20. Juni 2012

AKW Temelin: Grüne Fraktion rollt das UVP-Verfahren juristisch auf

Am 22.06.2012 findet der Erörterungstermin zum UVP-Verfahren Temelin 3+4 in Budweis statt. Wir Grüne sind an diesem Verfahren seit 2008 beteiligt. Natürlich werden wir am 22.06.2012 in Budweis vertreten sein: Der niederbayerische Abgeordnete Eike Hallitzky wird für die Interessen der Grünen Landtagsfraktion vor Ort eintreten. Fachlichen und juristischen Beistand erhält die Fraktion vom Umweltinstitut München und durch Rechtsanwalt Dr. Michael Bihler (Kanzlei Wendler Tremml). Seit Jahren setzen wir Grüne uns für die Verhinderung neuer Atomkraftwerke an Bayerns Grenzen ein. Ausdrücklich danken möchte ich hier den Grünen Protagonist*innen des Widerstands in den benachbarten bayerischen Landkreisen; stellvertretend hierfür der Kreisvorsitzenden Brigitte Artmann aus dem Landkreis Wunsiedel, die sich seit Jahren mit immensem ehrenamtlichem Aufwand für demokratische Beteiligungsrechte und gegen den Bau grenznaher AKWs im europäischen Ausland einsetzt! Die Grüne Landtagsfraktion hat sich frühzeitig am UVP-Verfahren beteiligt, da entsprechende Anträge im Landtag bisher leider keine Mehrheit fanden.

Mit Sorge beobachten die Menschen in Bayern, dass die tschechische Regierung mit ihrer anachronistischen Energiepolitik an dem Neubau von Atomkraftwerken festhält. Die energiewirtschaftliche Situation hat sich jedoch gerade auch in den letzten Jahren in vielfältiger Hinsicht verändert. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat nicht nur in den Krisenjahren 2008 und 2009 sämtliche längerfristigen, ökonomischen Prognosen in Frage gestellt; auch die aktuelle „Euro-Krise“ bzw. „Verschuldungskrise“ lässt erheblichen Zweifel an den Wachstumsprognosen aufkommen. Die Katastrophe von Fukushima hat weltweit die Einschätzung der Gefahren der Atomenergie verändert und in vielen Ländern der Erde  – nicht nur in Deutschland – zu einer Neuausrichtung der Energiepolitik geführt. Parallel dazu haben die Technologien der Erneuerbaren Energien einen ungeahnten Aufschwung erlebt, der den Zeitpunkt der Konkurrenzfähigkeit der EE im Vergleich zu den bisherigen konventionellen Energien deutlich näher rücken lässt. Die Perspektiven der volatilen Sonnen- und Windenergie werden den Bedarf an so genannten „Grundlastkraftwerken“ rapide reduzieren. Langfristig sind daher nur flexible Ersatzkraftwerke im Strommarkt rentabel. All dies bekräftigt unsere Ansicht, dass der Bau von neuen Atomkraftwerken – unabhängig von der Gefahrendiskussion – auch energiewirtschaftlich eine falsche Entscheidung wäre. Die Zurückhaltung von Investoren in verschiedenen europäischen Ländern sollte der tschechischen Regierung zu denken geben.

Im Rahmen des laufenden UVP-Verfahrens haben wir das von tschechischer Regierungsseite veröffentlichte Gutachten, und dabei insbesondere die Stellungnahme zu unseren Einwendungen vom 24.8.2010, geprüft:
Der Behauptung des Gutachterteams, wonach im Fall eines Auslegungsstörfalls die grenzüberschreitende Auswirkung gleich Null wäre, gilt es energisch zu widersprechen. Wir halten deren Ansicht nicht zuletzt auch deshalb für unsachlich, da bis heute nicht bekannt ist, welcher Reaktortyp überhaupt an diesem Standort geplant ist. Wir kritisieren, dass die Zusage des tschechischen Umweltministers aus dem Jahre 2009, wonach im Rahmen des UVP eine konkrete Untersuchung der Auswirkungen jedes in Frage kommenden Reaktortyps erfolgen soll, offensichtlich nicht eingehalten wurde. Dies ist umso unverständlicher, nachdem die Entscheidung über den Reaktortyp Pressemeldungen zufolge unmittelbar bevorsteht. Eine Aussage darüber, welche Folgen ein Unfall haben könnte, ohne Anhaltspunkte über die reale Konstruktion der Anlage zu haben, ist unseres Erachtens nicht möglich. Die Behauptung, dass eine Evakuierung außerhalb einer Entfernung von 800 Metern vom Reaktor nicht nötig sein würde ist, angesichts der fehlenden Basisinformationen über den geplanten Reaktor, nicht haltbar.

Sowohl die Auswirkungen der Tschernobyl-Wolke die 1986 über Europa hing, als auch die Tatsache, dass mittlerweile radioaktivverseuchte Stoffe aus Fukushima an der Westküste der USA anlanden, sind unserer Ansicht nach deutliche Beweise dafür, dass eine Eingrenzung der radioaktiven Schäden auf ein einzelnes Land nicht möglich ist.

Zu unserer Kritik an der fehlenden Notwendigkeit für den Bau neuer Atomkraftwerke hat das Gutachterteam lediglich auf Beschlüsse und Planungen verschiedener tschechischer Regierungsstellen hingewiesen. Wir bezweifeln keineswegs die Existenz dieser Beschlüsse und Planungen (aus den Jahren 2007 und 2009); vielmehr bezweifeln wir, dass diese richtig sind. Auf die, diesen Regierungsentscheidungen zu Grunde liegenden, Annahmen und Rahmenbedingungen geht das Gutachterteam in seiner Stellungnahme leider nicht ein. Wie schon einleitend erwähnt, beurteilen wir die Situation vollkommen gegenteilig. Zumindest müssten unserer Ansicht nach die Planungen dringend aktualisiert werden.

