1. September 2021

Corona: Solidarität und Schutz durch Impfung und Tests

 

Unsere Verfassung macht es deutlich: Unser Staat schuldet den Menschen ihre Grund- und Freiheitsrechte. Was man schuldet, das gibt man zurück. Wo die Einschränkung von Freiheiten und Grundrechten nicht mehr verhältnismäßig ist, wird ihre Rückgabe rechtlich und moralisch zur Pflicht. Also wenn sich jemand nicht impfen lassen mag und sich nicht Solidarisch mit Kindern und mit Menschen mit Vorerkrankungen zeigt, die sich nicht impfen lassen können, dann kann sie oder er nicht erwarten, dass alle anderen auf ihre Freiheit verzichten. Gut ist auch, dass Sie beim Thema Clubs, Diskotheken, wie Sie es nennen, unser Konzept vom Juli 2021, also von vor zwei Monaten aufgegriffen haben. Damals haben wir gefordert, 3G bei Clubs einzusetzen, also: geimpft, genesen oder getestet. Wir haben das zu einer Zeit in die Debatte eingebracht, als es wichtiger gewesen wäre als jetzt. Das war das Zeitfenster, als wir die großen Festivals, partyähnliche Zusammenkünfte von Menschen in unseren Parks und Städten hatten. Ich hätte mir aber gewünscht, dass Sie deutlicher ausführen, wie der Start zum Schulbeginn aussieht, wie das Testen mit PCR-Lolli-Pool-Test wirklich umgesetzt wird. Was wäre – als Vorschlag für den Schulstart, damit er gut funktioniert – wenn wir einfach sagen: Am ersten Tag werden alle mit einem PCR-Test getestet, und am zweiten Tag geht die Schule los, um wirklich verlässliche Ergebnisse zu haben? Viele haben sich, Gott sei Dank, impfen lassen, auch viele – es könnten deutlich mehr werden, da bin ich bei Ihnen – viele die nicht zu einer Risikogruppe gehören, die es aber getan haben, um andere Menschen zu schützen. Genau diese Solidarität brauchen wir, um Corona langfristig zu besiegen. Es ist richtig, wir alle wollen keinen Impfzwang, aber wir müssen das Angebot so gut machen, dass man es leicht annimmt, dass man wirklich gerne mitmacht. Ich möchte wirklich alle Menschen in unserem Land bitten, die noch nicht geimpft sind, sich das wirklich gut zu überlegen, sich die Informationen zu holen. Ich bin davon überzeugt: Viele werden zu der Entscheidung kommen, dass man sich guten Gewissens impfen lassen kann, und vor allem zu der Einsicht, dass man sich und andere damit schützt; darauf kommt es an.

 

Die ausführliche Rede im Bayerischen Landtag zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten am 01. September 2021:

Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was bereits gestern und heute bei der Pressekonferenz verkündet worden ist, wurde heute noch einmal im Landtag verkündet.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, was Sie heute verkündet haben, ist nicht mehr und nicht weniger als das Gebot der Stunde. Da bin ich bei Ihnen. Beim Ziel sind wir uns wohl einig. Wir wissen, dass die Impfquote deutschlandweit bereits 60 % erreicht hat. Die Infektionslage ist komplett anders einzuschätzen. Deshalb brauchen wir natürlich eine völlig andere Lageeinschätzung als bisher. Die von Ihnen angekündigten Lockerungen der Corona-Einschränkungen sind verfassungsrechtlich geboten. Nicht einig sind wir uns beim Weg und dem Management. Uns allen war klar: So-bald die Impfkampagne gestartet ist, werden wir irgendwann einmal zu einem Zeitpunkt kommen, an dem 60 % oder mehr geimpft sein werden. Unsere Verfassung macht es deutlich: Unser Staat schuldet den Menschen ihre Grund- und Freiheitsrechte. Was man schuldet, das gibt man zurück. Wo die Einschränkung von Freiheiten und Grundrechten nicht mehr verhältnismäßig ist, wird ihre Rückgabe rechtlich und moralisch zur Pflicht. Ich sage das nicht zum ersten Mal im Bayerischen Landtag.

