25. März 2021

Corona- Pandemie: Verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen – mit Tempo, Pragmatismus und Klarheit

Meine Antwort auf die Regierungserklärung zur aktuellen Lage hinsichtlich der Coronapandemie von Ministerpräsident Markus Söder im Bayerischen Landtag am 24. März 2021:

 

Eine Regierung kann ihrer Bevölkerung viel abverlangen, wenn sie deren Vertrauen hat. Das hat das Frühjahr 2020 in der ersten Corona-Welle gezeigt.

Vertrauen ist ein hohes Gut in einer repräsentativen Demokratie.
Vertrauen ist die Voraussetzung, die unsere vielfältige Gesellschaft zusammenhält.
Vertrauen ist die Grundlage, um gemeinsam Krisen zu meistern.

 

Wir befinden uns jetzt bereits im zweiten Jahr der Corona-Pandemie. Und ich muss ihnen sagen: Sie haben in vielfacher Hinsicht Vertrauen verspielt.

Ziemlich genau vor einem Jahr wurden Krankpfleger und Ärztinnen aufgerufen, FFP2-Masken mehrfach zu verwenden, obwohl es medizinisch kaum zu vertreten war. Es war eine absolute Notlage, in der sich Ärzte und Pflegerinnen ohne richtige Schutz Ausrüstung um Kranke kümmerten.

In dieser größten Krise nach dem Zweiten Weltkrieg denken CSU-Politiker nicht ans Anpacken für unser Land, sondern an ihren eigenen Geldbeutel. Sich an der Not anderer zu bereichern, das ist unerträglich.
Ich bin immer noch entsetzt, was hier passiert ist.

Die CSU-Masken-Affäre stellt viele alte CSU-Amigo-Geschichten in den Schatten.

 

Ich streite mich gerne mit Ihnen über die besten Ideen und Lösungen für unser Land. Hier aber erwarte ich von der CSU-Fraktion, dass sie eine deutliche Verschärfung des Abgeordneten-Gesetzes endlich mitträgt. Dass Nebeneinkünfte auf Euro und Cent genau veröffentlicht werden – und zwar ab dem ersten Euro. Geschäfte von Abgeordneten mit Ministerien müssen unterbunden werden!

Es ist Aufgabe von Parlamentariern, dem Gemeinwohl zu dienen und die Regierung zu kontrollieren. Deals mit Ministerien zu machen, gehört nicht dazu.

 

Vertrauen haben Sie nicht nur mit der CSU-Masken-Affäre verspielt. Sondern auch durch das Fehlen einer tragfähigen Strategie durch die Corona Pandemie.

Anfang des Monats haben sie den zweiten Schritt vor dem Ersten gemacht. Das war ein gravierender Fehler, wie wir heute sehen. Und wie Sie, Herr Ministerpräsident, zurecht sagen: Corona verzeiht keine Fehler. So ist es.

Impfen ist die einzige Langfriststrategie. Aber das entbindet Sie nicht von der Pflicht, bei Impfstoffmangel die richtigen Rahmenbedingungen zur Bekämpfung und Eindämmung der Pandemie aufs Gleis zu setzen, um mehr Freiheit durch mehr Sicherheit zu ermöglichen bis die Impfkampagne ihre Wirkung erzielt.

 

Der Vorschlag einer Testpflicht an Schulen in Hotspot Regionen einzuführen, damit die Schulen für unsere Kinder offenbleiben können, ist nicht verkehrt. Aber auch hier gilt: Bitte erfüllen Sie erst Ihre Pflicht, bevor Sie den Menschen neue auferlegen. Ihre Pflicht ist es, dass in allen bayerischen Schulen die versprochenen Schnelltests angeboten werden – mindestens zwei Mal pro Woche.

Ihre Ministerien haben mir gerade erst bestätigt: Nicht einmal für das Schul- und Kita-Personal stehen in allen Landkreisen für die nächsten Wochen ausreichend Selbsttests zur Verfügung, trotz vollmundiger Ankündigungen ihrerseits. Von den Tests für die Schüler*innen ganz zu schweigen.

 

Nur wer seine eigene Pflicht erfüllt, der kann Andere in die Pflicht nehmen. Nicht andersherum.
Lenken Sie nicht mit neuem Aktionismus für morgen von heutigen Fehlern ab.

Sie sprechen jetzt davon, die Möglichkeit von Gurgel-Selbsttests „zu klären“. Im letzten Herbst gab es bereits ein Pilotprojekt an einer privaten Schule im Großraum-München von einem bayerischen Labordienstleister. Gurgel-Tests funktionieren, sie müssen sie nur schnell und flächendeckend an unseren Schulen umsetzen. Wir müssen raus aus dem Denken in Modellprojekten und Pilotphasen. Wenn wir dem Virus mal einen Schritt voraus sein wollen, müssen wir grundsätzlich schneller werden.

 

Laut eines Sprichworts „lernt man den guten Steuermann erst im Sturm kennen“, Herr Ministerpräsident. Bleiben wir in diesem Bild: Sie haben die Brücke zu oft sich selbst überlassen, um gegenüber der Mannschaft an Deck große Reden zu schwingen. Dabei sind sie gewaltig vom Kurs abgekommen. Dass weiterhin keine Entspannung in Sicht ist, ist auch ihren Versäumnissen geschuldet.

