21. April 2020

Rede im Landtag zur aktuellen Lage hinsichtlich der Corona-Pandemie

 

Wo Einschränkungen von Freiheit und Grundrechten nicht mehr verhältnismäßig sind, wird ihre Rückgabe schlicht rechtlich und moralisch zur Pflicht. Wir müssen die Menschen entlasten, die in den letzten Wochen am meisten zu kämpfen hatten: Alleinerziehende und junge Familien, die sich zwischen Kinderbetreuung und Arbeit zerrissen haben, um erfolgreich bei der Eindämmung mitzuwirken. Jetzt ist es auch an der Zeit, die Notbetreuung deutlich auszuweiten. Und wir müssen die Konjunkturprogramme gegen die Auswirkungen der Corona-Krise so gestalten, dass sie konjunkturstützend und klimaschützend sind.

 

Meine vollständige Antwort auf die Regierungserklärung von Ministerpräsident Markus Söder zur aktuellen Lage hinsichtlich der Corona-Pandemie am 20. April 2020:

 

Die letzten fünf Wochen haben uns Alle vor eine gewaltige Herausforderung gestellt, die wir so noch nie erlebt hatten. Die Bilder aus Nord Italien, wo die Infektionszahlen außer Kontrolle geratenen waren und deren Gesundheitssystem überfordert haben. Die Berichte von Pflegekräften und Ärztinnen, die am Ender ihre Kräfte waren und nicht mehr allen helfen konnten.

Es war richtig, dass wir in Bayern schnell und umfassend gehandelt haben, das möchte ich heute hier ganz deutlich sagen. Dass die getroffenen Maßnahmen deutlich Wirkung zeigten und es nicht zur befürchteten Überforderung unseres Gesundheitssystems gekommen ist, ist der Verdienst unzähliger Menschen in unserem großartigen Land. Junge gesunde Menschen haben sich in ihrer Freiheit eingeschränkt, um ältere Mitmenschen vor dem Virus zu schützen. Das ist gelebte Solidarität, die unsere Gesellschaft so stark macht. Die letzten Wochen haben gezeigt: das Gemeinsame ist stärker als das Trennende in unserem Land. Darauf können wir, der große demokratische Teil des Hohen Hauses – stolz sein.

Seit letzter Woche genesen mehr Menschen als sich neu mit dem Corona-Virus anstecken. Damit ist der Ausbruch in Deutschland beherrschbar geworden. Es hat mich gefreut, vom Bundesgesundheitsminister zu lesen: „Unser Gesundheitssystem war nie überfordert“. 
Ich möchte hinzufügen: Und das trotz der vielen systembedingten Schwächen in unserem Gesundheitssystem. Verursacht durch den immer höheren Kostendruck, trotzdem haben die Pfleger, Ärztinnen und alle im Gesundheitswesen tätigen Personen die Situation hervorragend gemeistert.

Dafür ein ganz großes Dankeschön – verbunden mit dem Versprechen: Wir Grüne werden weiterhin dafür kämpfen, dass diese Schwächen endlich behoben werden, wie zum Beispiel die schlechte Bezahlung der Pflegekräfte.

Trotz den vielen Erfolgen der letzten Wochen, wir müssen so ehrlich sein, die gesundheitliche Gefahr, die vom Corona-Virus ausgeht, wird erst verschwinden, wenn es einen Impfstoff oder ein Medikament dagegen gibt. Das kann dauern. Das heißt, wir müssen erstmal mit der Corona-Herausforderung leben und einen Weg zurück in den Alltag finden, der unser Gesundheitssystem im leistungsfähigen Korridor hält.

Angesichts der kurzen Debattenzeit heute möchte ich mich auf zwei Punkte konzentrieren, die bisher zu kurz gekommen sind:

Das Thema Lockerungen – wo wir an die jüngsten genauso wie an die ältesten denken müssen und die Konjunkturprogramme, wo wir den Klimaschutz mit anpacken müssen

Es ist ein sehr schmaler Grat zwischen einem fürsorgenden und einem bevormundenden Staat.
Die starken freiheitlichen Eingriffe waren aus zwei Gründen nötig, um die Infektionskurve beherrschbar zu machen um wertvolle Zeit zu gewinnen – damit wir die Versorgungskapazitäten in den Krankenhäusern steigern konnten. Beides haben wir nun erreicht.

Wo Einschränkungen von Freiheit und Grundrechten nicht mehr verhältnismäßig sind, wird ihre Rückgabe schlicht rechtlich und moralisch zur Pflicht.

Nach dem letzte Woche für viele Bereiche Lockerungen angekündigt wurden, bleibt die Situation von Kindern und Familien weiterhin ein blinder Fleck. So richtig es ist, für gefährdete ältere Menschen spezielle Maßnahmen zu ergreifen, damit sie nicht isoliert sind, genauso ist es das Gebot der Stunde, eine Isolation der Kinder zu verhindern.

Während die Schülerinnen und Schüler der Abschluss- und Übergangsklassen zumindest wissen, wann sie wieder in die Schule dürfen, gilt für die Kleinen und Kleinsten bisher nur das Prinzip Hoffnung.

