Volksbegehren: Offener Brief an den Vorsitzenden des Bayerischen Städtetags
Sehr geehrter Herr Dr. Gribl,
mit großer Verwunderung und Irritation haben wir den Informationsbrief Nr. 10 des Bayerischen Städtetags vom Oktober 2017 zur Kenntnis genommen, der sich u.a. mit dem Volksbegehren „Damit Bayern Heimat bleibt – Betonflut eindämmen“ beschäftigt. In dem Informationsbrief wird die Einschätzung gestreut, das Vorhaben widerspreche dem Grundgedanken des Planungsrechts und verstoße gegen die kommunale Selbstverwaltungsgarantie.
Diese Behauptung entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Sie verkennt, dass sich Planungen auf örtlicher Ebene in aller Regel höherstufigen Planungen unterzuordnen haben (vgl. § 1 Abs. 4 BauGB). So verpflichtet z.B. das in Ihrem Rundschreiben thematisierte Anbindegebot die Gemeinde, neue Siedlungsflächen in Anbindung an geeignete Siedlungseinheiten auszuweisen. Auch wir sind der Meinung, dass das Anbindegebot eines der möglichen Instrumente gegen die Inanspruchnahme neuer Flächen und die Zersiedelung der Landschaft ist. Wie Sie wissen und als Verband selbst immer wieder kritisch thematisiert haben, wurde das Anbindegebot von der Bayerischen Staatsregierung im Rahmen der Fortschreibungen des Landesentwicklungsprogramms (LEP) jedoch immer weiter gelockert und aufgeweicht.
Bündnis 90/Die Grünen haben dieses Volksbegehren zusammen mit der ödp und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft initiiert, weil wir der Meinung sind, dass der ungebremste Flächenverbrauch eines der größten ungelösten umweltpolitischen Themen in Bayern ist. Im Jahr 2015 lag der Flächenverbrauch in Bayern bei 13,1 Hektar. Diese Entwicklung geht zu Lasten von Natur und Ackerfläche, aber auch auf Kosten der Ortszentren: Mehr Geschäfte und Gewerbe auf der vormals grünen Wiese heißt weniger Angebot in den Orten. Unsere Orte verlieren an Lebensqualität. Bayern verliert sein Gesicht. Immer weniger prägen über Jahrhunderte gewachsene Städte und Dörfer und die natürliche Schönheit das Bild unseres Landes, immer häufiger Straßen, Gewerbegebiete, Logistikzentren, Möbelhäuser, Factory-Outlets und Discount-Märkte.
Gemeinsam wollen wir als Bündnispartner dieser Entwicklung Einhalt gebieten. Künftig soll der Flächenverbrauch gesetzlich auf 5 Hektar am Tag begrenzt werden. Das lässt genug Raum für weitere Entwicklung, verhindert aber, dass das Land seine Identität verliert.
Entgegen der im Rundbrief des Bayerischen Städtetags aufgestellten Behauptung verstößt das Vorhaben nicht gegen das Selbstverwaltungsrecht und die Planungshoheit der Gemeinden. Art. 11 Abs. 2 BV garantiert das Recht auf Selbstverwaltung nur im Rahmen der Gesetze. Dem Gesetzgeber kommt ein weiter Gestaltungsauftag und Spielraum zu. Äußerste Grenzen liegen in der Unantastbarkeit von Kernbereich und Wesensgehalt der Selbstverwaltung sowie im Willkürverbot. Durch die im BayLPlG angelegte Mengenbegrenzung der Neuinanspruchnahme von Fläche geht kein Entzug der gemeindlichen Planungshoheit einher. Den Kommunen bleiben alle Planungskompetenzen im Kern erhalten – für den beplanten Innenbereich weiterhin uneingeschränkt und für den Außenbereich zumindest eingeschränkt.
Ein solcher Eingriff jenseits des Kernbereichs und Wesensgehalts des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung ist hier durch überörtliche Gründe von höherem Gewicht gerechtfertigt. Angesichts des weiterhin hohen Flächenverbrauchs und des von Art. 141 Abs. 1 BV geforderten Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen liegen tragfähige Gründe für eine Mengenzielbegrenzung vor.
