27. September 2012

Wie ersetzen wir Bayerns Atomkraftwerke?

Die Tage, an denen Atomkraftwerke in Ihrer Leistung gedrosselt werden müssen, weil wir mehr als genug Strom aus Erneuerbaren Energien haben,  nehmen von Jahr zu Jahr zu. Vor allem an Wochenenden werden die Reaktoren in Ohu, Grafenrheinfeld und Gundremmingen zur Mittagszeit immer wieder mal runtergeregelt.
Diese erfreuliche Entwicklung muss weitergehen und sie muss gestaltet werden. Vor allem durch den Ausbau der Stromnetze und der Speichermöglichkeiten. Es ist absehbar, dass beim Ausbau der Übertragungsnetze und der Stromspeichermöglichkeiten technische, administrative und ökonomische Hürden zu überwinden sind, die Zeit brauchen. Daher werden wir um Ersatzkapazitäten für die wegfallenden Atomkraftwerke (die in Bayern immer noch fast 50 % des Strombedarfs decken) nicht herumkommen. Diese Ersatzkapazitäten sind aller Voraussicht nach etwa ab dem Jahr 2020 nötig.

Fünf neue Gaskraftwerke für Bayern?

Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil spricht kontinuierlich davon, dass fünf große Gaskraftwerke in Bayern nötig seien.  Nach den Regeln des Einmaleins glaubt er, einfach stillzulegende Atomkraftwerkskapazität durch Gaskraftwerkskapazität ersetzen zu müssen. Dies ist definitiv falsch.

Notwendig ist einerseits eine Betrachtung des Strommarkts in Deutschland (und teilweise auch in Europa) und andererseits die Berücksichtigung der Einschränkungen durch das Stromnetz. Da wir in Deutschland in der meisten Zeit des Jahres eine beträchtliche Überkapazität an Kraftwerken haben und  zusätzlich in den kommenden Jahren noch mehrere Tausend Megawatt neue, fast fertiggestellte  Kohlekraftwerke in Betrieb genommen werden, ist davon auszugehen, dass Strom aus anderen Bundesländern billiger angeboten wird, als wenn der Strom durch neue Gaskraftwerke in Bayern produziert werden würde. Würden jetzt in Bayern fünf große Gaskraftwerke gebaut werden, dann wären das mit Sicherheit Investitionsruinen. Das ist auch der Grund, warum sich sämtliche Stromversorger mit ihren Neubauplänen noch zurückhalten. Sowohl für das in Haiming am Inn geplante Gaskraftwerk der OMV gibt es bisher noch keine Bauentscheidung, als auch in Leipheim an der Donau (ein Projekt der Stadtwerke Ulm) wird zunächst nur die Planung vorangetrieben.

Andererseits sind dem Stromtransport aus den anderen Bundesländern Grenzen gesetzt. Sowohl von den Transportkapazitäten her, als auch aus Gründen der Netzstabilität wird es nötig sein, in Bayern für die windschwachen und sonnenarmen Zeiten Ersatzkapazitäten zu schaffen.

Was sind Ersatzkapazitäten?

Da ein Großteil der Stromversorgung der Zukunft auf der Basis von Wind- und Sonnenenergie gedeckt werden wird, ergeben sich – im Vergleich zur bisherigen Stromversorgung – neue Probleme. Die Produktion von Wind- und Sonnenenergie ist mittlerweile zwar einigermaßen vorhersehbar, aber nicht steuerbar. Ähnlich ist es mit dem Stromverbrauch: auch er lässt sich einigermaßen prognostizieren, aber nur in geringem Umfang steuern. Während in der Vergangenheit entsprechend dem Strombedarf jeweils Kraftwerke zugeschaltet wurden, ist dies bei Wind- und Sonnenenergie nicht möglich.

