30. Juli 2013

Wärmeversorgungsanlage Reichertshausen

Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Ludwig Hartmann, Bündnis 90/Die Grünen, vom 07. Juni 2013, mit den Antworten des Staatsministers für Umwelt und Gesundheit, Dr. Marcel Huber, vom 30.07.2013 (kursiv dargestellt)

Im Jahr 2005 wurde eine vom Freistaat mit rund 158 000 Euro (knapp die Hälfte der Gesamtkosten) geförderte Wärmepumpeanlage im Rahmen des Sonderförderungsprogramms „Initiative klimafreundliches Bayern“ in Reichertshausen offiziell ihrer Bestimmung übergeben, die seit 2004 eine Schule der Gemeinde und später auch die 2005 noch im Bau befindliche neue Gemeindebücherei mit umweltfreundlicher Wärmeenergie versorgt. Die Fachhochschule München begleitete das Projekt wissenschaftlich.
Bei der Anlage handelt es sich laut dem damaligen Umweltministerium um eine „Geothermie-Demonstrationsanlage“, die Dr. Werner Schnappauf als „Vorzeigeprojekt für ganz Deutschland“ rühmte (Quelle: Blickpunkt Reichertshausen, 2005).

Vor diesem Hintergrund frage ich die Staatsregierung:

1. a) Warum finden sich auf der Homepage des Umweltministeriums keinerlei Hinweise oder werbende Berichte über die 2004 in Nutzung genommene Wärmepumpe-Demonstrationsanlage der Gemeinde Reichertshausen?
zu 1. a): Das Projekt wird seitens der Bayerischen Staatsregierung beworben über:  
• die Wanderausstellung „Geothermie – Wärme aus der Erde“ (StMUG/StMWIVT)
(www.lfu.bayern.de/veranstaltungen/leihausstellungen/ausstellung_geothermie.htm),
• das Handbuch „Die umweltbewusste Gemeinde − Leitfaden für nachhaltige Kommunalentwicklung. Band III, Ökologie im Städtebau“ (StMUG/StMI) als Best Practice-Beispiel für nachhaltige Städtebauprojekte bayerischer Kommunen und
• die 2013 aufgelegte Broschüre „Klimaschutz Bayern 2020“ der Bayerischen Staatsregierung als Demonstrationsprojekt für CO2-Minderungsmaßnahmen in kommunalen Liegenschaften.
Ferner wird die Wärmeversorgungsanlage Reichertshausen als Referenzobjekt für
die energetische Sanierung kommunaler Altbauten mittels Erdwärmenutzung in den im Aufbau befindlichen Energie-Atlas Bayern aufgenommen.

1. b) Warum werden die von der Fachhochschule München wissenschaftlich erhobenen Daten nicht veröffentlicht?
zu 1. b) Ziel der wissenschaftlichen Begleitung durch die Fachhochschule München (FHM) in den Jahren 2005 bis 2007 war insbesondere die energetische Vermessung der Anlagenkomponenten (Wärmequelle Erdreichkollektor, Hochtemperatur-Wärmepumpenheizzentrale Schule und Wärmeverteileranlage Schule) zum Zweck einer möglichen Effizienzsteigerung durch Optimierung der Systemtechnik und Betriebsparameter.
Das Projekt wurde im Rahmen eines Beitrags in der Publikationsreihe „forschungs-NEWS“ der FHM (Nr. 1, April 2005, S. 4-6) publiziert. Die einzelnen wissenschaftlichen Ergebnisse wurden im Rahmen von vier Diplomarbeiten der FHM erarbeitet. Die gewonnenen Erkenntnisse flossen unmittelbar in die Optimierung der Wärmeversorgungsanlage bzw. die Technik des Bestandsgebäudes ein. Sie fließen ferner in den laufenden Lehrbetrieb der FHM ein sowie in die jährlich abgehaltene Fachveranstaltung „Internationales Anwenderforum Oberflächennahe Geothermie“ des Ostbayerischen Technologie-Transfer-Instituts (OTTI).
Darüber hinaus wird der Erfolg des Wärmeversorgungsprojekts durch regelmäßige Informationsveranstaltungen auf kommunaler Ebene durch die Gemeinde Reichertshausen selbst positiv transportiert.