Durch die Höchstgrenze für den Flächenverbrauch wird die Umwandlung von unbebauter Landschaft und Natur in Siedlungs- und Verkehrsfläche bayernweit gedeckelt und damit die Ressource Boden wirksam geschützt. Außerdem wird das bayerische Landschaftsbild aus Naturschönheiten, jahrhundertelang gewachsenen Kulturlandschaften und landwirtschaftlichen Flächen bewahrt, das Bayern für seine Bürgerinnen und Bürger lebenswert und für den Tourismus reizvoll macht.
Die konkrete Aufteilung der Zielvorgabe auf die verschiedenen Planungsträger haben wir in dem Gesetzentwurf bewusst auf eine Regelung im LEP verlagert, um den unterschiedlichen Belangen der nachgeordneten Planungsträger Rechnung zu tragen. Ähnlich sieht z.B. das Bayerische Landesplanungsgesetz vor, dass die Festlegung der Zentralen Orte im LEP erfolgt. Im Gesetzentwurf ist außerdem angelegt, dass die Aufteilung nach anerkannten und statistisch verfügbaren Kriterien erfolgen soll, wobei sich hier die Bevölkerungsstärke als nachvollziehbares Kriterium anbietet. Durch die ebenfalls im Gesetzentwurf skizierte Möglichkeit, nach Größenklassen der Kommunen zu staffeln, lässt sich durch eine degressive Komponente gerade verhindern, dass große Kommunen übermäßig viel Fläche zugeteilt bekommen und den kleineren Kommunen, wie etwa den Umlandgemeinden der Metropolen oder den Gemeinden im ländlichen Raum, keine Entwicklungsmöglichkeiten, etwa für den Wohnungsneubau, verbleiben. Die 5 Hektar Flächenverbrauch pro Tag, die künftig noch möglich sind, lassen genügend Raum für weitere Entwicklung, für den Bau von Wohnungen oder Gewerbeansiedlungen. Wenn wir die Hälfte (2,5 ha) der 5 ha/Tag für den Bau neuer Wohnflächen verwenden, können wir zukünftig jährlich fast 120.000 Wohnungen bauen. Zum Vergleich: 2016 wurden in Bayern rund 54.000 Wohnungen gebaut. Die Nutzung von Leerständen und innerörtlichen Brachflächen, die Umwidmung von freien Gewerbeflächen oder Gebäudeaufstockungen sind in dieser Rechnung noch gar nicht berücksichtigt. Derzeit sind in Bayern mindestens 11.000 Hektar Gewerbeflächen ungenutzt. Dabei handelt es sich nur um die bekannten Zahlen. Da es hierfür keine Meldepflicht gibt, liegt die tatsächliche Zahl wahrscheinlich deutlich höher. Wir haben also keinen Mangel an Gewerbeflächen, sondern einen Überfluss.
Der Gesetzentwurf bezweckt nicht, wie Ihr Rundschreiben suggeriert, eine Gängelung der Gemeinden, vielmehr schafft er die Grundlage für zusätzliche flankierende Maßnahmen, die bei den Kommunen die Einsicht fördern, dass eine flächensparende Entwicklung letztendlich auch den Kommunen selbst nutzt. Von Bedeutung sind z.B. die Folgenkostenrechner, durch die den Kommunen die Kosten der Flächenneuinanspruchnahme verdeutlicht werden. Es gibt außerdem auf Bundesebene erprobte Instrumente, wie den Handel mit Flächenzertifikaten, die zusätzliche Flexibilisierungen schaffen. Es bleibt dem Gesetzgeber unbenommen, derartige Instrumente als flankierende, zusätzliche Maßnahmen zur Begrenzung des Flächenverbrauchs einzuführen.
