30. November 2021

Strommarkt und Strominfrastruktur – welche politischen Rahmenbedingungen braucht die Energiewende?

Ein Hauptpfeiler für effektiven Klimaschutz ist eine klimaneutrale Energieerzeugung. Die Stromversorgung in Bayern muss auf 100% erneuerbare Energie umgestellt werden. Der Weg dorthin ist jedoch weit – bis 2025 muss der Freistaat voraussichtlich 40 bis 50 Prozent des in Bayern verbrauchten Stroms importieren.

 

Anfrage Ludwig Hartmann (S. 36): Drucksache 17/8655 (landtag.de)

 

Für einen starken Industriestandort sind Stromimporte aber nicht nur ökologisch äußerst unklug, sondern führen auch wirtschaftlich auf Kollisionskurs. Die moderne und nachhaltige Energiegewinnung muss gefördert, der Ausbau Erneuerbarer Energien samt zügigerer Planungs- und Genehmigungsfahren, die Unterstützung des Netzausbaus priorisiert und 10H gekippt werden. Das Ziel der Landtags-Grünen ist eine zu hundert Prozent sichere und saubere Energieversorgung Bayerns.

 

„Für einen starken Industriestandort sind Stromimporte nicht nur ökologisch äußerst unklug, sondern führen auch wirtschaftlich auf Kollisionskurs.“
– Ludwig Hartmann

 

Eine große Aufgabe, denn ein neues Stromsystem braucht eine andere Infrastruktur. Doch welche Rahmenbedingungen auf landespolitischer Ebene sind notwendig, um die Stromerzeugung, die Strominfrastruktur und die Stromnutzung zukunftsfähig aufzustellen – ökologisch und sozial gerecht und volkswirtschaftlich sinnvoll? Um diese Fragen zu klären, haben die haben die Landtags-Grünen im November 2021 die unterschiedlichen Akteur*innen und Interessen der Stromversorgung zu einem „Grünen Stromgipfel für Bayern“ zum Austausch geladen.

 

Foto: Andreas Gebert

 

Anwesend waren von der Seite der Stromversorger*innen die Vereinigung der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW), den Verband Kommunaler Unternehmen (VKU), die Stadtwerke München (SWM) und den Landesverband Erneuerbare Energien (LEE Bayern). Als Vertreter der Netzbetreiber war das Bayernwerk anwesend. Den Bereich der stromverbrauchenden Wirtschaft repräsentierten die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw), die Industrie- und Handelskammer Oberbayern (IHK) und die Audi AG. Als Sprachrohr der Beschäftigten wurde die IG Metall eingeladen. Die Umweltbewegung wurde durch den Bund Naturschutz in Bayern (BN) und Fridays for Future vertreten. Die Grüne Landtagsfraktion war durch den Fraktionsvorsitzenden Ludwig Hartmann und den energie- und klimapolitische Sprecher Martin Stümpfig vertreten.
Die Vorträge der Gäste und die anschließende Diskussion sollten einen ehrlichen Austausch über die großen Baustellen der Energiewende und die notwendigen Handlungsschritte ermöglichen.

 

„Es ist wichtig, dass wir in diesem Transformationsprozess im Dialog bleiben. Denn nur gemeinsam können wir die Energiewende in Bayern erfolgreich umsetzen und damit unsere Wirtschaft zukunftsfähig aufstellen.“
– Ludwig Hartmann

 

Nach einem kurzen einführenden Statement der grünen Bundestagsabgeordneten Julia Verlinden zu den energiepolitischen Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen, konzentrierte sich die Gesprächsrunde wieder auf die energiewirtschaftliche Situation im Freistaat. Unter der Leitfrage: „Welche konkreten Handlungsmöglichkeiten sehen Sie auf der Ebene des Freistaats Bayern in den Bereichen Stromerzeugung, Strominfrastruktur und Stromnutzung im Hinblick auf die Transformation zu einer ökologischen, sozial verträglichen und volkswirtschaftlich sinnvollen Elektrizitätsversorgung?“ konnten alle Teilnehmenden reihum ihre Ansätze darstellen.

