13. Juli 2011

Antrag Freie Wähler: Zusätzliche und unabhängige Gutachter für kerntechnische Prüfungen zulassen

Vierte Vizepräsidentin Christine Stahl: (…) Wir haben jetzt eine Zwischenbemerkung des Herrn Kollegen Hartmann.

Ludwig Hartmann (GRÜNE):
Sie (Markus Blume, CSU) haben das Beispiel Grafenrheinfeld angesprochen. Nachdem die Reaktorsicherheitskommission den Befund am Thermoschutzrohr aufgearbeitet hat, wurde im Umweltausschuss ausführlich darüber diskutiert. Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass die Reaktorsicherheitskommission und der Unterausschuss Materialforschung erst tätig geworden sind, nachdem sie zufällig Wind von dem Vorfall in einem bayerischen Kernkraftwerk bekommen haben und das Bundesumweltministerium darauf gedrängt hat, in diesem Fall tätig zu werden, während in Bayern zwischen der Atomaufsicht, dem Umweltministerium, dem Betreiber und dem TÜV Süd Einigkeit darin bestand, diesen Fall nicht melden zu müssen? Ist Ihnen das bekannt, oder ist es Ihnen entgangen?

Markus Blume (CSU):
Herr Kollege Hartmann, Sie glänzen bei diesem Thema immer mit vermeintlich großer Detailkenntnis.

(Dr. Hans Jürgen Fahn (FREIE WÄHLER): Die auch vorhanden ist!)

Ich will mit Ihnen darüber gar nicht in den Wettbewerb treten. Ich kann Ihnen nur das sagen, was wir wissen, was uns im Umweltausschuss berichtet wurde und was von Ihnen auch gar nicht angezweifelt wurde, dass der TÜV Süd und der Betreiber gemeinsam überhaupt erst zu diesem Ergebnis gekommen sind, welches damals übrigens nicht einmal Bestandteil des Prüfkatalogs war.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Noch schlimmer!)

Das war also eine freiwillige Leistung. Wenn jemand etwas hätte vertuschen wollen – ich sage es nur hypothetisch -, wäre nie etwas ans Licht der Öffentlichkeit gekommen. Danach gab es einen sehr transparenten Prozess, bei dem über dieses Ergebnis mit den zuständigen bayerischen Behörden und danach mit der Bundesreaktorsicherheitskommission diskutiert worden ist. Dabei ist man dann zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser Vorgang kein Problem darstellt und dass man bei der nächsten Revision das entsprechende Rohr austauscht. Ich kenne überhaupt keinen Ansatz, bei dem man etwas skandalisieren könnte. Wir können gerne darüber weiterdiskutieren, aber ich glaube, der Blick zurück wird uns bei der Gestaltung der Energiewende nicht wirklich weiterhelfen.

(Beifall bei der CSU)

(…)