2. a) Um welchen Anlagentyp handelt es sich in Reichertshausen?
zu 2. a): Es handelt sich um zwei unabhängig voneinander arbeitende Sole/Wasser-Wärme-pumpenheizzentralen in der Schule und der Gemeindebücherei, die über einen gemeinsamen Erdreichkollektor als Wärmequelle versorgt werden. Für den Bau des Erdreichkollektors wurden auf einer Fläche von rund 8.000 m² insgesamt rund 8,8 km PE-Rohrleitung erstmals durch die bodenschonende und wirtschaftliche Technik mittels Kabelverlegepflug eingepflügt. Die Verlegetiefe beträgt rund 1,1 bis 1,2 m.
Die Versorgung der Schule und Turnhalle mit Heizwärme und Trinkwarmwasser erfolgt durch zwei redundant betriebene Hochtemperatur-Wärmepumpen (Leistung 2 x 94 kW, maximale Vorlauftemperatur 70°C) mit technischem Speicher und Warmwasserbereitung mit Frischwassersystem. Die ursprüngliche Installation zur Verteilung von Heizwärme und Warmwasser wurde im Bestand belassen.
Bücherei und Mensa werden über eine Niedertemperatur-Wärmepumpe (Leistung 40 kW, maximale Vorlauftemperatur 40°C) mit technischem Speicher versorgt. Die Heizwärmeverteilung erfolgt über eine Fußbodenheizung, die im Sommer in Verbindung mit Kühlsegeln auch zum „freien Kühlen“ (ohne Kältemaschine) eingesetzt werden kann.

2. b) Welche Wärmetauschmedien nutzt die Anlage?
zu 2. b): In der Wärmequelle zirkuliert eine Sole aus Wasser mit 20 Vol.-% Monoethylenglykol als Frostschutzmittel. Als Kältemittel dient in den beiden Hochtemperatur-Wärmepumpen der Schule R 134a (Tetrafluorethan), in der Niedertemperatur-Wärmepumpe der Bücherei R 407c (Pentafluorethan/Difluormethan/Tetrafluorethan-Gemisch). In den verbraucherseitigen Heiz-/Kühlkreisläufen zirkuliert Wasser.

2. c) Wird die Pumpe mit (selbst erzeugtem) Strom aus erneuerbaren Energien betrieben?
zu 2. c): Selbst erzeugter Strom wird zum Betrieb der Anlage nicht genutzt. Durch einen Rahmenvertrag mit dem Energieversorger wird sichergestellt, dass 50 % des genutzten Stroms über Wasserkraft erzeugt werden.

3. a) Wie viel Wärmeenergie wurde in den vergangenen Jahren bis heute erzeugt?
zu 3. a): Die Hochtemperatur-Wärmepumpe (Schule und Turnhalle) erzeugte im Jahr 2005 rund 537 MWh Wärmeenergie, im Jahr 2006 rund 520 MWh und im Jahr 2007 rund 453 MWh. Grund der Abnahme des Energiebedarfs zwischen 2006 und 2007 waren die bautechnischen Verbesserungen in Folge der wissenschaftlichen Begleitung durch die FHM. Die Niedertemperatur-Wärmepumpe (Bücherei und Mensa) erzeugte von April bis Dezember 2007 insgesamt rund 21 MWh Wärme. Auf das ganze Jahr 2007 hochgerechnet entspricht dies rund 38 MWh. Für weitere Zeiträume und den Kühlbetrieb liegt kein Monitoring vor. 
Auf Grundlage der vorstehenden Messdaten errechnet sich für die Hochtemperatur-Wärmepumpe der Schule und Turnhalle eine Gesamt-Wärmeenergieerzeugung in Höhe von rund 4.000 MWh (2005 bis heute) und für die Niedertemperatur-Wärmepumpe in Bücherei und Mensa in Höhe von rund 245 MWh (2007 bis heute, ohne Kühlung).