 

„Wo die Einschränkung von Freiheiten und Grundrechten nicht mehr verhältnismäßig ist, wird ihre Rückgabe rechtlich und moralisch zur Pflicht.“
– Ludwig Hartmann

 

Wir haben schon einige Corona-Wellen erlebt, gerade läuft die vierte. Ich freue mich, dass Sie jetzt auf diesen Weg eingeschwenkt sind; denn die Akzeptanz der Maßnahmen, die wir zu einem Zeitpunkt, als die Inzidenzen noch relativ hoch waren und die Krankenhäuser eine hohe Auslastung hatten, mitgetragen haben, sinkt. Die Inzidenzzahlen sind bereits im Frühsommer deutlich gesunken. Die Akzeptanz der Maßnahmen ist dadurch bereits im Sommer deutlich zurückgegangen. Ich möchte ganz deutlich sagen: Es ist immer eine eigene Entscheidung, wenn sich jemand nicht impfen lassen möchte. Eine solche Person zeigt sich nicht mit Kindern und Menschen mit Vorerkrankungen solidarisch; diese Menschen können sich nämlich nicht impfen lassen. Eine solche Person kann deshalb nicht erwarten, dass alle anderen auf ihre Freiheit verzichten.

Für Geimpfte und Genesene müssen die Einschränkungen enden. Wir haben jetzt eine Impfquote von über 60 % und eine geringe Auslastung der Krankenhäuser. Einschränkungen sind da nicht mehr verhältnismäßig. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, dass Sie jetzt diesen Weg gehen. Gute Dinge darf man kopieren, auch in der Politik. Herr Ministerpräsident, Sie haben gestern bei der Pressekonferenz zweimal erwähnt, wie oft Sie nach Baden-Württemberg geschaut und dortige Regelungen aufgegriffen haben. Deshalb ist es selbstredend, dass wir diese Maßnahmen mittragen, die Sie aus einem grün-regierten Bundesland übernommen haben.

Herr Ministerpräsident, wir begrüßen, dass Sie die Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich komplett aufheben. Sie haben sicherlich noch die Situation von vor anderthalb Jahren im Kopf, als die ersten Beschlüsse gefasst worden sind. Gut, dass diese Situation endet und diese Beschlüsse komplett aufgehoben werden.

Gut ist auch, dass Sie beim Thema Clubs, Diskotheken, wie Sie es nennen, unser Konzept vom Juli 2021, also von vor zwei Monaten aufgegriffen haben. Damals haben wir gefordert, 3G bei Clubs einzusetzen, also: geimpft, genesen oder getestet. Wir haben das zu einer Zeit in die Debatte eingebracht, als es wichtiger gewesen wäre als jetzt. Das war das Zeitfenster, als wir die großen Festivals, partyähnliche Zusammenkünfte von Menschen in unseren Parks und Städten hatten. Polizei, Anwohner und Eltern wären dankbar gewesen, wenn wir schon zu diesem Zeit-punkt diesen pragmatischen Weg gegangen wären. Jetzt kommt: Lieber später als nie. – Da will ich gar nicht so kleinlich sein, Hauptsache es kommt. Das ist ganz wichtig, nicht nur für die Betreiber*innen der Clubs, sondern auch für die jungen Menschen, die sich so stark eingeschränkt haben, um in der ersten, zweiten und dritten Corona-Welle Ältere zu schützen. Es ist ganz klar: Das Feiern muss für die jungen Menschen wieder möglich sein, bevor Corona ihre ganze Jugend verschlungen hat.

 

„Lieber später als nie. Das Feiern muss für die jungen Menschen wieder möglich sein, bevor Corona ihre ganze Jugend verschlungen hat.“
– Ludwig Hartmann

 

Ich möchte noch mal zu einem Punkt kommen, den ich vorher kurz angesprochen habe: wie man sich darauf vorbereiten kann. Sie haben lange über das Impfen gesprochen, Herr Ministerpräsident; da bin ich vollkommen bei Ihnen, da haben Sie viel Richtiges gesagt. Ich hätte mir aber gewünscht, dass Sie deutlicher ausführen, wie der Start zum Schulbeginn aussieht, wie das Testen mit PCR-Lolli-Pool-Test wirklich umgesetzt wird. Sie haben am Anfang richtig gesagt, die höchste Inzidenz sei bei den 16- bis 19-Jährigen. Das würde doch heißen, die besten und verlässlichsten Testverfahren genau in dieser Gruppe an den Schulen einzusetzen. Aber genau das machen Sie jetzt nicht; Sie bleiben bei den Grund- und Förderschulen; da werden die PCR-Tests eingeführt. Machen Sie im Bildungsbereich bitte nicht nur einen halben, sondern einen ganzen Schritt in die richtige Richtung! Da muss es vorbereitet werden, damit das Sicherheitskonzept, das Sicherheitsnetz, wirklich funktioniert. Das sind wir unseren Kindern wirklich schuldig.