 

Herr Ministerpräsident, sieht haben vor paar Wochen gesagt “Osterurlaub oder Osterlockdown – das hängt jetzt von jedem Einzelnen ab”

Sie schieben damit die Verantwortung ab und verspielen Vertrauen. Die große Zahl der Menschen hält sich seit Monaten an die Auflagen und schränkt sich bis zur Belastungsgrenze ein, verzichtet auf Treffen mit Freunden und Eltern, aber verzweifelt langsam daran, dass die Aufgaben, die nicht im persönlichen Wirkungskreis jedes einzelnen liegen, nicht entschlossen genug angegangen werden. Bereiche, in denen die Regierung die Hebel des Handelns in der Hand hält: Mehr Schnelltest, bessere Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter und mehr Wissen über das Infektionsgeschehen, um effizientere Schutzmaßnahmen ergreifen zu können. Sicherstellen, dass im zweiten Jahr der Corona-Pandemie die Software SORMAS in den Gesundheitsämtern endlich läuft – all das liegt in der Verantwortung der Regierenden.
Die Verantwortung für den Schutz der Gesundheit allein auf die Bürgerinnen und Bürger abzuwälzen, ist die völlige Selbstaufgabe ihrer Regierung.

Nehmen Sie sich endlich selbst in der Pflicht – das wäre ein erster Schritt, um verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.

 

Nicht nur in meinen Augen geht Vertrauen verloren, wenn Reden und Handeln nicht übereinstimmen: Kinder und Jugendliche zuerst. Da waren wir uns doch mal einig. Die Realität sieht aus Kinderaugen anders aus. Für Schülerinnen und Schüler heißt es: Distanzunterricht, während Baumärkte offenbleiben.

Viele Eltern und auch ich kommen da zu dem Schluss: Der neue Akkuschrauber liegt ihnen näher als die Bildungs- und Teilhabechancen unserer Kinder.

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Kinder leiden überdurchschnittlich unter den Maßnahmen. Sie bewegen sich normalerweise zwischen den drei sozialen Räumen: Familie, Schule und Freunde. Der Lockdown hat ihnen zwei dieser drei sozialen Räume genommen. Sie sind in ihrer Lebensrealität also viel stärker eingeschränkt als die meisten Erwachsenen.

Wir brauchen endlich eine klare Prioritätensetzung, nach der entschieden wird. Wenn Bayern Familienland ist, dann schließt zuerst der Baumarkt und nicht die Kita oder Grundschule.

 

Wenn wir den Kleinsten mehr von ihrem Leben zurückgeben möchten, heißt das auch, in anderen Bereichen müssen wir beim Infektionsschutz entschlossener handeln.

Homeoffice muss weiter der Standard sein. Das Ifo-Institut hat ermittelt, dass das Homeoffice-Potenzial nur rund zur Hälfte ausgeschöpft wird. Da braucht es mehr Verbindlichkeit.

Wo Homeoffice nicht möglich ist, müssen zwei Mal pro Woche verpflichtend Tests am Arbeitsplatz angeboten werden.
Und: Holen wir doch jetzt das nach, was über Weihnachten verpasst wurde: Zwei Wochen Betriebsferien über Ostern in allen Unternehmen, um das Infektionsgeschehen in kurzer Zeit effektiv abzubremsen.

Im Interesse unserer Kinder, damit nach Ostern mit funktionierenden Test-Konzepten Schulen flächendeckend geöffnet sein können.

 

Auch beim Impfen heißt es Vorausdenken und das Land vorbereiten für die Zeit, wenn die Impfstoff-Mengen in den nächsten Wochen deutlich zunehmen. Ich erwarte, dass dann alle Impfdosen, die pro Woche geliefert werden, auch in der Lieferwoche verimpft werden.

Das funktioniert nur, wenn wir jetzt auf vorhandene Strukturen setzen.

Deshalb: Sofort Hausärzte, Fachpraxen, Betriebsärzte in die Impfkampagne einbinden! Wir haben fast 5.000 niedergelassene Allgemeinärzte in Bayern, dazu tausende Fachärzte. Und Betriebsärzte in größeren Unternehmen können wegen der kurzen Wege extrem schnell impfen – manche Betriebe melden, sie könnten locker 500 bis 1000 Impfungen pro Woche in die Arme bringen. Wir müssen dieses Potenzial nur pragmatisch und entschlossen nutzen, die Struktur ist schon da. Niemand soll dann noch die Hausarztpraxis oder die Fachärztin ohne Impfangebot verlassen.

Durch Fehler im Krisenmanagement ist enorm viel Vertrauen verloren gegangen. Das sorgt für berechtigten Frust im Land und schmälert die Bereitschaft mitzumachen.

Deshalb brauchen wir jetzt mehr Tempo, Pragmatismus, Klarheit im Handeln und in der Kommunikation. Das ist das Entscheidende.

 

Ich bin immer bereit, über Parteigrenzen hinweg zu arbeiten, im Interesse unseres Landes. Es geht um Lösungen und nicht darum, die knalligsten Überschriften zu produzieren. Das sage ich aus tiefster Überzeugung. Das ist mein Verständnis von Verantwortung.

Die Wissenschaft hat Verantwortung übernommen und Großartiges geleistet: in der Impfstoffentwicklung, bei der Infektionsforschung, bei der Entwicklung von Schnelltests. Nahezu alle Bürger*innen haben vorbildlich und verantwortlich für sich und andere gehandelt.

Jetzt sind Sie an der Reihe: Schnellteststrategie flächendeckend umsetzen, Kontaktnachverfolgung hochfahren, jetzt endlich die Impfkampagne sauber vorbereiten: Das ist Ihre Verantwortung. Das erwarte nicht nur ich, das erwarten die Menschen in Bayern.

 

Viele Menschen sind berechtigt sauer über das schlechte Krisenmanagement der Regierung. Die letzten 48 Stunden haben das nicht besser gemacht. Das kann ich gut verstehen. Meine Bitte an alle: Sauer sein und gleichzeitig vernünftig. Ich bitte Sie alle, halten Sie sich weiter an die geltenden Corona-Schutzmaßnahmen – in unser aller Interesse.