21. Dezember 2012

Forschungsreaktor Garching: „Kumpanei“ zwischen Betreiber und Behörde?

„Was ist los mit Garching II?“ Diese Frage stellt der energiepolitische Sprecher der Landtagsgrünen, Ludwig Hartmann, nach Bekanntwerden des außerplanmäßigen Herunterfahrens des Forschungsreaktors aufgrund stark erhöhter radioaktiver Emissionen. „Dieser Fall ist nach unseren Kenntnissen bislang bayernweit einzigartig“, so Hartmann weiter, „und erschüttert nicht zuletzt das Vertrauen in die Kompetenz des Reaktorbetreibers.“ Denn offensichtlich hätten die regelmäßigen Eigenmessungen der TU München nicht die richtigen Ergebnisse geliefert; stattdessen reagierte man erst auf Messungen des eigentlich nicht zuständigen Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS).
Von einem „ignoranten Verhalten der Betreiber“, spricht Ludwig Hartmann auch im Zusammenhang mit der Veröffentlichungspolitik. Die Probleme seien verheimlicht worden, eine entsprechende Pressemitteilung findet sich nur im Archiv der Webseite, statt auf der Seite mit den aktuellen Meldungen. “Das reiht sich in eine lange Geschichte von Vertuschungen ein“, erinnert der Grüne Energieexperte. Er verweist auf die ständig gestiegene Umweltradioaktivität in Garching zwischen 2007 und 2010, die außerplanmäßig lange Umbauphase bis Oktober 2011 und die immer noch nicht gelöste Problematik von Korrosionsablagerungen. „Dass auch das Umweltministerium als Aufsichtsbehörde hierzu hartnäckig schweigt, ist nicht hinnehmbar und lässt den Verdacht der Kumpanei zwischen Betreiber und Behörde aufkommen“, so Ludwig Hartmann abschließend. Die Grünen haben im Bayerischen Landtag eine offizielle Anfrage zur Klärung aller Vorgänge rund um die außerplanmäßige Abschaltung des Forschungsreaktors eingereicht.

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Dazu noch ein paar erläuternde Hintergrundinfos:

Probleme im Forschungsreaktor Garching

Am Forschungsreaktor Garching (FRM II) sind auffällig hohe radioaktive Emissionen
aufgetreten, die Anlage wurde am 9. November abrupt heruntergefahren.
In einer sehr versteckt gehaltenen Mitteilung vom 9. November 2012 – sie ist auf der Homepage des FRM II bereits im „Archiv“ gelandet, obwohl ältere Pressemitteilungen noch unter „News“ verzeichnet sind – wird noch von einer Unterbrechung des 30. Reaktorzyklus gesprochen.
Tatsächlich ist der 30. Reaktorzyklus aber frühzeitig beendet worden. Hintergrund des abrupten Abbruchs des Reaktorzyklus sind unerwartet hohe Emissionen des radioaktiven Isotops 14C. Laut Genehmigungsbescheid darf der Forschungsreaktor jährlich 20 Milliarden Becquerel emittieren. Weitere Einschränkungen: innerhalb eines halben Jahres dürfen nur 50 % und täglich weniger als 1 % der Jahresmenge abgegeben werden.
Nach unseren Informationen waren die 14C-Emissionen zum Zeitpunkt der Abschaltung bereits in der Nähe der erlaubten Jahresgesamtmenge. Normalerweise sind die Jahresemissionswerte bei kerntechnischen Anlagen im einstelligen oder geringen zweistelligen Bereich der Genehmigungswerte.
Jahrelang unentdeckter Messfehler?
Die Abschaltung des Reaktors erfolgte wohl nur, weil behördlicherseits festgestellt wurde, dass die vom FRM II selbst gemessenen Abgabewerte in der Vergangenheit nicht richtig waren. Es ist daher nicht auszuschließen, dass es bereits in den vergangenen Jahren erhöhte, d.h. genehmigungsüberschreitende radioaktive Emissionen gab. Um dies zu klären, habe ich bereits eine parlamentarische Anfrage eingereicht.
Bayerisches Umweltministerium ahnungslos?
Das Bayerische Umweltministerium hat zu diesem Vorgang bisher keine öffentliche Stellungnahme abgegeben. Auch das viel gerühmte, im Internet angeblich nachvollziehbare, bayerische Kernreaktor-Fernüberwachungssystem gibt keinerlei Auskunft über die 14C-Emissionen des FRM II. Es ist nicht bekannt, ob das Bayerische Umweltministerium über die Erreichung des Jahresgrenzwertes auf Grund eigener Überwachungsmaßnahmen überhaupt informiert war. Es ist ebenso wenig bekannt, ob das Bayerische Umweltministerium von sich aus auf die Einstellung des Reaktorbetriebs gedrängt hat. Für uns ist es nicht nachvollziehbar, warum das Bayerische Umweltministerium nicht die Öffentlichkeit über diesen Vorfall informiert hat.
Der FRM II wird mit einem Brennelement betrieben. Dieses Brennelement ist, laut ursprünglicher Planung für 56 Tage Einsatz geplant gewesen. Die letzten Reaktorzyklen und die zukünftig geplanten Reaktorzyklen gehen von einer 60-tägigen Einsatzzeit aus. Ursprünglich waren jährlich fünf Reaktorzyklen geplant. Mittlerweile sind es nur noch vier, die pro Kalenderjahr geplant werden. In 2012 wurden auf Grund der drohenden Grenzwertüberschreitung nur drei vollständige Reaktorzyklen erreicht.
Nach den Jahresberichten Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung des BfS sind die 14C-Jahresemissionen in Garching im Zeitraum 2007 bis 2010 kontinuierlich gestiegen.
Bereits von Oktober 2010 bis Oktober 2011 war der FRM II über ein Jahr nicht in Betrieb. Die geplanten Umbaumaßnahmen verzögerten sich mehrfach. Eine weitere größere Unterbrechung hat der FRM II bereits für das Jahr 2014 angekündigt.
Die von uns im April 2011 veröffentlichte Problematik der Korrosionsablagerungen, die vom Bayerischen Umweltministerium mit den Worten „sehr dünner Belag von Eisenoxid“ beschrieben wurde, ist nach unserem Kenntnisstand immer noch nicht gelöst.

Zusammenfassend:

1. Die immens hohen Emissionen (normalerweise befinden sie sich im Prozentbereich der genehmigten Werte) weisen darauf hin, dass der Reaktor nicht so funktioniert, wie er geplant war. (Ursprünglich waren fünf Reaktorzyklen/Jahr geplant, jetzt musste bereits zum Beginn des 4. Zyklus abgebrochen werden)

2. Es ist uns kein Fall bekannt, dass jemals in Bayern ein Reaktor wegen zu hoher Emissionen im Normalbetrieb abgeschaltet werden musste.

3. Die Tatsache, dass die Eigenmessungen der TU München offenbar nicht richtig waren erschüttert das Vertrauen in die Kompetenz der Reaktorstation weiter.

4. Die erneute Geheimhaltung um die bestehenden Probleme bei den 14C-Emissionen ist typisch für das ignorante Verhalten der Reaktorbetreiber und reiht sich in eine lange Geschichte von Vertuschungen ein.

5. Das Schweigen des Umweltministeriums als Atomaufsichtsbehörde ist unerklärlich und bestätigt den Verdacht der Kumpanei zwischen Betreibern und Behörde.

Stand: 20.12.2012

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