13. Januar 2015

Mehr Dialog! Mehr Demokratie! Mehr Freiheit! Mehr Solidarität!

Beschluss unserer Fraktionsklausur vom 13.01.2015

Was tun gegen die Angriffe auf unsere Demokratie? Das brutale Attentat auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo am 7. Januar 2015 und die anschließenden Geiselnahmen, unter anderem auf einen jüdischen Supermarkt, erschüttern uns zutiefst. Unsere Gedanken gelten zuallererst den Opfern, den Überlebenden sowie den Familien und FreundInnen der Getöteten und Verletzten. Die Täter haben mit dem Angriff den Versuch unternommen, fundamentale Werte unserer freien Gesellschaft zu attackieren. Die Meinungs- und Pressefreiheit, auf die der Angriff gerichtet war, ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie und darf durch dieses schreckliche Verbrechen keinen Schaden nehmen. Auf den terroristischen und antisemitischen Angriff auf unser liberales Wertefundament und auf unsere freien-demokratischen Gesellschaften müssen wir reagieren – besonnen und klar. Dabei steht unser Kompass fest: Angriffe auf die Demokratie dürfen wir grundsätzlich nicht mit der Einschränkung demokratischer Grund- und Freiheitsrechte begegnen. Denn letztlich spielen all jene, die den Angriff auf die Demokratie mit der Einschränkung der Demokratie beantworten wollen, den Feinden der Demokratie in die Hände. Unsere Reaktion muss gerade jetzt ein Bekenntnis zum Dialog, zu Demokratie, Freiheit und Solidarität sein.

Antworten statt populistischer Reflexe

Reflexhafte CSU-Forderungen nach Strafverschärfungen und der Wiedereinführung der anlasslosen Überwachung der Bevölkerung durch Vorratsdatenspeicherung bringen uns nicht weiter. Niemand kann absolute Sicherheit gewährleisten – auch nicht auf Kosten oder unter Aufgabe der Freiheit. Dies zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass der Pariser Anschlag trotz der in Frankreich seit 2006 praktizierten Vorratsdatenspeicherung nicht verhindert werden konnte.

Was jetzt stattdessen gefragt ist, ist ein besonnenes Handeln ohne in Panik zu verfallen oder sich einschüchtern zu lassen: Die reale Gefahr islamistischer Anschläge nehmen wir ernst. Die Abwehr terroristischer Gefahren ist Aufgabe der Sicherheitsbehörden – im Rahmen der bestehenden rechtsstaatlichen Grenzen. Aufgabe der Politik ist es, mit den Mitteln des Rechtsstaates für das größtmögliche Maß an Sicherheit zu sorgen, Grundrechte zu schützen und Bedrohungen effektiv abzuwehren, ohne dabei die Freiheit so weit einzuschränken, dass sie kaum noch erkennbar ist. Denn ja, eine freiheitliche Gesellschaft braucht BürgerInnen, die frei sind von Furcht vor Gewalt und Terrorismus, ebenso wie frei von Angst vor Überwachung durch den Staat.

Wir sagen NEIN zu

•    der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, weil sie gegen unsere Grundrechte verstößt und die Anschläge nicht verhindern konnte.
•    mit heißer Nadel gestrickten Verschärfung des Strafrechts.
•    der Einführung eines „Terroristen-Perso“, da er keinen Sicherheitsgewinn gegenüber gründlichen Ausreisekontrollen verspricht, aber diskriminierenden Charakter hat und deshalb die Gefahr mit sich bringt zur Radikalisierung beizutragen.
•    einer EU-Fluggastdatenspeicherung, denn sie stellt BürgerInnen pauschal unter Generalverdacht, ohne dass ein Mehrwert zu erkennen ist.

