Artenschutz in Bayern – Insektenvielfalt und -vorkommen
Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Ludwig Hartmann (Bündnis 90/Die Grünen) vom 14.11.2017, mit den Antworten der Staatsministerin für Umwelt und Verbraucherschutz, Ulrike Scharf, vom 18.12.2017 (kursiv dargestellt)
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
die Schriftliche Anfrage beantworte ich unter Einbeziehung des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wie folgt:
Vorbemerkung:
Der Umweltausschuss des Bayerischen Landtags hat Anträge der Fraktionen der CSU, der SPD, der Freien Wähler und von Bündnis 90/Die Grünen betreffend den Rückgang der Insektenfauna in Bayern beschlossen. Dementsprechend wird die Staatsregierung dem Landtag einen Bericht vorlegen, der vorliegende Daten und Kenntnisse über die Erhaltungssituation von Insekten und Vögeln zusammenfasst, mögliche Ursachen für Bestandstrends darstellt und über Maßnahmen zum Schutz dieser Tiergruppen informiert. Darüber hinaus hat die 89. Umweltministerkonferenz (UMK) den Bund gebeten, ein bundesweites Insektenmonitoring zu entwickeln.
1. a) Wie beurteilt die Staatsregierung die aktuellen Meldungen zum dramatischen Arten- und Abundanzverlust bei Insekten?
Antwort auf 1. a): Der Erhalt der biologischen Vielfalt ist ein wichtiges Ziel der bayerischen Umweltpolitik. Dies hat die Bayerische Staatsregierung mit der im April 2008 beschlossenen Bayerischen Biodiversitätsstrategie und dem 2014 in Kraft gesetzten Biodiversitätsprogramm bekräftigt.
Die Staatsregierung hat die Berichterstattung über Untersuchungen zur Biomasse fliegender Insekten anhand von 96 Stichproben in anderen deutschen Ländern aus den Jahren 1989 bis 2016 zur Kenntnis genommen.
1. b) Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Staatsregierung?
Antwort auf 1. b): Die Staatsregierung wird die Situation in Bayern untersuchen und dem Landtag einen Bericht über die Erhaltungssituation der Insekten in Bayern vorlegen (vgl. Vorbemerkung).
1. c) Welchen Kenntnisstand hat die Staatsregierung bezüglich der aktuellen Situation von Insekten im Hinblick auf Artenvielfalt und Häufigkeit der Vorkommen (Abundanz) in Bayern (bitte einzelne Ordnungen so detailliert wie möglich separat darstellen)?
Antwort auf 1. c): Eine detaillierte Darstellung des Kenntnisstandes der Staatsregierung erfordert umfangreiche Recherchen und Ausarbeitungen, die im Rahmen der zur Beantwortung einer Schriftlichen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht leistbar sind. Es wird deshalb auf den vorgesehenen Bericht (siehe Antwort auf Frage 1. b) verwiesen.
2. a) Betreibt die Staatsregierung ein Monitoringprogramm zur Artenvielfalt und Abundanz-Entwicklung von Insekten in Bayern?
Antwort auf 2. a): Der Erhaltungszustand der Insektenarten, die der FFH-Richtlinie unterliegen, wird alle sechs Jahre für den FFH-Bericht erfasst und bewertet. Im Rahmen der landkreisbezogenen Naturschutzfachkartierungen des Bayerischen Landesamtes für Umwelt werden standardmäßig alle Vorkommen besonders naturschutzrelevanter Arten von Tagfaltern, Widderchen, Heuschrecken, Libellen und ausgewählten Arten anderer Insektengruppen überprüft. Diese Wiederholungskartierungen ergeben wichtige Befunde über die Bestandsentwicklung. Darüber hinaus werden einige Artengruppen für die Fortschreibung der Roten Listen untersucht.
2. b) Wenn ja, welche Rückschlüsse sind aus den Daten der letzten Jahre zu ziehen?
Siehe Antwort auf Frage 1. c).
2. c) Wenn nein, wie genau will die bayerische Staatsregierung ein derartiges Insekten- Monitoringprogramm einführen?
Antwort auf 2. b) und c): Die Staatsregierung beabsichtigt, die Entwicklung eines bundesweiten Insektenmonitorings, wie es die UMK vom Bund erbeten hat (vgl. Vorbemerkung), zu begleiten und dann ein darauf abgestimmtes Monitoringprogramm in Bayern einzuführen.
3. a) Lässt sich in Bayern in den letzten 30 Jahren ein Rückgang der Populations- dichte und Artenvielfalt von Insekten beobachten?