Großen Konsens gab es bei allen Teilnehmer*innen für die Bedeutung der Akzeptanz in der Bevölkerung für die Energiewende. Nur durch die Schaffung bzw. den Erhalt der Akzeptanz würden die Pläne der Bundesregierung auch umgesetzt werden können. Um die Zustimmung der Menschen zu gewinnen, spiele die Politik eine entscheidende Rolle. Es komme darauf an, dass die Politik einheitlich und auf allen Ebenen die Energiewende und die damit verbundenen Projekte unterstützt. Es wäre kontraproduktiv, wenn man sich im Landtag für Windkraft und Netzausbau ausspreche, dann aber einzelne Abgeordnete, Parteigliederungen oder Bürgermeister*innen (übrigens aller Parteien!) sich konkreten Vorhaben entgegenstellen würden.

 

„Wir müssen die moderne und nachhaltige Energiegewinnung fördern, den Ausbau Erneuerbarer Energien samt zügigerer Planungs- und Genehmigungsfahren vorantreiben und 10H kippen!“
Ludwig Hartmann

 

Überraschend eindeutig fiel auch das Bekenntnis zur Windkraft in Bayern und zur Abschaffung der 10H-Regelung aus. Dies ist einerseits nachvollziehbar, da angesichts steigender Preise an der Strombörse der Ausbau der Windkraft für eine Senkung der Strompreise sorgen würde, andererseits war diese Einigkeit verwunderlich, da die Staatsregierung schon seit langer Zeit an dieser Regelung unbeeindruckt gegenüber den Positionen der Verbände festhält.

 

Foto: Andreas Gebert

 

Auch der Netzausbau, sowohl auf der Verteilebene als auch beim Übertragungsnetz, wurde unisono als eine Achillesferse der Energiewendepläne gesehen. Besonders im Verteilnetz seien die „freien Kapazitäten“ aus früheren Zeiten weitgehend aufgebraucht und werden Verstärkungs- und Ausbaumaßnahmen in erheblichem Umfang notwendig machen.
Ebenfalls weitgehend einig war man sich dabei, dass Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden müssten. Dazu müsse vor allem das Personal in den Genehmigungsbehörden aufgestockt werden. Auch eine stärkere Standardisierung der Verfahren wurde angeregt.
Es wurde betont, dass Energiewende und Naturschutz grundsätzlich vereinbar sein können. Wie genau dies gelingen könnte, wurde jedoch kontrovers diskutiert.
Als großes Problem der Energiewende wurde – wie auch in anderen Wirtschaftsbereichen – der Fachkräftemangel identifiziert. So fehlten beim Ausbau der Photovoltaik, deren Netzanschluss und dem Netzausbau z.B. Elektrotechniker. Hier brauche es offensichtlich noch mehr Initiativen von verschiedenen Seiten, um den Fachkräftemangel zu beheben.

 

„Wir brauchen eine Kommission gegen Bürokratie in der Energiewende, um Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, einen Bürger*innen-Rat für einen starken gesellschaftlichen Rückhalt der Energiewende und eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung für regionale Planungsverbände. Mit diesen Einrichtungen schaffen wir Tempo, Akzeptanz und Planungssicherheit und machen Bayern zum Energiegewinner-Land.“
– Ludwig Hartmann

 

Trotz mehrerer Gemeinsamkeiten kamen in der Runde auch Differenzen zu Tage. So war der Neubau von Gaskraftwerken grundsätzlich unstrittig, jedoch gab es unterschiedliche Vorstellungen über den Umfang des Zubaus und darüber, wie lange die „Übergangstechnologie“ eingesetzt werden solle. Auch die Frage nach der Flexibilität auf der Stromnutzungsseite konnte nicht einheitlich beantwortet werden: Muss wirklich Strom in beliebiger Menge jederzeit an jedem Ort kostengünstig zur Verfügung stehen? 
Wasserstoff war nur am Rande Thema der Diskussionen. Vielleicht auch deswegen, weil wir in Bayern im Vergleich zu anderen Bundesländern noch weit entfernt von überschüssigem EE-Strom sind.

 

Foto: Andreas Gebert

 

In der Debatte war erkennbar, dass einige Teilnehmer*innen nicht nur die Landespolitik im Blick hatten, sondern die Gelegenheit nutzten, um Erwartungen an die Grünen (insbesondere als Teil der neuen Bundesregierung) zu formulieren. Der Stromgipfel war ein guter Auftakt, um auch in Bayern konkrete Hindernisse der Energiewende gemeinsam anzugehen. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass Bayern den Anschluss bei der Energiewende nicht verliert.