Sicherheitsrisiko Atomaufsicht: Was läuft falsch im AKW Grafenrheinfeld?
Ministerbefragung gem. § 73 GeschO auf Vorschlag der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Plenum vom 22.02.11 mit den Antworten des Umweltministers, Dr. Markus Söder (kursiv dargestellt)
Ludwig Hartmann (GRÜNE):
Sehr geehrter Herr Minister Dr. Söder,
wie Ihnen sicher hinreichend bekannt ist, gab es im Zuge der Revision am 15. Juni 2010 einen auffälligen Befund am Thermoschutzrohr des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld. Damals waren sich alle drei Beteiligten eigentlich einig – der Betreiber Eon, die bayerische Atomaufsicht, der TÜV Süd -, dass es ausreichen würde, das betreffende Element auf der Grundlage dieses Befundes in zwei Jahren in einer Ultraschalluntersuchung noch einmal zu prüfen, dass der Befund zwar eine registrierungspflichtige Schwelle überschritten hat, aber kein meldepflichtiges Ereignis ist. Dann sollen weitere Schlüsse daraus gezogen werden.
Ich frage Sie: Wie kann es sein, dass sechs Monate später folgender Sachstand eingetreten ist: Das Rohrelement wird im März 2011 herausgetrennt und ausgetauscht. Am 16. Dezember meldete Eon um 17 Uhr den Befund als meldepflichtiges Ereignis. Sodann gab es eine Weiterleitungsnachricht an alle Kernkraftwerksbetreiber, nach ähnlichen Befunden in den AKW zu suchen. Wie erklärt es sich, dass die bayerische Atomaufsicht diesen Fall im Juni letzten Jahres als registrierungspflichtig eingestuft, aber in den letzten sechs Monaten eine Kehrtwendung um 180 Grad vollzogen hat?
Des Weiteren interessiert mich: Wie ist im Juni 2010 die Frist einzuschätzen gewesen, die man braucht, um für das entsprechende Element Ersatz zu beschaffen? Mit welchen Stillstandzeiten hat der Betreiber damals gerechnet? Wie lange sollte nach der damaligen Einschätzung die Anlage abgeschaltet werden, um Ersatz zu beschaffen, falls man das Anfahren nicht mehr erlaubt hätte?
Zweiter Vizepräsident Franz Maget:
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Staatsminister Dr. Markus Söder (Umweltministerium):
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Zur Situation des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld wurde bereits mehrfach – es ist heute also nicht das erste Mal – umfassend, offen und transparent Rede und Antwort gestanden, zum einen im Umweltausschuss des Deutschen Bundestages am 19. Januar 2011, zum anderen im Umweltausschuss des Bayerischen Landtags am 27. Januar 2011. Hier hat es eine ausführliche Diskussion gegeben. Die Berichtsanträge, die gestellt worden waren, wurden damals gemeinhin für erledigt erklärt. Damals hat man sich nach Aussage des Vorsitzenden Dr. Magerl von den GRÜNEN darauf verständigt, die erneute Debatte erst dann zu führen, wenn eine Revision vorliegt. Trotzdem ist es natürlich jederzeit das Recht des Parlaments, noch einmal nachzufragen.
Wie sind die Fakten beim Kernkraftwerk Grafenrheinfeld? Das Wichtigste ist, und das wurde von allen bestätigt: Dieses Kraftwerk ist und war zu jedem Zeitpunkt sicher. Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld erfüllt wie alle anderen bayerischen Kernkraftwerke die absoluten Anforderungen des Atomrechts. Alle Sicherheitsprotokolle sind entsprechend beachtet worden. Aus heutiger Sicht jede Aktion infrage zu stellen, entspricht nicht der Realität. Wir führen als Freistaat Bayern eine strenge und konsequente Aufsicht über alle bayerischen Kernkraftwerke. Die Sicherheit hat dabei vor allen anderen Belangen absolut oberste Priorität. In Bayern muss jede Anlage die gesetzlichen Sicherheitsanforderungen jederzeit und in vollem Umfang erfüllen. Gäbe es nur den geringsten Anhaltspunkt oder den geringsten Verdachtsmoment, dass ein Kernkraftwerk nicht sicher ist, würde es sofort abgeschaltet. Jedes bayerische Kernkraftwerk wird im Jahr im Schnitt tausend Mal kontrolliert. Die Prüfungen werden sorgfältig ausgewertet und dokumentiert. Unabhängige Experten des TÜV Süd legen die Prüfergebnisse ihren sicherheitstechnischen Bewertungen zugrunde, und dann handelt die Kernkraftaufsicht auf der Basis fachlicher Bewertungen und Empfehlungen; so auch bei Grafenrheinfeld.