Antwort auf 3. a): Siehe Antwort auf Frage 1. c).
3. b) Wenn ja, welche Insektenarten sind besonders betroffen?
Antwort auf 3. b): Siehe Antwort auf Frage 1. c).
3. c) Welche Insektenarten sind in Bayern in den letzten 30 Jahren ausgestorben?
Antwort auf 3. c): Es wird davon ausgegangen, dass folgende Insektenarten in den vergangenen 30 Jahren in Bayern ausgestorben sind:
Große Höckerschrecke Arcyptera fusca
Regensburger Heufalter Colias myrmidone
Kleiner Waldportier Hipparchia alcyone
Mond-Azurjungfer Coenagrion lunulatum
Rote Schuppensandbiene Andrena rufizona.
4. a) Welche Insektenarten in Bayern haben in den letzten 30 Jahren besonders stark an Populationsdichte eingebüßt?
4. b) Wie wirken sich unterschiedliche Landnutzungstypen auf die Vielfalt und Abundanz aus?
4. c) Ist der Rückgang von Insektenarten und -populationsdichten in verschiedenen Lebensraumtypen unterschiedlich ausgeprägt?
Antwort auf Fragen 4. a) bis c): Siehe Antwort auf Frage 1. c).
5. a) Welche Faktoren beurteilen die Fachexperten der bayerischen Behörden als ursächlich für den Arten- und Abundanzverlust bei Insekten?
b) Wie beurteilt die Staatsregierung den Einfluss von Land- und Forstwirtschaft auf das Insektensterben?
c) Welche landwirtschaftlichen Maßnahmen sind aus Sicht der Staatsregierung be- sonders problematisch für Insektenvielfalt und -vorkommen?
Antwort auf Fragen 5. a) bis c): Siehe Antwort auf Frage 1. c).
6. a) Inwiefern hat die Staatsregierung bisher Maßnahmen ergriffen, die den Rückgang in Abundanz und Vielfalt bei Insekten verlangsamen bzw. umkehren können?
Antwort auf 6. a): Die Staatsregierung hat mit ihrem „Biodiversitätsprogramm Bayern 2030 − NaturVielfaltBayern“ eine Vielzahl von Umsetzungsmaßnahmen beschlossen, die auch dem Erhalt von Insektenarten dienen. Zur Erreichung dieses Ziels wird darüber hinaus das gesamte Instrumentarium von Maßnahmen des Naturschutzes eingesetzt, z. B. Artenhilfsprogramme, BayernNetzNatur-Projekte und andere Vorhaben sowie die Förderprogramme VNP, VNP-Wald und KULAP (vgl. Antwort auf die Fragen 8. a) und c).
6. b) Plant die Staatsregierung aktuell weitere diesbezügliche Maßnahmen?
Die Umsetzung des Biodiversitätsprogramms wird selbstverständlich fortgesetzt.
6. c) Wie viele Aufträge hat das Landesamt für Umwelt in den letzten drei Jahren zur Untersuchung von Insekten vergeben (bitte einzeln aufführen)?
Antwort auf Frage 6. b) und c): Seit 2015 wurden im Zusammenhang mit dem Schutz von Insekten folgende Projekte vom LfU vergeben:
– Artenhilfsprogramm (AHP) Fetthennenbläuling 2016-17
– AHP Westlicher Scheckenfalter 2015-18
– AHP Schmetterlingshafte 2015-18
– AHP Glückswidderchen 2015-18
– AHP Platterbsenwidderchen 2017-18
– AHP Erdbock 2015-17
– FFH-Monitoring von insgesamt 13 Schmetterlings- und sieben Libellenarten
2015-17
– Monitoring von Widderchen (Kleinschmetterlingen) in Oberfranken 2016
– Wasserinsekten in Mooren 2013-17
– Xylobionte Käfer in Mooren 2013-16
– Xylobionte Käfer in Trockenbiotopen Unterfrankens 2016-17
– Nachtfalter und Kleinschmetterlinge in Mooren 2015-16
– Ameisen in Mooren 2017-18
– Trockenheitsliebende Heuschrecken in Mooren 2015-16
– Laufkäfer und Spinnen Wildpalfen (Berchtesgadener Alpen) 2016
– Zugspitzfauna: Laufkäfer, Spinnen, Nachtfalter, Kleinschmetterlinge 2017-18
– Bestandserfassung des Gelbringfalters in Unterfranken 2016-17
– Bestandserfassung von Wiesenknopf-Ameisenbläulingen in den Landkreisen
Aschaffenburg und Miltenberg 2016-17