Wir sagen JA zu:

•    intensiveren Ausreisekontrollen, um die Ausreise gewaltbereiter Extremisten ins syrisch-irakische Kampfgebiet oder in Terrorausbildungs-Camps zu unterbinden.
•    einer wirksamen Präventions- und Deradikalisierungsstrategie und den Ausbau von zivilgesellschaftlichen Aussteigerinitiativen und Programmen zur Demokratieförderung.
•    einer klaren Haltung gegen Islamophobie und Antisemitismus sowie einer konsequenten Antidiskriminierungspolitik.
•    gut ausgestatteter Polizeiarbeit, sowie einer besseren Zusammenarbeit der Justiz- und Polizeibehörden in Europa und eine Verbesserung der Bund-Länder-Koordination in Deutschland.

Geschlossenheit statt Spaltung

In einer freiheitlichen Gesellschaft dürfen wir nicht zulassen, dass Rassist*innen Stimmung gegen friedliche Bürger*innen islamischen Glaubens machen. Das Attentat in Paris, wie auch die Anschläge von Anders Breivik oder die Morde des NSU, sind ganz offensichtlich Ausdruck eines vom Hass auf das liberale Gesellschaftsmodell getragenen Ideensystems. Die Pariser Anschläge können deshalb auch nicht pauschal auf „den Islam“ zurückgeführt werden. Wer dies jedoch suggeriert und Muslimas und Muslime unter Generalverdacht stellt, ist ein*e geistige*r Brandstifter*in und gefährdet den gesellschaftlichen Frieden. Allen Versuchen, Hass zu säen und die Bevölkerung zu spalten, müssen wir entschieden entgegentreten. Das bewegende Signal, das von den französischen Trauermärschen ausgeht, gilt es aufzugreifen – als bespielhafte Demonstration von demokratischer Geschlossenheit.

Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir uns verstärkt darauf besinnen, welche Werte uns in pluralen Gesellschaften verbinden. Völlig zu Recht hat der Rat für Migration erst kürzlich gefordert, Deutschland brauche langfristig ein neues gesellschaftliches Leitbild, ein neues Bild seiner selbst, an dem sich alle Menschen in Deutschland orientieren können. Vielfalt, Offenheit und Liberalität tun Deutschland und Bayern gut. Das Bewusstsein hierfür gilt es noch stärker in unserer Bevölkerung zu schärfen. Nur so können wir die Ängste und Sorgen all jener abbauen, die eine heterogene und liberale Gesellschaft noch immer in erster Linie als Bedrohung wahrnehmen.

Die wachsende Zahl von Pegida-AnhängerInnen, die gegen eine vermeintliche „Islamisierung des Abendlands“ in Dresden demonstrieren, sprechen vordergründig von Ängsten – und stellen gleichzeitig elementare Grundrechte, wie die Religionsfreiheit und das Recht auf Asyl, in Frage. Damit offenbart Pegida seinen zutiefst freiheitsfeindlichen und antidemokratischen Kern. Auch in Bayern versuchen Ableger von Pegida derzeit Fuß zu fassen – bislang erfreulicherweise nur mit mäßigem Erfolg. Die OrganisatorInnen der Aufmärsche schüren ebenso wie viele Teilnehmer*innen rassistische Ressentiments gegen alles „Fremde“, die auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft erschreckend weit verbreitet sind. Ziel ihrer pauschalen, menschenverachtenden und abwertenden Parolen sind insbesondere Muslime, Muslimas und Flüchtlinge.

Auch hier kann die Antwort nur eine entschiedene Zurückweisung der rassistischen Forderungen, ein klares Eintreten für unsere demokratischen Werte und eine Absage an jegliche Form von Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz sein. Ein wichtiges Zeichen sind daher die von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis getragenen Proteste gegen die rechten Parolen und für eine gelebte Willkommenskultur. Wer die menschenverachtenden Vorlagen der Islam- und Flüchtlingsfeinde aufgreift, vergreift sich an der Demokratie. Selbstverständlich muss eine gefestigte Demokratie die Aufmärsche von Pegida aushalten können, ihre ausgrenzenden Inhalte übernehmen muss und darf sie jedoch nicht. Denn damit würde sie die offene, liberale und tolerante Gesellschaft in Frage stellen, für die unser Grundgesetz steht. Für uns ist klar: Vielfalt, Offenheit, Toleranz und Freiheit tun Bayern gut – und wir sind jetzt alle gefragt uns dafür einzusetzen.