Die Einführung von verbindlichen Mengenzielen für die Neuausweisung von Flächen ist auch erforderlich. Die Steuerung der Flächenneuinanspruchnahme sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene hat sich bislang vorrangig auf die Standortsteuerung beschränkt. In der Praxis hat das Raumordnungsrecht nur wenig Steuerungswirkung im Hinblick auf die Flächenneuinanspruchnahme entfaltet und konnte eine quantitativ zu hohe Neuinanspruchnahme nicht verhindern (Sachverständigenrat für Umweltfragen, Impulse für eine integrative Umweltpolitik, SRU-Gutachten 2016, Tz. 312). Auch das Bündnis zum Flächensparen, das Sie in Ihrem Rundschreiben ansprechen, wurde bereits im Jahr 2003 in Bayern ins Leben gerufen. Seit das Bündnis seine Arbeit aufgenommen hat, ist der Flächenverbrauch in Bayern auf einem seinem viel zu hohen Wert geblieben. Mit anderen Worten: Der Versuch, das Problem mit einer freiwilligen Lösung zu beheben, ist gescheitert.
Bei der Abwägung zwischen den Belangen der Kommunen an einer uneingeschränkten Entwicklungsmöglichkeit auch im nicht beplanten Innen- und Außenbereich auf der einen Seite, mit der staatlichen Verpflichtung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auf der anderen Seite, tritt das Recht der Kommunen auf Selbstverwaltung zurück. Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen kommt, gestützt auf fundierte Rechtsmeinungen zu diesem Thema, zu dem Ergebnis, dass eine Kontingentierung von Flächen keinen Verstoß gegen die kommunale Selbstverwaltung darstellt (SUR-Gutachten 2016, Tz. 313 m.w.N.). Auch aus diesem Grund ist uns die einseitige Darstellung der Rechtslage gegenüber der großen Empfängerzahl Ihres Rundschreibens unverständlich.
In der Vergangenheit haben wir den Bayerischen Städtetag als starken Fürsprecher einer Landesplanung wahrgenommen, die in Bezug auf den Flächenverbrauch klare Leitplanken setzt und einen „überfachlichen Planungswillen und überörtlichen Gestaltungswillen“ erkennen lässt (Ulrich Maly, Kommunalpolitisches Forum des Städtetags und der Akademie für politische Bildung, Nürnberg, 17. November 2014). So hat sich der Bayerische Städtetag bei der Verabschiedung des LEP 2013 in Bezug auf das Anbindegebot noch klar positioniert: Die Lockerung des Anbindegebots um weitere Ausnahmen „lässt einen zerstörerischen Wildwuchs für Natur und Landschaft erwarten. Die Flächensparziele des Bundes (…) rücken so in weite Ferne. Die Staatsregierung hätte die Chance, mit einem strengen Anbindegebot den Flächenverbrauch in Bayern zu senken. Damit werden Städte und Gemeinden nicht gegängelt, sie werden vielmehr beim Flächensparen unterstützt“ (Informationsbrief 1/2013). Auch bei der derzeitigen Diskussion im Rahmen der Teilfortschreibung des LEP hat der Bayerische Städtetag wiederholt die Beachtung überörtlicher Interessen angemahnt (vgl. Stellungnahme des Bayerischen Städtetags im Rahmen der Anhörung, Protokoll 65.WI vom 27.04.2017, Anlage 7). Wir hoffen sehr, dass der Bayerischen Städtetag auch in Zukunft trotz Ihres Wechsels an die Vorstandsspitze seiner bisherigen Linie treu bleibt und sich weiterhin für eine starke Landesplanung einsetzt mit dem Ziel, den ausufernden Flächenverbrauch in Bayern einzudämmen.
Gerne würden wir uns mit Ihnen in einem gemeinsamen Gespräch zu der Positionierung des Bayerischen Städtetags beim Thema Flächenverbrauch austauschen, bei dem wir auch selbstverständlich unser Vorhaben nochmals näher erläutern können. Möglicherweise lassen sich dann weitere Missverständnisse in Bezug auf unseren Gesetzentwurf besser ausräumen. Für ein Gespräch stehen wir daher jederzeit zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen, die Bündnispartner
gez.
Ludwig Hartmann, MdL Klaus Mrasek
Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landesvorsitzender der ödp Bayern
Bayerischen Landtag
Josef Schmid
1. Landesvorsitzender AbL – Bayern e.V.
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Hier habe ich Ihnen das Originalschreiben als pdf-Datei hinterlegt.