Seit 2001 gab es über 10.000 Überprüfungen in diesem Kraftwerk. In den letzten zehn Jahren kam es bei keiner einzigen dieser Überprüfungen zu einem Ereignis oberhalb der Stufe Null der internationalen Bewertungsskala. Das heißt, Grafenrheinfeld ist und war sicher.
Herr Hartmann, im Zuge in der Jahresrevision des Jahres 2010, die Sie ansprechen, wurde ein Rohrstück einer Ultraschallprüfung unterzogen. Dort war das gemessene Ultraecho leicht erhöht. Der TÜV Süd und das Staatsministerium bzw. die Kernkraft-Aufsicht haben dann während des Stillstands der Anlage miteinander diskutiert. Insbesondere vonseiten des TÜVs wurden materialwissenschaftliche Berechnungen eingehend geprüft und bewertet. Das Ergebnis war, und das ist das Entscheidende: Die Integrität der Rohrleitung ist voll gewährleistet. Der Befund, der sich daraus ergeben hat – das ist die entscheidende Frage -, lautet: sicherheitstechnisch absolut unbedenklich. Der TÜV sagt in einer Stellungnahme vom 15. Juni letzten Jahres: „Zusammenfassend stellen wir fest, dass die Integrität der druckführenden Umschließung durch den festgestellten Befund nicht beeinträchtigt ist. Die Aussage, dass dieser Befund sicherheitstechnisch unbedenklich sei, bestätigen wir.“ Auch auf Bundesebene gab es ab August Gespräche zwischen den Fachbehörden. Der Bund hat in der Sitzung der Reaktorsicherheitskommission am 16.12. – die Sitzungen sind nun mal in bestimmten Zeiträumen – ein einhelliges Votum dafür abgegeben, dass gegen einen weiteren Betrieb keine sicherheitstechnischen Bedenken bestünden. Anderweitige Meinungen gab es von der Reaktorsicherheitskommission zu diesem Zeitpunkt nicht und gibt es bis heute nicht. Übrigens ist der Vorsitzende dieser Kommission noch von Herrn Gabriel selbst benannt worden. Insofern sollte er bei Ihnen ein gewisses Grundvertrauen genießen. Dies und auch die Aussagen des Bundesumweltministeriums hat dann der Deutsche Bundestag bestätigt.
Diese Ultraschallanzeige vom Juni 2010 war nicht meldepflichtig, weil sie nach dem Sicherheitsprotokoll nicht notwendig war. Es wurde nämlich kein Anlass festgestellt. Damit war kein Meldekriterium gegeben. Der Betreiber hat dann nachträglich – vorläufig und vorsorglich – eine Meldung erstattet. Auch das ist wichtig: Die Kernkraft-Aufsicht in Bayern handelt bei ihren Veröffentlichungen freiwillig. Es gibt hierfür keine gesetzliche Pflicht. Dies hat damals übrigens weder ein Bundesminister Trittin noch ein Herr Gabriel gefordert und durchgesetzt. Wir haben aber vorsorglich darüber informiert. Dieser Austausch wird jetzt bereits im März 2011 vorsorglich stattfinden. Das ist im Interesse eines jeden Einzelnen.
