15. Mai 2011

Vierter Brief an das IOC und seinen Präsidenten

München, den 15.05.2011

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Rogge,

rechtzeitig nach der Veröffentlichung des Prüfberichts der Evaluierungskommission am 10.05.2011 erlaube ich mir, Sie mit diesem Schreiben über die neuesten Entwicklungen bezüglich der Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2018 zu informieren. Vielleicht hatten Sie bereits die Möglichkeit mit Frau Lindberg und Ihren Kolleginnen und Kollegen über ihre Eindrücke bezüglich der Kandidatenstädte zu sprechen.

In meinem letzten Schreiben habe ich Sie u.a. über die weiterhin ungeklärte Situation bezüglich der für die Olympischen Winterspiele 2018 benötigten Grundstücke in Garmisch-Partenkirchen, den damit verbundenen juristischen Auseinandersetzungen und über die Vorbereitungen eines Bürgerbegehrens in Garmisch-Partenkirchen informiert. Insbesondere zum letzteren Punkt möchte ich Ihnen hiermit aktuelle Informationen zukommen lassen, zuerst aber mit einem Überblick über die wichtigsten Ereignisse seit meinem letzten Schreiben vom Dezember vergangenen Jahres fortfahren:

Bis zum heutigen Tag berichtet die Presse über Finanzierungslücken im Budget der Bewerbungsgesellschaft in Höhe von rund 7 Millionen Euro. Dies zeigt eindeutig, dass die Bewerbung nicht nur mit dem weiter sinkenden Zuspruch in der Bevölkerung, sondern auch mit dem mangelnden Rückhalt in der Wirtschaft zu kämpfen hat. Auf diesen zwei wackligen Beinen sind Olympische Winterspiele in Bayern nicht durchführbar.

Bundesweit wurden Umfragen gestartet, wovon die vom ZDF in Auftrag gegebene Online-Befragung im „Aktuellen Sportstudio“ vom 08.01.2011, einem wöchentlich ausgestrahlten TV-Sportmagazin, das wohl augenscheinlichste Ergebnis hatte: Obwohl als Studiogäste nur die Vertreter der Bewerbungsgesellschaft eingeladen waren und das Publikum der Sendung natürlich als sportaffin zu bezeichnen ist, erreichte die Zustimmungsrate gerade einmal magere 53%. Selbst bei dieser einseitigen Werbeveranstaltung stimmten also 47% gegen die Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2018.
Zu einem ähnlich schlechten Ergebnis kam auch die mit dem Evaluierungsbericht veröffentlichte Umfrage Ihres Hauses, wonach nur dürftige 60 Prozent der Bevölkerung die Bewerbung befürworten. Dies ist eine sehr bescheidene Zustimmungsrate, die meilenweit von den „stabilen 3/4-Mehrheiten“, welche von der Bewerbungsgesellschaft immer wieder ins Feld geführt werden, entfernt bleibt. Nur 53% der Bayern und 56% der Deutschen unterstützen die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2018 in Deutschland.

Die Übergabe des Bid-Books am 11.01.2011 wurde zwar medial inszeniert, konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass etliche Ungenauigkeiten und Unwahrheiten in diesem offiziellen Bewerbungsdokument auftauchen, die ich hier nur kurz anreißen will:

–       Bei der Frage der Zustimmung wurde auf eine GfK-Umfrage von März 2010 zurückgegriffen, in der bundesweit noch 76,3 Prozent Unterstützer genannt wurden. Im November 2010 nannte Infratest-Dimap gerade noch 60 Prozent Befürworter, wobei alle Online-Umfragen des Jahres 2010 eine Mehrheit für die Olympiagegner ergaben. München 2018-Sprecher Jochen Färber erklärte den Rückgriff auf die GfK-Umfrage mit der Drucklegung des Bid Book. Dies kann jedoch kein belastbarer Grund sein, da der Redaktionsschluss des Bid-Book mit dem 08.12.2010 angegeben wurde.

–       Auch wurde der Deutsche Naturschutzring, der bereits im September 2010 seine Unterstützung zurückzog, noch als Unterstützer genannt.

–        Ebenso meine Partei Bündnis 90/Die Grünen, obwohl unser höchstes Parteigremium sich Ende November 2010, genauso wie alle anderen Parteigremien zuvor, gegen die Bewerbung Münchens ausgesprochen hatte.

–       Weiterhin werden Grundstücke überplant, die 2018 nicht zur Verfügung stehen werden – dies wird auch im Evaluierungsbericht benannt.

–       Das „Umwelt- und Nachhaltigkeitskonzept“, welches als zentraler Bestandteil der Bewerbung bezeichnet wurde, wurde erst Monate später nachgereicht. Aus unserer Sicht ist auch dieses nachgereichte Konzept ein „Papiertiger“, da es an den wirklichen Gegebenheiten völlig vorbei geht. Es garantiert keineswegs ökologische und nachhaltige Spiele.

–       Da das Bid Book nicht in deutscher Sprache vorliegt, können sich viele Bürgerinnen und Bürger vor Ort kein eigenes Bild von den Details der Bewerbung machen.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass Sie und die Mitglieder des IOC durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen bewusst in die Irre geführt werden sollen.

Unser Bündnis „NOlympia“ konnte am 11.01.2011 seinen ersten Geburtstag feiern und freut sich seither weiter über ungebrochenen Zulauf. Die Seite www.nolympia.de wurde mittlerweile in bundesweiten und internationalen Medien lobend erwähnt und konnte bei stets steigendem, fachlich fundiertem, Inhalt die Besucherzahlen auf mittlerweile 210.889 steigern.