3. b) Wie viel CO2 wurde dadurch durch den Betrieb der Wärmepumpe im Vergleich zu den Jahren ohne Wärmepumpe vermieden?
zu 3. b): Mit der Hochtemperatur-Wärmepumpe erfolgt gegenüber dem ursprünglichen Ölheizkessel eine CO2-Einsparung in Höhe von rund 150 Tonnen pro Jahr (Beobachtungszeitraum 2005 bis 2007, je nach meteorologischen Verhältnissen, bezogen auf den unter 2. c) genannten Strommix). Durch den Einsatz der Niedertemperatur-Wärmepumpe werden gegenüber einer modernen Ölheizung jährlich rund 9 Tonnen CO2 vermieden (nur Heizbetrieb, ohne Berücksichtigung der sommerlichen Kühlung).

4. Welche Jahresarbeitszahlen für den Zeitraum ab 2004 bis heute wurden für die Wärmepumpenanlage zur Versorgung der
a) Grund- und Hauptschule in Reichersthausen ermittelt?
zu 4. a): Die Jahresarbeitszahl der Hochtemperatur-Wärmepumpenanlage betrug unter Einbezug des Energieverbrauchs der Soleumwälzpumpen in den Jahren 2005, 2006 und 2007 jeweils rund 3,0. Für weitere Zeiträume liegt kein Monitoring vor.

4. b) Bücherei in Reichertshausen registriert?
zu 4. b): Die Jahresarbeitszahl der Niedertemperatur-Wärmepumpe wurde im Zeitraum der wissenschaftlichen Begleitung durch die FHM (April bis Dezember 2007) mit 3,5 ermittelt. Die empfohlenen Optimierungsmaßnahmen (insbesondere Anpassung Heizkurve, Schaltzyklen, Vor-/Nachlaufzeiten Umwälzpumpen) prognostizierten eine Anhebung der Jahresarbeitszahl um mindestens 1 auf mithin rund 4,5 (konservative Betrachtung). Für den Zeitraum nach Umsetzung der Optimierungsmaßnahmen liegt kein Monitoring vor.
Die Leistungszahl ε für den sommerlichen Kühlbetrieb (sogenanntes freies Kühlen) wurde im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung durch die FHM in Abhängigkeit von der Kühllast mit 20 bis 58 ermittelt. Dies bedeutet, dass mit jeder aufgewendeten kWh elektrischer Hilfsenergie rund 20 bis 58 kWh Wärmeenergie aus dem Gebäude abgeführt werden können.

4. c) Wie beurteilt die Staatsregierung diese Effizienzwerte jeweils?
zu 4. c): Eine Jahresarbeitszahl von 3,0 für eine Hochtemperatur-Wärmepumpe zum technischen Stand 2004, die in einem Bestandsgebäude (Baujahr 1969) mit erforderlichen Vorlauftemperaturen bis zu 65°C zum Einsatz kommt, ist als hervorragend zu beurteilen.
Die für die Niedertemperatur-Wärmpumpe fachtechnisch plausible, jedoch messtechnisch nicht belegte Jahresarbeitszahl jenseits von 4 liegt über dem Durchschnitt der Jahresarbeitszahlen in Höhe von 3,9, die das Fraunhofer Institut für Solare Energieforschung (ISE) in Freiburg in verschiedenen Feldstudien für Erdreich-Wärmepumpen ermittelt hat (http://wp-effizienz.ise.fraunhofer.de/german/index/). Eine Leistungszahl ε von bis zu 58 im Auslegefall 29 kW Kühlleistung für die Anlage zum „freien Kühlen“ wäre mit einer Kältemaschine weder technisch noch thermodynamisch realisierbar.  

5. Welche Gesamtkosten hat die Einrichtung der Wärmepumpe in Reichertshausen verursacht?
zu 5.: Die Gesamtkosten für die Hochtemperatur-Wärmepumpe inklusive Herstellung und Anschluss des Erdwärmekollektors beliefen sich auf rund 378.000 Euro. Davon wurden 158.026 Euro durch den Freistaat Bayern aus dem Sonderprogramm „Initiative klimafreundliches Bayern − CO2-Minderungsprogramm für kommunale Liegenschaften“ bezuschusst.  

Um Beantwortung gemäß Geschäftsordnung und Drucklegung wird gebeten.

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Anbei habe ich Ihnen meine Schriftliche Anfrage und die Antworten der Staatsregierung als pdf-Datei im Drucksachenlayout des Bayerischen Landtags hinterlegt.