Ludwig Hartmann (GRÜNE):
Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Kollege Blume, wenn ich Sie richtig verstanden habe, brächten uns der Antrag und die unabhängigen Prüfer hinsichtlich des Atomausstiegs und der Energiewende nicht weiter. Darüber kann man diskutieren. In diesem Punkt gebe ich Ihnen sogar recht. Aber es geht hier um die Sicherheit der Anlagen, nicht um die Energiewende.
Im Gegensatz zu den letzten zwölf Monaten in diesem Land gibt es jetzt einen großen Unterschied. Wir haben Kernkraftwerke, deren Laufzeiten – Gott sei Dank – zeitlich endlich befristet sind. Das bedeutet, dass die Anlage im Falle eines Vorfalls zwei, drei oder mehrere Wochen zur Prüfung abgeschaltet werden muss. Damit verlieren die Betreiber bares Geld. Das ist ein gewaltiger Unterschied zum Ist-Zustand vor zwölf Monaten. Vor zwölf Monaten wusste man, dass die Anlage, wenn sie vier Wochen abgeschaltet wird, länger laufen wird. Die Möglichkeit, Geld zu verdienen, wird dadurch weiter beschnitten, dass die Anlagen länger abgeschaltet werden müssen. Die Sorge um die Reaktorsicherheit in Bayern ist vor diesem Hintergrund durchaus gerechtfertigt. Die Betreiber werden immer auf schnelle Prüfungen drängen. In den letzten Monaten wurde Grafenrheinfeld ausführlich angesprochen. Jeder weiß noch, wie es gelaufen ist. Erstmals wurde eine mögliche Messungenauigkeit genannt. Schließlich ist gesagt worden, es könnte eine leichte Verformung am Rohr sein. Einen Riss konnte man nie ausschließen. Trotzdem hat man ihn ausgeschlossen. Später kam heraus, dass das Bundesumweltministerium, wie schon angesprochen wurde, darauf bestanden hat, diesen Fall genauer zu untersuchen. Das Umweltministerium in Bayern, der TÜV und der Betreiber waren sich darüber einig, dass es kein meldepflichtiges, sondern ein bewertungspflichtiges Ereignis ist. Das wurde dann im Dezember korrigiert. Es ist hinreichend bekannt, dass das Element ausgetauscht worden ist. Wer hätte das gedacht: Das ausgetauschte Element hatte einen Riss.
Hinsichtlich der Atomaufsicht in Bayern muss man sich Sorgen im Zusammenhang mit Isar 1 machen. Als das geheime Gutachten der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit aufgetaucht ist, ging es in diesem Hause mit dem Thema los.
Damals im Zuge der Terroranschläge ist über die Vernebelung nachgedacht worden. Laut dem Gutachten sind die Anlagen gegen Flugzeugabstürze nicht geschützt. Die Fraktion der GRÜNEN hat die gesamte Sicherheitsphilosophie des Reaktors mit einem eigenen Sicherheitsgutachten erschüttert: Grundlegende Konstruktionsmängel, geringer Schutz gegen Einwirkungen von außen, ungelöste Rissproblematik und Alterungserscheinungen sowie Alterungsermüdungen am Material kamen zum Vorschein.
Ein österreichisches Gutachten, das im Oktober letzten Jahres veröffentlicht worden ist, hat Isar 1 alles andere als sicher bewertet. Der bayerische Umweltminister hat immer nur gesagt, aufgrund der zahlreichen Prüfungen sei die Anlage sicher. Im letzten Sommer des vergangenen Jahres hat selbst der TÜV in einem Gutachten, das man drei- bis viermal durchlesen musste, bis man merkte, was gemeint war, eine ganze Reihe der Mängel bestätigt. Man kann sich nicht einfach zurücklehnen.
Die Revision des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld wurde mehrfach verlängert. Es war die längste in der Geschichte dieser Anlage. Im August letzten Jahres gab es vier meldepflichtige Ereignisse. Diese ständige Verlängerung der Revision ist für die Betreiber mit der jetzigen rechtlichen Lage und den festen Enddaten für die Laufzeiten der Atomkraftwerke nicht mehr vereinbar und ein gewaltiger Verlust für sie. Aus diesem Grund muss dort näher hingeschaut werden. Das muss durch zusätzliche und unabhängige Gutachter geschehen. Anders kann die Sicherheit nicht garantiert werden. Der Rückblick auf die letzten zwölf Monate hat die bayerische Atomaufsicht nicht gut dastehen lassen: Wir drücken ein Auge zu. Es wird schon irgendwie gut gehen, war deren Motto. So kann es nicht weitergehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Antrag der Freien Wähler wurde durch die Stimmen der Fraktionen von CSU und FDP abgelehnt.

Anbei das erwähnte Sicherheitsgutachten der Grünen Landtagsfraktion zu den Sicherheitsmängeln von Isar I. Außerdem finden Sie Links zu Videomitschnitten meiner Rede und Sie können in der angefügten pdf-Datei den Diskussionsverlauf als Auszug des Plenarprotokolls nachlesen.

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