Ich fasse zusammen. Entscheidend ist: Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld ist nach einhelliger Bewertung aller zuständigen Experten, ob das die Atomaufsicht in Bayern ist, ob das der TÜV Süd, das Bundesministerium für Umwelt oder die Reaktorsicherheitskommission ist, sicher betrieben worden. Das heißt, dass die bayerische Kernkraft-Aufsicht zu jedem Zeitpunkt konsequent und sachgerecht gehan- delt hat. Deswegen ist der nachhaltige Versuch, das immer wieder erneut infrage zu stellen, auf Dauer zum Scheitern verurteilt.
(Beifall bei der CSU und der FDP)
Zweiter Vizepräsident Franz Maget:
Die erste Nachfrage übernimmt Herr Kollege Hartmann. Bitte schön.
Ludwig Hartmann (GRÜNE):
Sehr geehrter Herr Minister Dr. Söder!
Ich weiß nicht, ob ich das Instrument „Ministerbefragung“ falsch verstanden habe. Sie haben hier einen vorgefertigten Text abgelesen, ohne konkret auf die Fragen einzugehen. Ich wollte eigentlich wissen, wie diese Meinungsänderung zustande gekommen ist. Es kann doch nicht sein, dass man sich am 15.6. einig war, dass man in zwei Jahren wieder prüft, sich aber jetzt plötzlich einig ist, dass man das Element austauschen muss. Wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie sich fast so ausgedrückt, als passiere das routinemäßig. Man hat wohl erst im Dezember entschieden, das Element auszutauschen. Wie ist es dazu gekommen? Kann es nicht sein, dass die bayerische Atomaufsicht im Juni 2010 beide Augen zugedrückt hat und man im Dezember 2010, um einer Weisung aus Berlin vorzubeugen, schnell noch gehandelt hat?
Des Weiteren ist die Frage: Gab es Probleme, das betreffende Rohrelement so schnell aufzutreiben? Man wird diskutiert haben, ob man das austauschen wollte, müsste oder nicht. Was ist dort entschieden worden? Wie lange braucht man, um das betreffende Element zu besorgen? Auf diese Frage hätte ich von Ihnen gerne eine Antwort.
Ich füge folgende weitere Frage an: Können Sie auf der Grundlage von Gutachten oder Untersuchungen ausschließen, dass das Problem nicht mit dem Lastenfolgebetrieb des Kernkraftwerkes zusammenhängt, dass sozusagen durch den möglichen Riss ein Schaden im Mechanismus systematischer Art entstanden ist und während des Anlagenbetriebs vielleicht weiter wächst? Auf welcher Grundlage können Sie faktisch ausschließen, dass durch einen möglichen Riss ein Schaden systematischer Art entstanden und gewachsen ist? Das möchte ich von Ihnen hören.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Zweiter Vizepräsident Franz Maget:
Bitte schön, Herr Dr. Söder.
Staatsminister Dr. Markus Söder (Umweltministerium):
Lieber Herr Hartmann, ich habe vorhin festgestellt, dass auch Sie Ihre Fragen vom Blatt abgelesen haben.
(Ulrike Gote (GRÜNE): Aber er hat nicht abgeschrieben! – Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN)
– Ich auch nicht.
Zweiter Vizepräsident Franz Maget:
Das musste heute irgendwann kommen. – Nein, nicht von Ihnen, Herr Dr. Söder.
Staatsminister Dr. Markus Söder (Umweltministerium):
Herr Präsident, dafür war es recht müde. Das ist wohl der Zustand der Opposition.
(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Zurufe von der SPD: Aha, aha!)
Zum ersten Punkt: Es gibt bis auf den heutigen Tag in der Sicherheitseinschätzung eine klare einheitliche Bewertung. Diese einheitliche Bewertung hat sich seit der Revision und den Prüfungen bis auf den heutigen Tag nicht geändert. Ich glaube aber, dass es sinnvoll ist, dass dann, wenn auch die Experten zu dem Ergebnis kommen, es gebe keine Sicherheitsbedenken, die Betreiber und die Aufsicht, gemeinsam entscheiden, zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine Untersuchung durchzuführen. Ich möchte wissen, was Sie gefragt hätten, wenn man praktisch entschieden hätte, das Kraftwerk länger laufen zu lassen, ohne Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Sie unterstellen quasi, es sei ein Fehler passiert, weil die Aufsicht schnell handle. Das weise ich mit Nachdruck und Entschiedenheit zurück.
