebene einführen und mitgestalten
Der bevorstehende technologische Umbruch in der Energieversorgung erfordert auch ein neues Marktmodell. Es ist unmöglich Solar- oder Windenergie in den bestehenden Markt zu integrieren. Vielmehr muss der zukünftige Markt grundlegend verändert werden. Ein Baustein dabei sind sogenannte Kapazitätsmechanismen. Sie sichern den Bau von Ersatzkapazitäten, die dann eingesetzt werden, wenn nicht ausreichend Erneuerbare Energien zur Verfügung stehen. Da diese unabsehbare Einsatzzeiten haben, kann die Refinanzierung nicht über die normale Stromlieferung abgesichert werden, vielmehr wird eine „Gebühr“ für die zur Verfügung gestellte Kapazität zukünftig Bestandteil des Strompreises sein. Mittlerweile fordert die Bayerische Staatsregierung einen solchen Kapazitätsmechanismus, doch lässt sie die schwarz-gelbe Bundesregierung in ihrer Untätigkeit verharren.
Stromspeicher sichern die Elektrizitätsversorgung
Stromspeicher sind gerade in einem System der Vollversorgung mit erneuerbaren Energien ein wesentlicher Baustein, weil die zeitweise Überproduktion von Strom aus Sonne oder Wind „Programm“ ist.
1. Pumpspeicherkraftwerke ausbauen
Aus technischen wie ökonomischen Gründen sind heute die Pumpspeicherkraftwerke die effektivste Form der Stromspeicherung. Auch wenn sich deren Geschäftsmodell derzeit stark wandelt: In der näheren Zukunft werden sie mit der Speicherung von tagsüber erzeugtem Solarstrom in den Abend- und Nachtstunden ein wichtiger Bestandteil der Energiewende werden. Zudem stellen sie positive wie negative Regelenergie zur Verfügung. Bayern ist trotz seiner geologischen Vorteile unterdurchschnittlich mit Pumpspeichern ausgestattet. Die Debatte um den Neubau von Pumpspeicherkraftwerken leidet seit drei Jahren unter einem Manko: Die Staatsregierung hat es bis heute nicht geschafft ein Pumpspeicherkataster vorzulegen, damit verantwortliche Entscheidungen über geeignete Standorte getroffen werden können.
2. Batteriespeicher auf der Verteilnetzebene
In Gebieten mit sehr hoher PV-Einspeisung (z.B. Allgäu oder Teile Niederbayerns) wird immer häufiger Strom aus den Verteilnetzen in höher gelagerte Netze hochgespeist. Batteriespeicher auf regionaler Ebene, gesteuert vom regionalen Netzbetreiber, können regionale Netzprobleme wie beispielsweise die Spannungs- und Frequenzhaltung lösen helfen.
3. Langfristige Speicherstrategie entwickeln
Langfristig werden Pumpspeicher und Batterien nicht ausreichend sein. Da es sehr unterschiedliche Stromspeicherbedarfe gibt (von wenigen Stunden bis zu mehreren Monaten), werden auch andere Technologien erforderlich sein. Das viel diskutierte Power-to-gas wird dabei eine wichtige, aber nicht die alleinige Technologie sein. Bayern braucht eine abgestimmte Speicherstrategie, die die unterschiedlichen Speicherbedarfe auch im zeitlichen Verlauf des Umbaus der Stromversorgung berücksichtigt.
Das Stromnetz als Rückgrat der Versorgungssicherheit stärken
In unserer Gesellschaft ist das Stromnetz der Garant für die Versorgungssicherheit. Das bisherige, an den Großkraftwerken orientierte, zentralistische Stromnetz wird nach und nach umgebaut.
1. Übertragungsnetz sinnvoll ausbauen
Wir stehen zum Ausbau des Übertragungsnetzes zwischen Thüringen und Bayern. Die „Thüringer Strombrücke“ ist zwar kurzfristig, aber nicht mittelfristig vermeidbar, wenn 2022 das letzte AKW in Bayern abgeschaltet werden soll. Über die konkrete Trassenführung ist durchaus noch eine Debatte – bei einer intensiven Bürgerbeteiligung – nötig. Die darüber hinaus geplanten Stromautobahnen (HGÜ – Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung) sollen weiter geprüft werden, sowohl was die Anzahl, den Umfang, die Trassen als auch die geplanten Verknüpfungspunkte mit dem bestehenden Übertragungsnetz betrifft.
2. Die eigentliche Herzkammer: das Verteilnetz stabilisieren
Die Verteilnetze sind in einem großen Wandel begriffen: Sie verteilen nicht nur Strom, sondern managen auch die Stromeinspeisung vieler kleiner Stromproduzenten und zukünftig auch dezentrale Stromspeicher. Doch das Verteilnetz ist in weiten Teilen eine „black box“. Wir brauchen dringend eine Verteilnetzstudie, die die kritischen Schwachstellen in unseren Verteilnetzen identifiziert.
3. Regenerative Kombikraftwerke
Sie stellen nicht nur Kraftwerkskapazitäten dar (siehe oben), sondern sie entlasten auch das Verteilnetz und tragen zur Systemstabilisierung bei. Sie sind erste Bausteine eines „intelligenten Stromnetzes“ weil sie auf der Basis von dezentraler Regelung und Steuerung basieren. Ein Grund mehr, hier endlich einige Modellprojekte in Gang zu bringen.