23. Juli 2012

Offener Brief bezüglich einer rechtsradikalen Kundgebung am 21. Juli 2012 in Landsberg

München, den 23.07.2012

Offener Brief bezüglich einer rechtsradikalen Kundgebung am 21. Juli 2012 in Landsberg

Sehr geehrter Herr Landrat Eichner,
eines gleich vorweg: Auch mir ist klar, es gibt kein Patentrezept, wie man als Landkreis oder Stadt am besten mit Nazi-Aufmärschen umgeht. Das Wichtigste ist: nicht wegzuschauen und nicht ignorieren, sondern vielfältig gegen Rechtsextremismus aktiv werden! Totschweigen hat noch nie funktioniert.

Die Zahl der Naziveranstaltungen in Deutschland hat in den letzten Jahren rapide zugenommen. Für Juli/August hat die NPD ihre „Deutschlandfahrt“ angekündigt. Die Absicht der Rechtsextremen ist dabei unter anderem, durch möglichst häufiges, öffentliches Auftreten eine Art Gewöhnungseffekt zu erzielen. Dem muss jedoch mit demokratischen Mitteln entgegengetreten werden, damit es nie wieder zur Normalität wird, dass Nazis durch die Städte ziehen. In Augsburg provozierten die Neonazis noch am gleichen Tag durch die unmittelbare Nähe ihrer Kundgebung zum Festival der Kulturen. Dagegen muss sich jede Stadt – vor allem Landsberg mit seiner braunen Vergangenheit – massiv zur Wehr setzen. Wenn der behördlich bekannte Neonazi Roland Wuttke, wenn auch dieses Mal als Privatperson, im Landratsamt eine Demo anzeigt, ist es mehr als bedauerlich, dass das Landratsamt und die Stadt Landsberg gegenüber der Öffentlichkeit dazu schweigen. Dieses Vorgehen ist nicht nachvollziehbar. Erst recht nicht in Betracht der  Erfahrungen aus den beiden letzten von Herrn Wuttke in Landsberg durchgeführten Demonstrationen. Die stets friedlichen Gegenkundgebungen des Landsberger „Bürgerbündnisses gegen Rechtsextremismus“ in den Jahren 2008 und 2009 zeigen deutlich, wie stolz man auf unsere Landsbergerinnen und Landsberger sein kann: als sie deutlich jeglichem rechtsextremistischen Treiben die rote Karte gezeigt haben. 2009 haben Sie sich dankenswerterweise auch als Landrat zur erfolgreichen Arbeit des Landsberger „Bürgerbündnisses gegen Rechtsextremismus“ bekannt. So haben Sie im Jahre 2009 auch selbst an den Aktionen gegen den Naziaufmarsch in unserer Stadt teilgenommen. Gemeinsam haben wir uns erfolgreich den Neonazis entgegengestellt: Bis Samstag fanden in Landsberg keine rechtsradikalen Aufmärsche mehr statt. Und jetzt? Nachdem das gesamtgesellschaftlich getragene Landsberger Bürgerbündnis zwei Mal erfolgreich den Neonazis um Wuttke entgegen getreten ist, halten Sie es nicht einmal für nötig das Bürgerbündnis über die Demoanzeige von Herrn Wuttke zu informieren?
Es ist die Aufgabe der gesamten Bevölkerung, Rechtsextreme in ihre Schranken zu weisen. Das heißt, dass wir Demokraten immer wieder deutlich machen müssen, dass wir dem Treiben der Rechtsextremen keinen Platz in unserer Stadt geben. Wenn behördlich bekannte Neonazis in unserer Stadt eine Kundgebung abhalten, sei es gegen die „Eurorettung“ oder zum „Schlageter-Gedenken“, so kann man dieses Treiben nicht still und leise ignorieren.
Wir dürfen uns nicht verstecken, sondern müssen selbst auf die Straße gehen! Friedlich und gewaltfrei – denn Ignorieren hat noch nie funktioniert.
In diesem Zusammenhang bitte ich Sie mir folgende Fragen zu beantworten:
– Ist der Versuch des Totschweigens der Versammlung mit dem bayerischen  Innenministerium abgestimmt gewesen?
– Ist dieses Vorgehen mit den Behörden in Bobingen und Augsburg abgestimmt gewesen?
Sehr geehrter Herr Eichner, eine starke Demokratie lebt nicht von Menschen, die wegschauen und das Treiben der Rechtsextremen in unserer Stadt ignorieren. Eine starke Demokratie braucht Menschen, die hinschauen, Gesicht zeigen und Farbe bekennen, damit deutlich wird, dass faschistische Gesinnung keinen Platz in unserer Stadt hat. Das Ignorieren und Wegschauen führte unser Land vor gut 70 Jahren in sein dunkelstes Kapitel.
Altbundespräsident Weizsäcker sagte in seiner viel beachteten Rede zum 40. Jahrestag der Befreiung: „Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.“
Werden wir unserer Verantwortung gerecht und ignorieren wir das rechtsextreme Treiben in unserer Stadt nie wieder, sondern setzen wir uns friedlich, gewaltfrei und sichtbar zur Wehr. Dies kann jedoch nur Erfolg haben, wenn die Öffentlichkeit weiß, wann Neonaziaktionen in ihrer Stadt stattfinden.

