20. Mai 2014

Meine Rede zur Aktuellen Stunde auf Antrag der SPD-Fraktion: „Europa besser machen: für ein Europa der Bürger, der Demokratie, der Chancen und des Wachstums!“

Ludwig Hartmann (GRÜNE):
Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist absolut unstrittig, dass die europäische Einigung eine Erfolgsgeschichte ist. Es ist auch absolut unstrittig, dass wir auf diesem Kontinent den Nationalismus und vor allem die mörderischen Kriege, die uns im letzten Jahrhundert immer wieder begleitet haben, überwunden haben.
Ich möchte aber gleich am Anfang auf folgenden Punkt eingehen: Das europäische Projekt ist für junge Menschen in den letzten zehn Jahren eine Selbstverständlichkeit geworden. Selbstverständlich ist etwa, dass man ein paar Jahre im Ausland studiert – es muss nicht immer die deutsche Hochschule sein –, dort lebt oder zur Ausbildung ins Ausland geht, dort arbeitet und später wieder zurückkommt. Das ist ganz wichtig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist eine Selbstverständlichkeit, entscheiden zu können, in welchem europäischen Land man seinem Arbeitsweg gehen möchte.
Unstrittig ist auch die Bedeutung der offenen Grenzen, des freien Warenflusses, aber auch der gemeinsamen Währung. Sie ist ein großer Garant für den Wohlstand in Bayern. Wir haben viele Unternehmen, die vom Export in EU-Staaten gewaltig profitieren. Das muss deutlich gesagt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich freue mich, dass die SPD heute diesen Titel für die Aktuelle Stunde gewählt hat. Wer sich die Rede des CSU-Kollegen Dr. Rieger angehört hat, guckt sich fast schon lieber den Werbespot des Ministerpräsidenten an, der um einiges europafreundlicher ist. Wie ich heute „Spiegel Online“ entnehmen konnte – es gibt auch eine Uncut Version, die noch europafreundlicher wirkt –, ist das erst einmal positiv. Es scheint, als hätte es die Attacken der CSU-Kolleginnen und CSU-Kollegen auf die Europa-Union und auf den SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz nie gegeben. Aber die Hoffnung, dass es besser wird, ist nicht sehr begründet; denn aktuell steht die europäische Einigung nicht gerade auf festem Grund. Das gilt nicht nur wegen der rechten Parteien und der neuen populistischen Parteien, sondern bis weit in konservative Parteien hinein werden Vorurteile gegenüber EU-Staaten geschürt. Auf Mitgliedstaaten, die wirklich vor gewaltigen wirtschaftlichen Herausforderungen stehen, die für uns unvorstellbare wirtschaftliche Probleme und eine Jugendarbeitslosigkeit von über 60 % haben, wird herabgeschaut und gesagt, wie sie Politik betreiben sollen.
In Europa wächst vor allem in den südlichen europäischen Staaten eine junge Generation heran, die in den Medien bereits als verlorene Generation bezeichnet wird. Es ist jetzt an der Zeit, dass Europa zeigen muss: Wir sind mehr als eine bessere Freihandelszone.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wer das Wahlprogramm der CSU zur Europawahl überfliegt und heute die Rede und den Werbespot des Ministerpräsidenten gehört hat, kann in Bezug auf das Wahlkampfkonzept Gerhard Polt zitieren: „Ein klares Ja zum Nein zu Europa.“

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte jetzt nicht auf alle Punkte eingehen, die in den letzten Wochen im Zuge des Europawahlkampfes diskutiert worden sind, sondern nur einen Bereich erwähnen, der mich erschreckt und erstaunt hat: Wer das Wahlprogramm der CSU liest, stellt immer wieder fest, dass Sie vom EU-Ausländer sprechen.

(Ministerpräsident Horst Seehofer: Das ist das Beste!)

– Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, EU-Bürger sind Bürgerinnen und Bürger wie Sie und ich. Es sind EU-Bürger und keine EU-Ausländer, von denen wir hier sprechen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Einer Partei, die EU-Bürger als EU-Ausländer abstempelt, fehlt es nicht nur an einer Vision für Europa; die CSU ist und bleibt auch eine bayerische Provinzpartei, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CSU.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CSU)

Es ist vollkommen richtig, was die Vorredner gesagt haben. Dem kann man sich anschließen. Wir alle wissen, dass die europäische Einigung nicht frei von kritikwürdigen Begleiterscheinungen ist. Kritik ist in vielen Bereichen angebracht. Darüber muss offen diskutiert, auch gestritten werden. Mit breiter Bürgerbeteiligung wollen wir dafür sorgen, dass Europa nicht eine Veranstaltung der Regierungen der Mitgliedstaaten und der EU-Kommission, sondern der Bürgerinnen und Bürger ist. Richtig ist auch: Europa braucht mehr Transparenz und weniger Entscheidungen in Hinterzimmern, mehr Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und weniger Einfluss von Lobbyisten. Vor allem muss uns die europäische Einigung eine Herzensangelegenheit sein; sie darf nicht auf einen technischen Prozess reduziert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Für uns ist Europa eine Wertegemeinschaft, nicht nur eine bessere Freihandelszone.
Am Schluss möchte ich noch einen Punkt ansprechen, der uns von der Regierungspartei deutlich unterscheidet. Wenn Sie von der CSU Probleme mit Entscheidungen in Europa haben, dann schimpfen Sie meist pauschal auf die EU, statt sich vor Ort dafür einzusetzen, dass die Entscheidungen anders gefällt werden. Beispiele sind die Gentechnik, die Privatisierung der Trinkwasserversorgung und das Freihandelsabkommen mit den USA. Entscheiden Sie in Europa richtig mit! Das ist Ihre Aufgabe.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

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Hier geht es zu einem Videomitschnitt meines Redebeitrags. Über die dortige Playlist können Sie sich auch die gesamte Diskussion zu diesem Tagesordnungspunkt anschauen.