– Bestandserfassung von Wiesenknopf-Ameisenbläulingen im Landkreis Bamberg 2017-18
– Bestandserfassung des Waldwiesenvögelchens in den Landkreisen Bad Tölz-
Wolfratshausen, München, Freising, Miesbach und Rosenheim 2017-18
– Bestandserfassung von stark gefährdeten Heuschrecken in Südbayern 2015-
16
– Bestandserfassung von stark gefährdeten Heuschrecken in Oberfranken
2017-18
– Bestandserfassung von Heuschrecken, Tagfalter, Nachtfaltern (incl. Biomasse) im Bereich Hohenfels/Oberpfalz 2017-18,
– Bayernweite Bestandserfassung Östliche Moosjungfer 2017
– Bestandserfassung Libellen Ismaninger Speichersee 2017-18
– Zikaden und andere Arthropoden im Wiesenbrütergebiet Königsauer Moos
(Landkreis Dingolfing-Landau) 2016
– Zikaden und andere Arthropoden im Wiesenbrütergebiet Pfäfflinger Wiesen
(Landkreis Donau-Ries) 2017-19
sowie Naturschutzfachkartierungen (vgl. Antwort auf Frage 7. a) und Erfassungen von Insektenarten der Anhänge II und IV im Rahmen der FFH-Berichtspflicht.
In Kooperation mit der Zoologischen Staatssammlungen München wurden seit 2013 in größerem Umfang Malaisefallen zur Erfassung von Fluginsekten eingesetzt. An über 200 Standorten in Bayern konnte so umfangreiches und äußerst wertvolles Datenmaterial über die Biodiversität und die Biomasse von Insekten in Bayern gewonnen werden, das neben der Erfassung der heimischen Insektenfauna als Basis für Folgeuntersuchungen zur Bestandsentwicklung genutzt werden kann.
7. a) Welche Insektengruppen wurden im Rahmen von Naturschutzfachkartierungen in den letzten drei Jahren erhoben (bitte einzeln aufführen)?
Antwort auf 7. a): Im Rahmen der Naturschutzfachkartierung (seit 2015 in den Landkreisen Kitzingen, Unterallgäu, Pfaffenhofen, Passau, Dingolfing) werden standardmäßig Libellen, Tagfalter und Widderchen sowie Heuschrecken erfasst. Dabei werden u. a. alle bekannten Vorkommen besonders naturschutzrelevanter Arten überprüft. Im Bereich der Stadt Ansbach wurden darüber hinaus holzbewohnende Käfer kartiert.
7. b) Welche Auswirkungen hat das Insektensterben kurz-, mittel- und langfristig auf die Flora und Fauna und die Menschen in Bayern?
Antwort auf 7. b): Siehe Antwort auf Frage 1. c).
7. c) Welche Auswirkungen hat das Insektensterben kurz-, mittel- und langfristig auf die Landwirtschaft in Bayern?
Antwort auf 7. c): Siehe Antwort auf Frage 1. c).
8. a) In welchen Landkreisen fehlen mehr als 100 Hektar regionale Kleinstrukturen in der Agrarlandschaft (bitte Lkr. und Hektarzahl nennen)?
c) Welche zehn Landkreise in Bayern haben den geringsten Anteil an ökologisch und landeskulturell bedeutsamen Flächen in der Feldflur (bitte Lkr. mit Anteil angeben)?
Antwort auf die Fragen 8. a) und c): Die Fragen 8. a) und c) werden aufgrund des Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet.
Das Bayerische Vertragsnaturschutzprogramm (VNP) fördert die naturverträgliche Bewirtschaftung von Äckern, Wiesen, Weiden und Teichen auf mittlerweile 84.000 ha Fläche in Bayern. Düngungsbeschränkungen, der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel und eine angepasste Nutzung zielen u. a. auf ein reiches Insektenleben ab, sei es durch ein zeitlich gestaffeltes Blütenangebot für Bestäuber durch verschiedene Schnittzeitpunkte, eine verringerte Ansaatdichte beim Getreide, eine an der natürlichen Ertragskraft orientierten Besatzdichte bei Weidetieren oder durch eine tierschonende Bewirtschaftung (z. B. intermittierende Brachen für Ameisenbläulinge, Mahd von Wiesen von innen nach außen, langfristige Bespannung von Teichen für Libellen).