Wir brauchen ja nur in das Bundesland Ihres Kanzlerkandidaten zu blicken. Das wollen wir, glaube ich, hier in Bayern nicht erleben, dass bereits 14 Tage nach dem Schulstart wieder 30.000 Schulkinder in Quarantäne sind. Die Inzidenzen bei den Schülern sind dort deutlich nach oben gegangen. Das heißt doch: Dieses Schutzkonzept muss man gut vorbereiten. Inhaltlich sind wir auf einer Linie, die Schulen offenzuhalten, weil Schule Lebensraum und auch ein Ort zum Wohlfühlen für die Kinder ist, wo sie soziale Kontakte kennenlernen sollen. Das ist vorzubereiten. Ich sage das deshalb so deutlich, weil wir das dritte Schuljahr mit Corona erleben. Sie hatten lange genug Zeit, das richtig vorzubereiten. Die PCR-Tests sind organisatorisch kompliziert – da bin ich bei Ihnen –: Das muss eingesammelt, muss schnell ausgewertet werden. Aber Österreich macht es uns vor, es funktioniert. Was wäre – als Vorschlag für den Schulstart, damit er gut funktioniert –, wenn wir einfach sagen würden, um wirklich verlässliche Ergebnisse zu haben: Am ersten Tag werden alle mit einem PCR-Test getestet, und am zweiten Tag geht die Schule los? Wir wollen die Schulen doch dauerhaft sicher und stabil offenhalten. Da wäre der PCR-Test die richtige Wahl. Mich wundert’s dass Sie da wirklich wieder nur den halben Schritt gehen und nicht den Ganzen.

 

„Wir wollen die Schulen dauerhaft sicher und stabil offenhalten.
Da wäre der PCR-Test die richtige Wahl.“
– Ludwig Hartmann

 

Bei der Schule müssen wir uns immer bewusst sein, dass die Situation seit einein-halb Jahren besteht; Sie haben es richtig angesprochen. Sie hätten auch sagen können, man hat Sachen versprochen, die man nicht halten konnte. – Da brauchen wir jetzt nicht tiefer einzusteigen. Aber Sie haben deutlich gemacht, wie schwierig das ist. Wenn man das seit eineinhalb Jahren weiß, warum kann man das dann nicht richtig vorbereiten, damit das Schuljahr mit einem richtig guten Testkonzept startet? Ich kann das nicht verstehen, allein aus dem Grund: Das Testen an den Schulen trägt zur Eindämmung der Pandemie bei, weil wir genau wissen, was dort passiert und weil dort die Inzidenzen gerade so hoch sind. Darauf zu hoffen, dass das Impfen dort schnell vorangeht, ist mir etwas zu wenig – ich sage es ganz deutlich.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die Menschen haben in den letzten Monaten wirklich Zusammenhalt bewiesen.
Vor allem haben sie sich an die Abstandsregeln und an die Hygienekonzepte gehalten; viele haben sich, Gott sei Dank, impfen lassen, auch viele – es könnten deutlich mehr werden, da bin ich bei Ihnen –, die nicht zu einer Risikogruppe gehören, die es aber getan haben, um andere Menschen zu schützen. Genau diese Solidarität brauchen wir, um Corona langfristig zu besiegen. Herr Ministerpräsident, ich glaube, Sie haben eine Viertelstunde lang über die all-gemeine Einordnung gesprochen – das kann man tun, das gehört mit dazu –, sehr viel über das Impfen, wie wichtig das sei. Sie haben auch über das Nord-Süd-Gefälle gesprochen. Das ist richtig, die Zahlen habe ich mir auch angeschaut. Ich frage mich aber: Wäre das nicht genau der Punkt beim Thema Impfen? Ist das nicht genau die Stelle, wo es richtig wäre, den Ehrgeiz, den Wunsch, immer Erster zu sein, ganz vorne zu stehen, richtig einzusetzen? Das wäre doch die Aufgabe, und da braucht Bayern eine deutlich bessere Impfkampagne, als sie heute läuft; das wissen wir ganz genau.