Daher müssen für windschwache und sonnenarme Zeiten – die bisweilen mehrere Tage und Wochen betragen können – ausreichend Ersatzkapazitäten zur Verfügung stehen. Aus verschiedenen technischen Gründen wurden bisher vor allem Gaskraftwerke genannt, weil sie relativ leicht regelbar sind. Mittlerweile ist zwar auch bei Kohle- und Atomkraftwerken die Regelfähigkeit verbessert worden, aber sind mit Gaskraftwerken nicht vergleichbar. So können beispielsweise Atomkraftwerke ihre Leistung zwar um 50 % drosseln; müssen sie aber auf Null gedrosselt werden, können sie erst nach Tagen wieder in Betrieb genommen werden.

Es ist aber eine verengte Sicht, wenn man bei Ersatzkapazitäten nur auf Gaskraftwerke schielt. Wichtig ist lediglich, dass zu einem nicht exakt planbaren Zeitraum garantiert Stromerzeugungskapazitäten zur Verfügung stehen. Das können konventionelle Gaskraftwerke sein, aber ebenso kleine Blockheizkraftwerke, Biogasanlagen, Stromspeicher oder abschaltbare Lasten.

Kleine Blockheizkraftwerke können eben auch gesicherte Leistung zur Verfügung stellen. Zwar nur in geringem Umfang, aber zusammengeschaltet und zentral als „virtuelles Kraftwerk“ geregelt (z.B. „Schwarmstromkonzept“ der Fa. Lichtblick) können auch sie gesicherte Stromerzeugungskapazität stellen. Biogasanlagen laufen bisher meistens rund um die Uhr. Da Biogas aber relativ leicht zu speichern ist, könnten Sie genauso als Ersatzkraftwerke für wind- und sonnenarme Zeiten fungieren. (Der sogenannte „Bayernplan“ von Landwirtschaftsminister Helmut Brunner geht in diese Richtung, wird aber vom Wirtschaftsministerium bisher abgelehnt.) Die gleiche Funktion können Stromspeicher erfüllen, die sich vertraglich verpflichten, eben zu bestimmten Zeiten Kapazitäten liefern zu können. Eine weitere Möglichkeit sind die so genannten „abschaltbaren Lasten“. Darunter versteht man Stromverbraucher, die sich grundsätzlich bereit erklären gegen eine bestimmte Vergütung sich abschalten zu lassen. Das können zum Beispiel große Kühlhäuser sein, die kein Problem haben ihre Temperatur für eine begrenzte Zeit in einem geringen Umfang zu erhöhen. Es können aber auch große maschinelle Produktionsanlagen sein, deren ökonomischer Schaden durch eine stundenweise Produktionsverlagerung so gering ist, dass er durch eine entsprechende Vergütung für die Stromabschaltung wieder aufgefangen wird. Dieses Lastmanagement bzw. Deman-side-management ist eine weitere Möglichkeit, quasi eine negative Ersatzkapazität.

Der liberalisierte Strommarkt allein garantiert keine Versorgungssicherheit

In unserer heutigen Industriegesellschaft ist die jederzeitige Verfügbarkeit von Strom offensichtlich zur unabdingbaren Notwendigkeit geworden. Doch wer garantiert, dass zu jeder Sekunde an jedem beliebigen Ort ausreichend Strom zur Verfügung steht. Im energiewirtschaftlichen Rahmen Deutschlands liegt diese Verantwortung derzeit beim Übertragungsnetzbetreiber. Problematisch an dieser Konstruktion ist jedoch, dass der Übertragungsnetzbetreiber zwar diese Verantwortung hat, aber keine Möglichkeit den Bau von Kraftwerkskapazitäten anzuordnen. Das ist wie ein Bäcker, der für alle jederzeit und überall  Semmeln liefern muss, aber nicht selber backen darf.

Der kritische Punkt ist: Gibt es Stromproduzenten, die entsprechende Kapazitäten aufbauen, auch wenn sie wissen, dass sie nur wenige Stunden im Jahr produzieren werden?