Aus der Sicht von Kindern sind Monate eine Ewigkeit. Eine Ewigkeit in der sie nicht in die Schule oder den Kindergarten dürfen. Kinder brauchen nicht nur Mama und Papa. Kinder brauchen Kinder zum Spielen, um gemeinsam ihre kleine Welt zu entdecken. Kinder brauchen Kinder wie die Luft zum Atmen.

Hier muss ein Gleichgewicht gefunden werden, das die Interessen der Kinder und Eltern genauso berücksichtigt wie die Beherrschbarkeit der Infektionskurve. Uns ist bewusst, dass das nicht der einfachste Weg ist. Aber in der Politik ist es oft so, dass der notwendige Weg – nicht der einfachste ist.

Hier braucht es mehr Mut. Und Mut ist hier nicht falsch zu verstehen. Mut heißt nicht einfach, in den Modus vor 5 Wochen zurückzukehren. Sondern Mut, abseits, pragmatisch und kreativ in neunen Wegen zu denken. Wir haben sehr unterschiedliche Infektionszahlen in Bayern. Deshalb müssen wir auch regional angepasste Lösungen anbieten.

Nehmen wir die Menschen in den Blick, die in den letzten Wochen am meisten zu kämpfen hatten. Alleinerziehende, Junge Familien, die sich zwischen Kinderbetreuung und Arbeit zerrissen haben, um erfolgreich bei der Eindämmung mitzuwirken. Die müssen wir jetzt entlasten.

Dafür müssen wir dringend, ab kommendem Montag, die Notbetreuung deutlich ausweiten. Bis zu 1/3 Drittel der Normalkapazität muss sie im ersten Schritt abdecken. Vor Ort sollte geprüft werden, wieviel Fachpersonal einsetzbar ist und wie die Räumlichkeiten so genutzt werden können, dass in Kleingruppen dieses Angebot geschaffen werden kann. Dabei ist es wichtig, dass Bezugspersonen und Kinder in festen Gruppen zusammenkommen, um die Infektionsgefahr einzudämmen.

Darüber hinaus müssen wir ermöglichen, dass sich zwei oder drei Familien zu einer Betreuungsgemeinschaften zusammentun können. Natürlich immer die gleichen Familien, um das Infektionsrisiko niedrig zu halten – um sich so zum Beispiel in Miethäusern die Kinderbetreuung etwas aufteilen zu können und damit die Kinder gemeinsam im Innenhof spielen können. Das wäre ein Weg, den wir durchaus gehen könnten.

Auch Kinder, die die Grundschulen besuchen, brauchen ein Angebot, dass ihnen eine Form von Alltag zurückgibt und den Kontakt zur Lehrerin ermöglicht. Zum Beispiel können Kindersprechstunden in kleinen Gruppen zeitlich versetzt angeboten werden. So kann das daheim gelernte mit der Lehrkraft durchzugehen werden.

So können wir unsern Kinder – Schritt für Schritt – ihr Recht auf Gegenwart zurückgeben.
Dass der Besuch bei Oma und Opa noch länger warten muss, ist leider eine traurige Selbstverständlichkeit.

 

 

Unser Leitgedanke muss sein „Sicher durch die Krise – nachhaltig aus der Krise“. Nachhaltig hier im doppelten Sinne:

Erstens: Die Infektionszahlen müssen beherrschbar bleiben. Daher brauchen wir auch für diejenigen dringend Lösungen, die in Bereichen arbeiten, in denen erst nach und nach vorsichtige Lockerungen möglich sein werden. Wir müssen den Menschen und Betrieben aus den Bereichen Kultur, Gastro, Tourismus und Kreativwirtschaft Brücken bauen, damit wir ihre Leistung für unser Land nicht dauerhaft verlieren.

Zweitens: Die Konjunkturprogramme müssen unsere Wirtschaft in eine nachhaltige Zukunft führen.
Das Szenario nach der Banken- und Finanzkrise nach 2008 darf sich nicht wiederholen: Die Klimaüberhitzung geriet damals aus der politischen und öffentlichen Wahrnehmung, wertvolle Zeit für eine ökologische Transformation unserer Wirtschaft ging verloren. 
 Jetzt ist die Zeit, die Konjunktur zu stützen, Innovationen zu beschleunigen und neuen Ideen zum Durchbruch zu verhelfen, die Konjunktur anzukurbeln und Arbeitsplätze zu sichern.

Konjunktur stützen – Klima schützen, das muss die Messlatte für unsere Konjunkturprogramme sein.

Wir stützen unsere Wirtschaft mit Milliarden, die unsere Kinder später aufbringen müssen. Wir haben daher die Verantwortung dieses Geld so auszugeben, dass dies auch in ihrem Sinne ist – und spätestens seit Fridays for Future und Ihren Gesprächen mit Ihren eigenen Kindern ist auch Ihnen, Herr Söder, bewusst, dass die junge Generationen Klimaschutz von uns erwarten.
Wir helfen jetzt alle generationsübergreifend zusammen, um ältere Menschen vor dem Corona-Virus zu schützen. Das ist richtig und nötig.

Ich hoffe, dass wir nach der Corona Krise genauso entschlossen und generationenübergreifend handeln, um den Kampf gegen die Klimakrise zu bestehen. Das dann für unserer Kinder und Enkelkinder.