Von überarbeiteten Ministerien und komplexen Wegen der Informationsbeschaffung – Eigenrecherche zur Öffnung von Einbahnstraßen für den Fahrradverkehr entgegen der Fahrtrichtung
Hintergründe bezüglich meiner Anfrage an die Polizeiinspektionen und Straßenverkehrsbehörden der bayerischen Städte mit mehr als 25.000 Einwohnern
Am 14.09.2011 habe ich gemäß der Geschäftsordnung des Bayerischen Landtags eine Schriftliche Anfrage eingereicht, um mich nach den Erfahrungen mit der Öffnung von Einbahnstraßen für den Fahrradverkehr entgegen der Einbahnrichtung in den größeren bayerischen Kommunen zu erkundigen. Grüne Stadt- und Gemeinderäte waren diesbezüglich an mich herangetreten, da es vor Ort immer wieder Vorbehalte gegen die Öffnung gegeben hatte. Ich habe also das Mittel einer Schriftlichen Anfrage genutzt, um den Kommunen vor Ort mit Fakten und Vergleichszahlen Argumentationshilfen für oder je nach Ergebnis der Anfrage auch gegen, die Öffnung von Einbahnstraßen an die Hand zu geben.
Mit Datum vom 17.10.2011 erreichte mich die Antwort der Staatsregierung, in Form eines Schreibens des bayerischen Staatsministers des Inneren, Herrn Joachim Herrmann.
In der Antwort des Herrn Staatsministers wird u.a. ausgeführt, dass mir keine landesweiten Daten mitgeteilt werden könnten, da diesbezüglich keine Meldepflichten bestünden und die Abfrage der Daten in den bayerischen Kommunen mit mehr als 25.000 Einwohnern mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden wäre. Ansonsten wird auf die bereits in meiner Anfrage zitierten Ausführungen der Straßenverkehrsordnung verwiesen und explizit auf die Zuständigkeit der jeweiligen Straßenverkehrsbehörde vor Ort bei Anhörung der Polizei hingewiesen.
Zum Stichtag 31.12.2010 gab es in Bayern 45 Kommunen mit mehr als 25.000 Einwohnern. Da laut Antwort der Staatsregierung auf meine Schriftliche Anfrage bisher keine landesweiten Daten vorlagen und keine örtlichen Erfahrungen gesammelt wurden, habe ich mich entschieden, einen Serienbrief an die jeweiligen Straßenverkehrsbehörden der benannten 45 Kommunen aufzusetzen. Da mich auch die etwaigen Unfallzahlen in Zusammenhang mit der Öffnung von Einbahnstraßen für den Radverkehr interessierten, wandte ich mich zudem in einem leicht abgeänderten Schreiben an die aus meiner Sicht zuständigen Polizei- und Verkehrspolizeiinspektionen in den jeweiligen Kommunen.
Bereits zu diesem Zeitpunkt ließ sich feststellen, dass der Arbeitsaufwand, den das Innenministerium zur Beantwortung meiner Schriftlichen Anfrage scheute, in überschaubaren Grenzen lag. Insgesamt benötigten ich und mein Mitarbeiter nicht mehr als 10 Arbeitsstunden bis zur Erstellung und dem Versand der Anschreiben. Dieser Aufwand wurde neben dem normalen Bürobetrieb erledigt. Die meiste Arbeitszeit verwendete mein Mitarbeiter darauf, die jeweiligen Ansprechpartner*innen in den Kommunen und bei der Bayerischen Polizei herauszusuchen. Dieser Arbeitsaufwand hätte sich für das Bayerische Innenministerium sicherlich in noch engeren Grenzen gehalten, da davon auszugehen ist, dass das Ministerium über entsprechende Verteiler verfügt und diese nicht erst installieren muss. Einen Beweis dafür sollte ich später erhalten.