Es gibt mit Recht erhebliche Zweifel daran, dass sich im liberalisierten Strommarkt dafür Investoren finden. Einige Gründe dafür:

–          Es lässt sich schwer prognostizieren, wie viele Stunden im Jahr tatsächlich diese Ersatzkapazitäten benötigt werden.

–          Es ist absehbar, dass die Zahl der Einsatzstunden im Laufe der Jahre durch den Ausbau der erneuerbaren Energien sich weiter reduziert.

–          Es ist nicht absehbar, wie schnell sich die Zahl der Stunden durch „konkurrierende Technologien“, also z.B. durch einen schnelleren Netzausbau, durch die Installation von Stromspeichern oder durch Lastmanagement reduziert.

–          Jeder zusätzliche Stromspeicher, jedes zusätzliche Gaskraftwerk reduziert die Auslastung und die Rentabilität der bestehenden Ersatzkapazitäten.

–          In der Regel sind große Investitionssummen nötig und der planerische und technische Vorlauf bis zur Funktionsfähigkeit der Anlage beträgt oft mehrere Jahre. Angesichts der rasanten Veränderungen im Strommarkt sind Prognosen über die Situation am Strommarkt in etwa 10 Jahren mit einem hohen Risiko verbunden.

All dies sind Hinweise darauf, dass es am Strommarkt in der jetzigen Situation niemanden gibt, der für die jederzeitige Verfügbarkeit von Strom die Verantwortung übernimmt oder daraus ein Geschäftsmodell entwickeln würde.

Erste Anzeichen dafür erleben wir in diesen Tagen. E.ON will mehrere Gaskraftwerke in Bayern stilllegen, weil sie sich angeblich nicht mehr wirtschaftlich betreiben lassen und diese Kraftwerke bestenfalls gegen Auslagenerstattung der Bundesnetzagentur bzw. dem Übertragungsnetzbetreiber zur Verfügung stellen.  E.ON will nur noch Gewinne mit den rentableren Grund- und Mittellastkraftwerken machen. Die unrentable Versorgung zu Spitzenzeiten soll sozialisiert werden.

Wie Ersatzkapazitäten sichern?

Angesichts der Erkenntnis, dass das jetzige Strommarktmodell keine Versorgungssicherheit garantieren wird ist Handlungsbedarf gegeben. Die marktwirtschaftliche Lösung wäre ein so genannter Kapazitätsmarkt, bzw. die Einführung von Kapazitätsmechanismen. Der bisherige „energy-only“-Markt, also die Bezahlung der gelieferten Strommenge würde dann erweitert werden, um eine Kapazitätskomponente, die die Lieferung zu jedem gewünschten Zeitpunkt absichert.

Für solche Kapazitätsmechanismen bzw. –märkte gibt es mittlerweile verschiedene Untersuchungen und Vorschläge. Einen davon hat die LBD Beratungsgesellschaft im Auftrag des baden-württembergischen Umweltministeriums erarbeitet. Dieser Vorschlag für die Einführung eines Kapazitätsmechanismus wurde auch bei  einem Fachgespräch der Landtagsfraktion im Juli dieses Jahres vorgestellt und diskutiert.

