8. September 2023

„Herr Aiwanger, was verstehen Sie unter Reue und Demut?“

 

Erstmals seit 2008 hat im Bayerischen Landtag der Zwischenausschuss getagt. Auf Antrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP befasste sich das Gremium „mit den Vorwürfen und offenen Fragen betreffend den Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Staatsminister Aiwanger im Zusammenhang mit einem Flugblatt mit antisemitischem Inhalt“. In der knapp zweistündigen Sitzung nahm Aiwanger sein Rederecht nicht wahr. Die Anträge von BÜNDNIS90/ DIE GRÜNEN, SPD und FDP wurden abgelehnt, dem Antrag von CSU und FREIEN WÄHLERN, Antisemitismus stärker zu bekämpfen, wurde zugestimmt.

 

 

Die Rede von Ludwig Hartmann in der 1. Zwischenausschusssitzung des Bayerischen Landtags am 7.9.2023:

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen.

 

Herr Aiwanger, was verstehen Sie unter Reue und Demut?

Bewerten Sie Ihren Umgang mit den Vorwürfen gegen Sie als angemessen für einem Vize-Ministerpräsidenten und Wirtschaftsminister?

Wie wollen Sie das Vertrauen der jüdischen Gemeinden wiedergewinnen?

Bei 14 Ihrer Antworten auf die 25 Fragen verweisen Sie auf Erinnerungslücken. Wie passen ihre vielen Erinnerungslücken mit der Antwort zusammen, dass dieser Vorfall ein einschneidendes Erlebnis für Sie war?

Und er wichtige gedankliche Prozesse angestoßen habe?

Welche gedanklichen Prozesse wurden denn angestoßen?

Finden Sie es passend, nach einer dürftigen Entschuldigung sofort in einen Opfer-Modus überzugehen?

Von einer medialen „Schmutzkampagne“ gegen Sie zu sprechen, die Sie, Zitat, „fertig machen“ wolle?

Ich frage mich, welche Rolle nimmt für Sie dann Journalismus in unserer Demokratie ein?

Wieso haben Sie sich nach dem Erscheinen des SZ-Artikels in tagelanges Schweigen gehüllt, anstatt aufzuklären und transparent über Ihre Vergangenheit herzustellen?

Wann haben Sie MP Söder über die Recherchen der SZ und deren Anfragen an Sie informiert?

Wieso haben Sie nicht bereits vor dem Erscheinen des Artikels der SZ gegenüber erklärt, wer der Verfasser der Hetzschrift war?

Warum besuchte im Jahr 2008 MdL Jutta Widmann ihren ehemaligen Lehrer und befragte ihn (über das Flugblatt?)

Warum hatten Sie im Jahr 2008 einen Termin bei Horst Seehofer und was war der CSU seither über Ihre Vergangenheit bekannt?

Sie sagten bei Ihrem Statement am 31.8., Sie hätten als Jugendlicher Fehler gemacht – was meinen Sie damit konkret im Zusammenhang mit den Vorwürfen?

Finden Sie es unproblematisch, wenn Jugendliche heutzutage Juden und
Holocaust-Witze machen?

Josef Schuster vom Zentralrat der Juden hat Ihnen am 4.9. vorgeworfen, dass Sie keine Reue zeigen. Sondern eine sogenannte Täter-Opfer-Umkehr praktizieren. Wie wollen Sie sicherstellen, dass der Einsatz für jüdisches Leben in Bayern und gegen Antisemitismus durch Ihre Regierung noch ernst genommen wird?

Wie bewerten Sie es, dass die Stiftung Bayerische Gedenkstätten Sie nicht in den KZ-Gedenkstätten sehen möchte in nächster Zeit?
Hat es Sie persönlich berührt, dass Frau Knobloch Ihre Entschuldigung nicht annimmt?

Wie sehr schadet in Ihren Augen Ihr Umgang mit den Vorwürfen dem
Ansehen Bayerns?
Was ist Ihr persönlicher Anteil daran?
Wie klingt für Sie eine ehrliche Entschuldigung?
Wie sieht Reue aus?
Wie Bedauern?

 

Hubert Aiwanger im Zwischenausschuss | Foto: Matthias Balk

 

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Herr Söder,

fühlen Sie sich wohl mit Ihrer Entscheidung in der Causa Aiwanger?
Hat Ihre Entscheidung dem Ansehen Bayerns in der Welt geholfen?

Sie garantieren persönlich dafür, dass Rassismus und Antisemitismus in Bayern keinen Platz haben – wie wollen Sie das sicherstellen mit diesem Vize?
Durch welche konkreten Aussagen konnte Hubert Aiwanger Ihre Zweifel im persönlichen Gespräch ausräumen?

Sie sagen selbst, Huber Aiwanger habe durch sein Krisenmanagement seine Glaubwürdigkeit nicht erhöht – was hat sie dazu gebracht, seinen Erzählungen dennoch zu glauben?

Sie finden, dass nicht alle Fragen befriedigend beantwortet worden. Dass es viele Erinnerungslücken gibt – verstehen Sie das unter,“ reinen Tisch zu machen“ und für Klarheit zu sorgen? So wie sie das am 29.8. nach der Sonder-Koalitionssitzung von Hubert Aiwanger gefordert haben?

Wie erklären Sie sich, dass Hubert Aiwanger das Ereignis zu Schulzeiten als einschneidend beschreibt – sich gleichzeitig aber an keine Details erinnern kann?

Haben Sie bei ihrer Entscheidung Machterhalt über Haltung gestellt?

Welche schweren Fehler hat Hubert Aiwanger in seiner Jugend gemacht – Sie scheinen mit ihm darüber gesprochen zu haben?
Klären Sie uns auf.

Wie können Sie sich so sicher sein? Haben Sie von Hubert Aiwanger eine eidesstattliche Erklärung erhalten, die seine Unschuld erklärt?

Sie sagen, Zitat, „Ich finde, es ist nicht entscheidend allein, was man mit 16 sagt, sondern wie man als 52-Jähriger heute damit umgeht.“ – Genügt das Verhalten von Hubert Aiwanger Ihren Ansprüchen an eine Vize-MP und Wirtschaftsminister?

Wie hat Hubert Aiwanger Sie davon überzeugt, dass er Gespräche mit jüdischen Gemeinden als, Zitat, „notwendig erachtet“?

Hubert Aiwanger entschuldigt sich bei den Opfern der Nazi-Verbrechen und ihren Nachfahren. Im gleichen Atemzug stilisiert er sich zum Opfer einer medialen Schmutzkampagne. Wie bewerten Sie das?

Empfinden Sie Hubert Aiwangers Auftritte und Äußerungen zu den Vorwürfen in diversen Bierzelten als Reue und Demut?

Viele Menschen in ganz Deutschland und in der Welt sind entsetzt, weil durch Ihr Umgang mit der Causa Aiwanger, der Umgang mit Erinnerungskultur in Deutschland einen Riss bekommen hat. Was sagen Sie diesen Menschen?

Was bedeutet für sie „bürgerlich“?”

 

Markus Söder im Zwischenausschuss | Foto: Matthias Balk

 

Viele Fragen sind offen. Sie werden diese wahrscheinlich nie beantworten.
Das ist einer bayerischen Regierung unwürdig. Ihrer Verantwortung den Menschen und unserer Geschichte gegenüber – untragbar.

 

Foto: Matthias Balk