Die insgesamt knapp 90 Schreiben wurden also mit Datum vom 17.11.2011 versendet. Bereits wenige Tage später erhielt ich die ersten Antworten aus den Kommunen, aber auch von einigen Polizeidienststellen. Dafür möchte ich mich bei allen beteiligten Beamtinnen und Beamten, sowie Verwaltungsangestellten nochmals herzlich bedanken!
Anhand vieler Beispiele aus Reihen der Polizeidienststellen und der Verwaltung lässt sich zeigen, wie kooperativ und ausführlich die Antwortschreiben waren. Die raschen und ausführlichen Antworten zeigen auch, dass es sich durchaus um eine relevante verkehrspolitische Fragestellung handelt, die ich mir nicht nur zur Beschäftigung des Innenministeriums ausgedacht habe.
Tags darauf wurde mir jedoch ein Schriftverkehr des Bayerischen Innenministeriums weitergeleitet indem die verschiedenen kommunalen (!) Stellen angewiesen werden, meine Anfrage nicht zu beantworten. Außerdem wurde abgefragt, welche Dienststellen und Ordnungsämter mein Schreiben erhalten hätten. Dies erfolgte mit Hinweis auf Notwendigkeit einer Fehlanzeige, d.h. es ist davon auszugehen, dass das Innenministerium und in der Folge die nachgelagerten Bezirksregierungen wesentlich mehr Kommunen angeschrieben haben als ich mit meinen Schreiben. Hätte das Innenministerium nur einen Teil des Aufwands betrieben, den es sich zur Ermittlung der Adressaten meines Schreibens im Stande sah, hätte meine Schriftliche Anfrage vom 14.09.2011 inzwischen bestimmt zur Gänze beantwortet werden können.
Stattdessen übte das Bayerische Innenministerium über die Bezirksregierungen Druck auf die Kommunen und die Polizeidienststellen aus, meine an sich wohl als harmlos zu bezeichnenden Fragen, bei denen mit Nichten von einer Geheimhaltungspflicht ausgegangen werden kann, nicht zu beantworten. Dass der Schriftverkehr seitens des Innenministeriums mit hoher Wichtigkeit eingestuft wurde, kennzeichnet diese fast schon paradoxe Vorgehensweise des von der CSU geführten Innenministeriums.
Dies wirft meiner Ansicht nach ein fahles Licht auf die mangelnde Informationspraxis und Transparenz des Bayerischen Innenministeriums, die Herr Staatsminister Joachim Herrmann zu verantworten hat. Das Ministerium hatte bereits zur Beantwortung meiner Schriftlichen Anfrage den Bearbeitungszeitraum von de jure vier Wochen voll ausnutzen müssen, nur um mir im Wesentlichen mitzuteilen, dass eine Beantwortung meiner Schriftlichen Anfrage mit zu viel Aufwand verbunden sei. Als ich daraufhin selbst Arbeitszeit verwende und mich um einen fachlichen Überblick über die Thematik bemühe, legt mir das Innenministerium auch noch Steine in den Weg und versucht mit großem Aufwand Informationen über den von mir angeschriebenen Adressatenkreis zu erhalten. Ironisch bemerkt, hätte sich das Innenministerium diesen Aufwand sparen und auch direkt bei mir anfragen können. Ich hätte diese Information sicherlich nicht verwehrt. So startet allerdings eine beispielhafte Kette behördlicher Abläufe, die vom Innenministerium überbürokratisch und hoheitsstaatlich beantwortet wird. Um die Absurdität des bürokratischen Ablaufes noch einmal zu verdeutlichen:
Ein treuer kommunaler Verwaltungsbeamter stellt an die übergeordnete Verkehrsbehörde der Bezirksregierung die Frage, ob er auf mein gescanntes Schreiben antworten dürfe. Interessanter Weise sind die potentiellen Antworten schon mit Bleistift auf dem Scan markiert. Der Sachgebietsleiter der Bezirksregierung wendet sich an die nächst höhere Instanz und dort im Innenministerium geht man dann erst einmal auf Informationsbeschaffung, freilich nicht direkt, sondern per Anweisung an alle potentiellen Adressaten meines „infamen“ Schreibens. Also schreibt das Innenministerium eine Anweisung an ALLE Polizeipräsidien und Bezirksregierungen Bayerns. Da man ja im Innenministerium so überarbeitet ist, verhudelt man allerdings das korrekte Rückmeldedatum, welches aber pflichtbewusst zumindest von einer Bezirksregierung korrigiert wird. Von da geht die Anweisung zu allen Landratsämtern des jeweiligen Regierungsbezirks und von da womöglich zu allen Sachbearbeitern auf kommunaler Ebene. Und nun saß ein fleißiger Rückmeldungssammler im Innenministerium und wartete bis Mitte Dezember auf Rückmeldung aus ALLEN BAYERISCHEN POLIZEIDIENSTSTELLEN UND VON ALLEN MIT VERKEHR BEFASSTEN SACHBEARBEITERN AUS GANZ BAYERN! Einzig und allein um herauszufinden, wer mein Schreiben erhalten hat. Die Rückmeldungen sind aller Wahrscheinlichkeit nach auch den üblichen behördlichen Weg gegangen, indem sie jeweils gesammelt zuerst an die Landratsämter, dann an die Bezirksregierungen und dann an das Innenministerium geschickt wurden; das gleiche Procedere auch bei der Polizei. Und ein beflissener Beamter im Innenministerium sammelte die Rückmeldungen und wertet diese nach Ja, Nein oder nicht auswertbar aus, um sie dann stolz seinem Vorgesetzten zu Weihnachten zu präsentieren…
Wenn man sich allein vorstellt wie viele Menschen wie viel Arbeitszeit wegen diesen Rückmeldungen ans Innenministerium verschwenden mussten… Lieber nicht…
Nachdem also nachweislich das vorgeschobene Argument des übergebührlichen Arbeitsaufwands, der angeblich das Ministerium von der Beantwortung meiner Fragen abgehalten hatte, nicht zählen kann, scheint es sich hier um eine rein parteipolitisch motivierte Blockadehaltung seitens der Staatsregierung zu handeln. Nun habe ich als Landtagsabgeordneter normalerweise bessere Möglichkeiten an benötigte Informationen zu gelangen, als ein/e interessierte/r Bürger*in ohne Landtagsmandat. Die von mir erfragten Informationen sollten aber allen interessierten Bürger*innen zur Verfügung stehen.
Die Süddeutsche Zeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 12.12.2011 dankenswerter Weise von den Vorkommnissen.
Aus Polizeikreisen und aus Presseberichten wurde mir schließlich mitgeteilt, dass die Beantwortung meiner Fragen aus dem am Ende dieses Textes hinterlegten Schreiben zentral durch das Innenministerium erfolge. Um dies zu eruieren und nach dem Termin zu fragen, bis wann ich mit den Antworten rechnen könnte, schrieb ich am 19.12.2011 an Herrn Staatsminister Herrmann:
„Auskunft über Erfahrungen der Städte und Kommunen Bayerns mit der Öffnung von Einbahnstraßen für Radverkehr in beide Richtungen
Sehr geehrter Herr Innenminister Hermann,
ich wende mich an Sie bezüglich meiner seit September 2011 initiierten Recherche nach Erfahrungen der Kommunen und Städte Bayerns mit der seit 2001 durchgeführten Öffnung von Einbahnstraßen für Radfahrer in beide Richtungen des Verkehrs. Im Zeitungsartikel der Süddeutschen Zeitung von Heiner Effern, am 12.12.11, „Verräterischer E-Mail-Verkehr“, wird im letzten Absatz die Auskunft des Ministeriums geschildert, dass man sich der Recherche nun selber annehmen werde und dass das Ergebnis der Prüfung in Kürze folgen solle.