Grundlage dieses Kapazitätsmechanismus wäre die Planung und Festlegung eines Kapazitätsbedarfs auf der Grundlage der Netzausbauplanung der Übertragungsnetzbetreiber. Wichtig ist nämlich, dass die erforderlichen Kapazitäten auch regional richtig angesiedelt werden – es nützt ja nichts, wenn ausreichend Ersatzkapazitäten zur Verfügung stehen, aber das Stromnetz die Nutzung der Kapazitäten nicht möglich macht. Aufgrund dieses ermittelten Kapazitätsbedarfs würden dann Auktionen durchgeführt, bei denen verschiedene Bewerber und verschiedene Technologien zum Zug kommen könnten. Die LBD schlägt dabei vor, sowohl Bestandsauktionen, als auch Neubauauktionen durchzuführen. Die Bestandsauktionen dienen vorrangig dazu, die bestehenden Anlagen für einen Übergangszeitraum im Netz zu halten um mittelfristig Engpässe zu vermeiden, sie aber auch zeitlich zu befristen, da es nicht sinnvoll ist, alten und ineffizienten Anlagen eine langfristige Perspektive zu geben. Parallel dazu wird über Neubauauktionen die Schaffung von langfristigen Kapazitäten angeregt. Im Rahmen dieser Auktionen können verschiedene Kriterien festgelegt werden. Dies betrifft nicht nur Kriterien hinsichtlich der technischen und zeitlichen Verfügbarkeit der Kapazitäten. Dabei können  Effizienzstandards oder Emissionsstandards festgelegt werden, ebenso wie die bereits angesprochen räumliche bzw. netztechnische Eingrenzung. Aufgrund des wettbewerblichen Charakters der Auktionen würde damit die kostengünstigste und planbarste Entwicklung erreicht werden.

Neben diesem Modell gibt es noch eine Reihe anderer Modelle für Kapazitätsmärkte, z.B. der so genannte Aufbau von „Strategischen Reserven“. In der Debatte bei unserem Fachgespräch wurde auch bezweifelt, ob der immense Aufwand der im Zusammenhang mit solchen Auktionen betrieben werden muss und bei Berücksichtigung des geringen Wettbewerbs im Strommarkt, der Kapazitätsmarkt  tatsächlich zur kostengünstigsten Lösung führen würde. Alt Alternative wäre zu überlegen ob es nicht sinnvoller wäre, diese Sicherstellung der Versorgungssicherheit in die Hände des Staates zu legen.

Kraftwerke sparen!

Der Strombedarf schwankt – zwischen Tag und Nacht, zwischen Sommer und Winter. In Bayern beträgt die niedrigste Last etwa 5500 MW. Die Höchstlast beträgt etwa 12 700 MW. Allerdings  waren es beispielsweise nur 21 Stunden im Jahr, in denen die Last zwischen 12 100 MW und 12 700 MW betrug.  D.h. im Jahr 2010 wurde eine Kraftwerkskapazität von 600 MW nur 21 Stunden benötigt  – und das noch verteilt auf mehrere Tage.

Hier kann das Lastmanagement bzw. Demand-side-management eine wichtige Rolle spielen. Gelingt es diese Stromspitze zeitlich zu verlagern, kann man nicht nur erheblich den  Bau von Ersatzkapazitäten vermeiden, sondern würde damit auch volkswirtschaftlich eine wesentlich kostengünstigere Lösung erreichen. Bei dem genannten Fachgespräch hat ein Vertreter der Firma Entelios zu diesem Themenbereich referiert. Die Firma Entelios ist gerade dabei im Zusammenhang mit Demand-Side-Management ein Geschäftsmodell zu entwickeln.

Eine Lösung ist noch nicht in Sicht

Das Problem der Ersatzkapazitäten stellt sich noch nicht in den nächsten Jahren. Vermutlich ab dem Zeitraum 2020 wird es aktuell. Aber angesichts der absehbaren Planungs- und Bauzeiten für Ersatzkapazitäten muss eine Lösung für den Strommarkt des Jahres 2020 deutlich früher gefunden werden. Sinnvoll wäre es, noch vor der Bundestagswahl 2013 darüber Klarheit zu schaffen. Da die Bundesregierung aber derzeit in Energiefragen offensichtlich wieder auf Konfrontationskurs geht (Angriff auf das EEG, angekündigte Bremse bei der Windenergie) scheint eine sinnvolle, parteiübergreifende Lösung, die auch von der folgenden Bundesregierung mitgetragen wird, egal welche Farbkombination sie haben wird, eher unwahrscheinlich. Das ist nicht gut, auch wenn wir die Folgen wohl erst in einigen Jahren spüren werden.

Für vertiefende Informationen hier noch ein paar

Related Links