 

„Viele haben sich impfen lassen, auch viele, die nicht zu einer Risikogruppe gehören, die es aber getan haben, um andere Menschen zu schützen. Genau diese Solidarität brauchen wir, um Corona langfristig zu besiegen.“
Ludwig Hartmann

 

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen,
wir haben es mehrfach angesprochen, dass wir die Impfkampagne auf bessere Füße stellen müssen. Gestern wurde gesagt, dass es jetzt die Informationen in mehreren Sprachen gibt. Das ist richtig und gut. Kommen sie aber auch dort an, wo sie ankommen müssen? Schaffen wir es, dass Fake News verschwinden und wir deutlich machen, wie sicher die Corona-Impfung ist? Schaffen wir es, ein Angebot zu machen, dass die Impfung zu den Menschen kommt und nicht umgekehrt?

Da müssen wir deutlich besser werden. Ich bitte Sie, den Blick nicht nur auf die Schule zu richten. Es ist richtig, dort ein gutes Angebot zu machen, aber bitte vernachlässigen Sie nicht die Erwachsenen, die sich auch noch impfen lassen sollen, damit die Impfquote deutlich steigt. Es ist richtig, wir alle wollen keinen Impfzwang, aber wir müssen das Angebot so gut machen, dass man es leicht annimmt, dass man wirklich gerne mitmacht. Ich möchte wirklich alle Menschen in unserem Land bitten, die noch nicht geimpft sind, sich das wirklich gut zu überlegen, sich die Informationen zu holen. Ich bin davon überzeugt: Viele werden zu der Entscheidung kommen, dass man sich guten Gewissens impfen lassen kann, und vor allem zu der Einsicht, dass man sich und andere damit schützt; darauf kommt es an. Wir müssen die Impfkampagne deutlich beschleunigen; denn wir alle wissen, dass Corona in der kälteren Jahreszeit wieder auf einen Höhepunkt kommen kann; das wissen wir aus den letzten Monaten. Das heißt, wir haben da nicht mehr ganz so viel Zeit. Da müssen wir deutlich besser werden.

 

„Ich möchte wirklich alle Menschen in unserem Land bitten, die noch nicht geimpft sind, sich das wirklich gut zu überlegen,
sich die Informationen zu holen.“

– Ludwig Hartmann

 

Wir GRÜNE haben bereits in der Erwiderung auf die Regierungserklärung im April 2020 gesagt, wie wichtig es ist, die Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten immer ganz genau abzuwägen. Bei einer Impfquote von 60 % im Land, die hoffentlich noch steigt, ist für uns der Zeitpunkt erreicht, an dem die Einschränkungen für Geimpfte und Genesene zurückgenommen werden müssen.

Übrigens: Es sind ja keine Privilegien, die der Staat genießt, sondern es sind unverhandelbare Grundrechte. Sie müssen zurückgegeben werden, wenn es das Infektionsgeschehen zulässt. An diesem Punkt sind wir aktuell. Ich möchte am Schluss noch um eines bitten, Herr Ministerpräsident. Sie haben selber angesprochen, man kann das vier Wochen früher oder ein paar Wochen später tun. Mich erstaunt trotzdem der Zeitpunkt. Ich finde, die Maßnahmen sind richtig, und sie gehen in die richtige Richtung, aber wenn man sich so lange Zeit lässt, diesen Punkt zu setzen – ich will Ihnen gar nicht mal Wahltaktik vorwerfen; das kann man machen, muss man aber nicht machen –, wäre es doch umso wichtiger gewesen, diese Maßnahmen richtig vorzubereiten. Das Gleiche trifft auch bei der Krankenhausampel zu. Das Instrument ist richtig. Aber was genau daraus folgt, wenn die Ampel umspringt, dazu sind Sie ziemlich im Vagen geblieben.

In Ihrer neuen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung ist dazu wenig zu finden. Ich finde, die Menschen im Land haben schon einen Anspruch darauf, zu erfahren, was dann folgt, wenn die Ampel auf Rot springt. Dass das passiert, wünschen wir uns alle nicht; darauf sollten sie aber vorbereitet sein. Das haben Sie heute leider nicht gesagt. Ich vermisse das. Das zeigt, dass es Ihnen heute doch wieder eher um Wahlkampf als darum ging, die Weichen auf Sicherheit für die nächsten Monate in der Corona-Pandemie zu stellen.