Zweitens: Was und welche Ersatzteile zu beschaffen gewesen wären, ist zunächst einmal Sache des Betreibers, nämlich von Eon. Da müssen Sie Eon befragen, aber nicht uns; denn diese Frage hätte sich dann gestellt, wenn ein sofortiger Austausch notwendig gewesen wäre. Ein solcher Austausch war aber logischerweise nicht notwendig, weil für die entsprechende Stelle keine Sicherheitsbedenken bestanden haben.
Drittens: Was den Lastenfolgebetrieb betrifft, sprechen Sie eine Vermutung aus, die nicht zutrifft. In Bezug auf den Lastenfolgebetrieb sind in Deutschland generell, aber auch in Bayern, keinerlei Probleme zu erwarten. Deswegen ist aus unserer Sicht, aber auch aus Sicht der Experten, ein solcher Zusammenhang national wie international nicht herzustellen.
(…)
Ludwig Hartmann (GRÜNE):
Herr Minister Söder,
Sie haben meine Frage immer noch nicht beantwortet. Der Hinweis, ich solle Eon fragen, reicht mir nicht. Ich möchte ganz konkret von Ihnen wissen, ob die Information, wie schnell das Ersatzteil beschafft werden kann, der Atomaufsicht zum Zeitpunkt der Entscheidung im Juni bekannt war. Wenn ja, ist das mit in die Entscheidung eingeflossen oder nicht? Sie können gerne sagen, Sie wissen es nicht. Das wäre dann auch eine Antwort. Aber bitte verweisen Sie mich nicht an Eon. Ich möchte von Ihnen wissen: War der Atomaufsicht bekannt, wie lange man benötigt, um Ersatz zu beschaffen und ist das mit in die Entscheidung im Monat Juni 2010 eingeflossen?
Außerdem möchte ich jetzt noch eine zweite Frage beantwortet haben. Sie reden immer von der Einigung. Bezieht sich das auf die bayerischen Behörden, auf die bayerische Atomaufsicht, den TÜV Süd und den Kraftwerksbetreiber Eon, oder bezieht sich das auch auf andere, wie das Bundesumweltministerium, die Reaktorsicherheitskommission, die Ausschüsse und andere. Auf diese beiden Fragen hätte ich gerne eine klare Antwort, es sei denn, Sie sagen, Sie wissen es nicht.
Zweiter Vizepräsident Franz Maget:
Bitte, Herr Minister.
Staatsminister Dr. Markus Söder (Umweltministerium):
Die Diskussion, ob es eines Ersatzteiles bedarf, hat es gar nicht gegeben, und zwar deswegen nicht, weil keine Sicherheitsbedenken bestanden. Somit ist Ihre Frage in diesem Punkt praktisch erledigt. Sobald ich feststelle, ich brauche das nicht, stellt sich auch nicht die Frage, ob Ersatzteile zu beschaffen sind. Zur zweiten Frage: Die Einigung bestand. Man muss noch einmal festhalten, dass es kein meldepflichtiges Ereignis gewesen ist. Es hat ab August Gespräche auf Fachebene gegeben. Die Fachbehörden von Bund und Ländern gehen bezüglich der Sicherheit nicht Buchbinder-Wanninger-mäßig vor wie vielleicht auf anderen Politikfeldern. Es gibt da vielmehr eine enge symbiotische Verflechtung, da es eben ein sehr wichtiges Thema ist. Deswegen hat das BMU letztendlich auch festgestellt und zwar ebenso einhellig wie die RSK, dass es die gleichen Sicherheitseinschätzungen hat wie Bayern.
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Anbei finden Sie Links zu Videomitschnitten meiner Rede. Außerdem können Sie in der angefügten pdf-Datei die komplette Ministerbefragung als Auszug aus dem Plenarprotokoll nachlesen.
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