Ich hoffe inständig, dass Sie die zuletzt von Ihnen angewandte Strategie des Totschweigens nicht mehr weiterverfolgen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Ludwig Hartmann

++++++++++++++++++++++

Landsberg am Lech, 26.07.2012

Sehr geehrter Herr Hartmann,
zunächst bedanke ich mich für Ihren Brief vom 23.07.2012 recht herzlich und teile Ihnen mit, dass ich in vielen von Ihnen angesprochenen Bereichen Ihre Meinung zu einhundert Prozent teile. Wie Sie wissen, schätze ich das Engagement des „Bürgerbündnisses gegen Rechtsradikalismus“ sehr, ich denke darüber müssen wir uns auch gar nicht weiter unterhalten.
Nun zu den Gründen unserer Entscheidung, die Kundgebung im Vorfeld nicht öffentlich zu machen:
Am Freitag, 20. Juli 2012, 09.00 Uhr, also einen Tag vor der angezeigten Veranstaltung, fand bei der Polizei Landsberg ein Gespräch mit Vertretern der Stadt Landsberg am Lech, des Landratsamtes Landsberg und der PI Landsberg zur angezeigten Kundgebung statt. Dabei wurde, wie üblich in diesen Fällen, eine Gefährdungsprognose wegen evtl. einzuleitender verkehrsrechtlicher Maßnahmen, Einschränkungen der Anwohner/Gewerbetreibenden u.a. erstellt.
Eine zu erwartende Gefährdung bzw. Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wurde dabei von allen Beteiligten nicht festgestellt. Aus diesen Gründen und aus Datenschutzgründen (Veranstalter war eine Privatperson), wurde die Bevölkerung bzw. die Öffentlichkeit vorab nicht informiert, auch im Hinblick auf die bisherige Praxis in derartigen Fällen. Dazu war es schon auch das Bestreben von allen Seiten, dieser Kundgebung so wenig Beachtung wie nötig zu schenken und diese möglicherweise nicht auch noch in ihrer Bedeutung aufzuwerten.
Auch das Landratsamt Augsburg und die Stadt Augsburg sahen am vergangenen Wochenende bei ähnlichen Veranstaltungen bekanntlich keinen Anlass, die Öffentlichkeit vorab zu informieren. Das Landratsamt Landsberg am Lech, als Versammlungsbehörde, hatte im Übrigen bisher nie von sich aus Veranstaltungen oder Kundgebungen öffentlich bekannt gegeben.
Wir haben in den letzten Tagen im Landratsamt einige interne Gespräche zum Thema geführt, und auch in aller Ruhe eine Nachbetrachtung der Ereignisse rund um die Kundgebung (Wuttke) angestellt. Dazu gab es weitere Gespräche mit der Polizei, sowie im Laufe der Woche einen regen Meinungsaustausch mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern über die Rechtslage in diesen Fällen. Mit Schreiben vom 26.07.2012 hat uns das Innenministerium seine Rechtsauffassung mitgeteilt, die in Teilbereichen von unserer Rechtsauffassung abweicht.
Unstrittig ist, dass keine Auskunftsverpflichtung der Versammlungsbehörden gegenüber der Allgemeinheit über bevorstehende öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel besteht. Vielmehr liegt es im pflichtgemäßen Ermessen der Versammlungsbehörde, ob und inwieweit im Einzelfall Auskünfte über angezeigte Versammlungen erteilt werden, auch unter Beachtung von datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Dazu zählt auch die Information, wer als Veranstalter hinter einer Versammlung steht, auch wenn es sich dabei um eine Privatperson, und nicht um eine Organisation (Partei, Verein, sonstige Organisation) handelt. Dagegen wäre es nicht ohne weiteres zulässig, wenn die Versammlungsbehörde bei der Bekanntgabe von Ort, Zeit, Thema sowie Namen und Vornamen des Veranstalters auch die Wertung vornimmt, dass es sich bei diesem um einen – bekannten oder unbekannten – Rechtsextremisten (oder Linksextremisten,  Islamisten, Scientologen, etc.) handelt. Hier setzt die vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung eingeforderte Pflicht zur Neutralität der Versammlungsbehörde Grenzen. Nicht zulässig wäre es daher erst Recht, wenn die Versammlungsbehörde als solche auch noch zu einer Gegenversammlung o. ä. aufrufen würde.
Somit bleibt im Ergebnis festzuhalten, dass das Landratsamt Landsberg am Lech bei der in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens getroffenen Entscheidung, die Öffentlichkeit über die angezeigte Versammlung nicht zu informieren, in rechtlich nicht zu beanstandender Art und Weise gehandelt hat. Selbstverständlich werden wir auch bei künftigen Veranstaltungen nach erfolgter Einzelfallprüfung diese uns obliegende Ermessensentscheidung unter Beachtung aller relevanten Gesichtspunkte treffen.
Ihre weiteren Fragen darf ich wie folgt beantworten:
– Mit dem bayerischen Innenministerium wurde vor der Versammlung kein Kontakt aufgenommen.
– Mit dem Landkreis Augsburg wurde im Hinblick auf beschränkende Verfügungen (einheitliches Vorgehen insb. im Hinblick auf das Vermummungsverbot) Kontakt aufgenommen. Die Thematik der Veröffentlichung wurde nicht diskutiert.
Selbstverständlich stehe ich Ihnen, oder Vertretern des Bürgerbündnisses für ein Gespräch zum Thema gerne zur Verfügung, denn unsere Zielsetzung in diesen Fällen ist ja die gleiche.

Mit freundlichen Grüßen
Walter Eichner
Landrat

Related Links