Ich möchte mich nun gerne erkundigen, wann ich mit einer Auskunft von Seiten des Innenministeriums und der Zustellung der entsprechenden Daten rechnen kann.
In diesem Sinne möchte ich Sie bitten, mir mitzuteilen, wann die Daten mich erreichen werden.
Besten Dank und mit freundlichen Grüßen
Ludwig Hartmann“
Mit Datum vom 17.02.2012 erhielt ich dann folgende Antwort:
„München, 17. Februar 2012
Erfahrungen der Städte und Kommunen Bayerns mit der Öffnung von Einbahnstraßen für Radverkehr in beiden Richtungen
Sehr geehrter Herr Abgeordneter,für Ihr Schreiben vom 19.12.2011 danke ich Ihnen. Ergänzend zu den Antworten der von Ihnen unmittelbar angeschriebenen Städten und Kommunen lassen sich die Erfahrungen der Polizei in den Kommunen mit mehr als 25.000 Einwohnern wie folgt zusammenfassen:Einbahnstraßen sind häufig erwünscht, um die Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs zu fördern. Sie dürfen jedoch nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage dies erfordert. Die besonderen örtlichen Verhältnisse müssen im Einzelfall beurteilt werden. Soweit von der reglementierenden Wirkung der Einbahnstraßenkennzeichnung Ausnahmen für den Radverkehr gemacht werden, indem sie für den Radverkehr in beiden Richtungen geöffnet werden, gelten besonders strenge Beurteilungskriterien. Diese sind in der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) sowie in den sie ergänzenden Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur StVO festgelegt. Hinsichtlich der Gestaltung ist zudem auf die „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, Ausgabe zuletzt 2010″ der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. hinzuweisen. Die Kommunen, welche Einbahnstraßen für Radverkehr in beiden Richtungen geöffnet haben, haben diese Beurteilungskriterien beachtet. Die Polizei konnte regelmäßig ihre Erfahrung in den Entscheidungsprozess mit einbringen. Die verwirklichten Öffnungen haben sich neben anderen Maßnahmen (wie bauliche Anlage von Radwegen, Abmarkierung eines Radfahrstreifens von der Fahrbahn, Ausweisung von vorhandenen Radwegen als Zweirichtungsradwege, Umwidmung eines Gehweges in einen gemeinsamen Geh- und Radweg, „unechte“ Einbahnstraße nur mit Zeichen 267 StVO, usw.) bewährt. Radfahrer sind dort selten an Verkehrsunfällen beteiligt. In den derzeit knapp 640 geöffneten Einbahnstraßen haben sich von 2009 bis 2011 nur 47 Verkehrsunfälle mit Radfahrern ereignet. Die Unfallfolgen waren trotz der für Radfahrer fehlenden „Knautschzone“ nicht besorgniserregend. Bestätigt wird aber auch, dass die Einhaltung der vorgegebenen Beurteilungskriterien und Ausführungsvorgaben von großer Bedeutung ist, um einen sicheren und flüssigen Verkehr sicherzustellen. Besonders hervorgehoben haben die Polizeidienststellen vor allem die Sicherung der Einfahrt des Radverkehrs in die entgegengesetzte Fahrtrichtung der Einbahnstraße, die Sicherung an Kreuzungen und Einmündungen, die Fahrbahnbreiten einschl. Ausweichmöglichkeiten, die Übersichtlichkeit der Streckenführung und nicht zuletzt das allgemein mögliche Gefahrenpotential bei Fahrten im Gegenverkehr in Einbahnstraßen.Insgesamt ist festzustellen, dass die betrachteten Einbahnstraßen weit überwiegend sachgerecht ausgewählt sind und zweckmäßig betrieben werden.Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)“
Der interessanteste Teil des Schreibens besteht aus meiner Sicht aus den bayernweiten Unfallzahlen aller 640 geöffneten Einbahnstraßen im Freistaat. Auch hier werden die verschwindend geringen Unfallzahlen bestätigt.