Ähnlich verhält es sich mit unserer Kritik an der fehlenden Prüfung von Alternativen. Auch hier verweist das Gutachten lediglich auf die Notwendigkeit des Ersatzes von Kohlekraftwerken und auf Zielsetzungen der EU. Eine substanzielle Prüfung der Alternativen findet leider auch in diesem Gutachten nicht statt.

Auch die Stellungnahme zu unseren sicherheitstechnischen Einwänden ist unseres Erachtens nicht ausreichend. Auch hier gilt, dass die Sicherheitsaspekte nicht realistisch betrachtet werden können, solange der Reaktortyp nicht feststeht.

Ebenso bleibt in dem Gutachten vollkommen unklar, welche Unfallszenarien betrachtet wurden, welche Szenarien dem Restrisiko zugeordnet werden, und inwieweit bei der Definition des „Restrisikos“ neuere Entwicklungen berücksichtigt wurden.

Gerade die Standfestigkeit gegen bewusst herbeigeführte Flugzeugabstürze oder gegen terroristische Einwirkungen von außen lassen sich nicht ohne genaue Kenntnis der Konstruktion der Anlage überprüfen. Gerade beim Szenario eines Flugzeugabsturzes reicht es nicht aus, lediglich eine bestimmte Variante durchzurechnen. Vielmehr muss eine beträchtliche Anzahl von Berechnungen vorgenommen werden, bei denen unterschiedliche Flugzeugtypen, Geschwindigkeiten, Aufprallwinkel, Triebwerke und Treibstoffmengen berücksichtigt werden müssen.

Es reicht jedoch nicht aus, den Schutz der Anlagen in Bezug auf Einwirkungen von außen auf mögliche Flugzeugabstürze zu reduzieren. Ein mindestens genauso wichtiger Aspekt ist die Bedrohung durch panzerbrechende Waffen. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass in Deutschland aufgrund neuer Erkenntnisse über mögliche Tatwaffen und das Verhalten potenzieller Täter, die Sicherheit bestehender Atomanlagen von staatlichen Stellen in Frage gestellt wurde. Der Hinweis des Gutachterteams auf eine vergleichbare Praxis in anderen Ländern ist unserer Ansicht nach nicht ausreichend. Wir kritisieren diesbezüglich natürlich auch die Praxis in Deutschland.

Erhebliche Zweifel haben sich bei der Durchsicht der Unterlagen auch hinsichtlich der ausreichenden Kühlung der Reaktoren ergeben. Die am Standort vorhandenen Wasserreservoirs reichen nicht aus um, im Falle eines Störfalls, die nötige Kühlung zu garantieren. In Kombination mit einem Ausfall der Wasserleitung zum Standort können so sehr schnell nicht mehr beherrschbare Situationen entstehen.

In ähnlich kritischer Weise gilt es das Thema Entsorgung zu hinterfragen. Angesichts der vollkommen ungeklärten und seit Jahrzehnten verschleppten Entsorgungssituation für Atommüll in Deutschland, halten wir Beschlüsse der tschechischen Regierung über zu errichtende Entsorgungsanlagen, die erst im Jahr 2065 fertiggestellt sein sollen, für ein sehr schwaches Argument um langfristig die Atommüllmenge deutlich zu erhöhen. Auch die Hinweise auf die langfristigen Entsorgungsverpflichtungen durch die Betreiber bieten, angesichts der vielfältigen Möglichkeiten deren Zahlungsunfähigkeit, innerhalb dieses langen Zeitraums keine verlässliche Garantie auf einen angemessenen Umgang mit dieser drohenden Gefahr.

Abschließend möchte ich noch auf einige Verfahrensfragen eingehen, die unserer Ansicht nach nicht rechtens und im Sinne einer angemessenen Beteiligung von Nachbarstaaten auch nicht hilfreich sind. Die Festsetzung des Erörterungstermins unserer Einwendung, nur wenige Tage nach dem Schluss der Abgabefrist, weckt bei uns erhebliche Zweifel an der ordnungsgemäßen Bearbeitung. Wie können die tschechischen Behörden gewährleisten, dass die zahlreichen Einwendungen innerhalb von nur drei Tagen gründlich und fachlich korrekt geprüft werden? Es gibt in Deutschland kein vergleichbares Verfahren, das in dieser Eile durchgezogen worden wäre.

Nach der rechtlichen Prüfung unseres juristischen Beistands wäre ein Erörterungstermin in Deutschland zwingend notwendig. Die Rechtsauffassung, wonach ein Erörterungstermin in Tschechien rechtlich ausreichend sei, teilen wir ausdrücklich nicht und behalten uns juristische Schritte dagegen vor.

Die Fortführung des UVP-Verfahrens nach dem alten tschechischen UVP-Gesetz, das nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen geltendes EU-Recht verstößt, ist unserer Ansicht nach eine unerlaubte Fortführung eines Rechtsverstoßes. Wir fordern die tschechische Regierung daher auf, das UVP-Verfahren ordnungsgemäß nach dem neuen, vom tschechischen Parlament beschlossenen, UVP-Gesetz durchzuführen.

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