Auch im Bayerischen Vertragsnaturschutzprogramm Wald (VNP-Wald) spielt der Schutz von Insekten eine besondere Rolle, beispielsweise bei der Aufrechterhaltung der traditionellen Mittelwaldbewirtschaftung mit periodischen Lichtphasen für gefährdete Schmetterlingsarten wie Maivogel und Heckenwollafter oder dem Erhalt von Biotopbäumen und Totholz für seltene Käferarten wie Eremit und Alpenbock.
Im Rahmen des Bayerischen Kulturlandschaftsprogramms (KULAP) dient mehr als die Hälfte der angebotenen Maßnahmen der EU-Priorität „Wiederherstellung, Erhaltung und Verbesserung der biologischen Vielfalt“. Im Schwerpunkt „Biodiversität“ sind beim KULAP insgesamt rund 14.000 Betriebe in Bayern engagiert. Diese setzen auf knapp 300.000 ha Acker- bzw. Grünland Maßnahmen um, die speziell eine Steigerung der Artenvielfalt zum Ziel haben. Auch die Verbreitung einer ökologischen Landbewirtschaftung unterstützt Biodiversitätsziele. Zusammen mit den Flächen für den ökologischen Landbau werden rund 550.000 ha Acker- oder Grünland in Bayern mit der Priorität „Biologische Vielfalt“ gefördert. Dazu kommen über 300.000 geförderte Streuobstbäume. Außerdem hat Bayern seine KULAP-Maßnahmen so weit wie möglich auf das Greening ausgerichtet. So können u. a. „Blühflächenmaßnahmen“ und neu angelegte Struktur- und Landschaftselemente mit Ökologischen Vorrangflächen kombiniert werden. Seit der Einführung des Greening ab 2015 haben die bayerischen Landwirte rund 230.000 ha als ökologische Vorrangflächen gestaltet. Mehr als 10 % davon bringen als Brachen, Puffer- oder Randstreifen regionale Kleinstrukturen in der Landschaft. Maßgeblich zur Verbesserung regionaler Kleinstrukturen tragen auch die KULAP-Maßnahmen B48-Mehrjährige Blühflächen, B49-Erneuerung von Hecken und Feldgehölzen, B57-Streuobst und B59-Struktur- und Landschaftselemente bei.
Im Rahmen der Landschaftspflege- und Naturpark-Richtlinien werden ebenfalls Maßnahmen zur Erhaltung, Pflege, Entwicklung und Neuschaffung von ökologisch wertvollen Lebensräumen sowie spezielle Artenschutzmaßnahmen für im Bestand gefährdete heimische Tier- und Pflanzenarten gefördert. Die Landschaftspflegemaßnahmen dienen − ergänzend zum Vertragsnaturschutz − in besonderer Weise auch dem Insektenschutz und sind somit ein weiterer wichtiger Baustein, dem Rückgang von Insektenarten in Bayern zu begegnen.
Aktuelle Erhebungen über den tatsächlich vorhandenen Anteil an Kleinstrukturen in den einzelnen Landkreisen liegen nicht vor. Das Julius Kühn-Institut hat auf der Internetseite https://www.julius-kuehn.de/sf/ab/raeumliche-analysen-und- modellierung/kleinstrukturen-in-der-agrarlandschaft/ ein Verzeichnis regionaler Kleinstrukturen (Stand 2004) einschließlich entsprechender Nachmeldungen veröffentlicht.
8. b) Wie gedenkt die Staatsregierung die oben genannten Defizite zu reduzieren?
Antwort auf Frage 8. b): Im Geschäftsbereich des StMELF werden die biodiversitätsfördernden KULAP-Maßnahmen auch im Jahr 2018 zur Neuantragstellung angeboten. Das StMELF hat darüber hinaus auch die sogenannte Wildlebensraumberatung eingerichtet. Hierzu wurde an den sieben Fachzentren für Agrarökologie der Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten jeweils ein Wildlebensraumberater eingestellt. Gemeinsam mit Landwirten und Jägern sollen die Lebensräume der Agrarlandschaft vor Ort durch entsprechende Maßnahmen ökologisch aufgewertet werden. Daneben wurden eine Reihe weiterer Maßnahmen (Imkerförderung, Förderung alternativer Energiepflanzen usw.) ergriffen, die die Biodiversität unterstützen.
Das StMUV beabsichtigt vorbehaltlich der Bereitstellung entsprechender Haushalts- mittel, seine Programme VNP und VNP-Wald in den kommenden Jahren auszubauen, denn die Nachfrage bei Landwirten, Teichwirten und Waldbauern ist weiterhin hoch.
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