Bei zahlreichen sehr gut besuchten Veranstaltungen in den geplanten Austragungsorten konnten meine Mitstreiterinnen und Mitstreiter und ich viele Bürgerinnen und Bürger mit unseren Argumenten überzeugen. So auch am 04.02.2011 in Bad Reichenhall, im Bewerberlandkreis Berchtesgadener Land. Tags zuvor äußerte Wolfgang Staudinger, der Cheftrainer des kanadischen Rodel-Verbandes, er bezweifle, ob die gerade eben renovierte Bob- und Rodelbahn den Anforderungen von München 2018 genüge: „Für Weltcups und Weltmeisterschaften reicht es, aber für Olympia kann ich sie mir noch nicht vorstellen“. Soviel zu der angeblich optimalen Ausstattung der Wettkampfstätten.

Anlässlich des Besuchs der Evaluierungskommission demonstrierten Münchner Bürgerinnen und Bürger mit einer Aktion gegen die Vergabe der Olympischen Winterspiele 2018 nach München. Bilder mit Bannern auf denen “IOC – Go home”, “IOC not welcome” und “Intransparent Olympic Catastrophe” zu lesen waren, wurden von der anwesenden internationalen Presse um die Welt geschickt. Unter anderem veröffentlichte auch das „Wall Street Journal“ diese Fotos und einen Bericht.
NOlympia bekam schließlich die Möglichkeit, innerhalb von 30 Minuten unsere Argumente zu den Themen der fehlenden Grundstücke, des Bürgerbegehrens, der ökologischen und sozialen Folgen und der mangelnden Zustimmung in der Bevölkerung zu präsentieren.
Zwar hätten wir uns anlässlich des viertägigen Besuchs etwas mehr Zeit und einen zweiten Termin in Garmisch-Partenkirchen gewünscht, um unsere Kritikpunkte vorzustellen, doch zeigten die teilnehmenden Kommissionsmitglieder Gilbert Felli, Barry Maister, Simon Balderstone und Ann Cody insbesondere Interesse am gestarteten Bürgerbegehren und den ungeklärten Grundstücksfragen. In der Kürze der Zeit mussten wir die meisten unserer Kritikpunkte schriftlich an die Kommissionsmitglieder übergeben.
Rechtsanwalt Seitz, der die Grundstückseigentümer in Garmisch-Partenkirchen vertritt, bat die IOC-Kommission, sich vom Garmisch-Partenkirchner Bürgermeister Schmid die von ihm behaupteten „zahlreichen unterschriebenen Verträge“ zeigen zu lassen. Die Grundstücke seiner Mandanten stünden “definitiv” nicht zur Verfügung (dies hat er kürzlich in einem Brief an Sie adressierten Brief nochmals öffentlich bekräftigt). Es verwunderte in diesem Zusammenhang nicht, dass sich IOC-Direktor Gilbert Felli von den offiziellen deutschen Stellen mehr Informationen über den Garmisch-Partenkirchener Grundstücksstreit und die dort drohenden Enteignungen gewünscht hätte.
Auch beim Besuch der Evaluierungskommission in Schwaiganger kam es zu Protesten. In Schwaiganger ist das temporär zu errichtende „Nordische Zentrum“ geplant.

Während der Ski-WM in Garmisch-Partenkirchen hatten die Organisatoren mit dem sehr warmen Wetter zu kämpfen, welches sich durch die klimatische Entwicklung (Klimawandel) der nächsten Jahre noch verstärken und direkten Einfluss auf eine mögliche Durchführung der Olympischen Winterspiele 2018 haben wird. Die mit Wasser präparierten Kunstschnee-Pisten gerieten insbesondere wegen der starken Vereisung (die wegen der Plustemperaturen nötig erschien), und den als Schneehärter gestreuten Salzen in die Kritik. Gegen den Einsatz der Schneehärter wurde sogar Anzeige erstattet. Die Sportler selbst bezeichneten die Präparierung der Kandahar als “Schwachsinn”, “unverständlich und unnötig gefährlich”.
Nach Presseberichten warnte Prof. Hartmut Graßl, der Vorsitzende des bayerischen Klimarats, anlässlich der Ski-WM vor dem Schneemangel in Garmisch-Partenkirchen im Jahr 2018. Die Presse resümierte: „Weiße Kunstschneestreifen in grünbrauner Landschaft sind nicht die Bilder vom Wintermärchen, dass die Marketingstrategen in die Welt tragen wollen.“
Ferner blieb der angekündigte Tourismusboom aus. Ein Vertreter der Zugspitzbahn sagte: „Allein auf der Zugspitze haben wir im Vergleich zum Vorjahr die Hälfte der Gäste verloren. Die Leute haben den Ort während der WM gemieden.“ Auf den Rängen klafften deutlich sichtbare Lücken. Die Hotels waren ebenfalls nicht ausgebucht, es kam zu einem Rückgang bei den Ankünften von zwölf Prozent. Viele Gäste fühlen sich von einem sportlichen Großevent also eher abgeschreckt als angezogen. Auch Einzelhändler und Taxifahrer klagten über Umsatzeinbußen.

Bereits in meinem letzten Schreiben habe ich Ihnen von der aufgeheizten Stimmung in Garmisch-Partenkirchen berichtet, in der auch vor Morddrohungen und der Ankündigung von Brandanschlägen auf die Olympiakritiker nicht zurückgeschreckt wurde. In dieser Stimmungslage fanden sich trotzdem Garmisch-Partenkirchener Bürgerinnen und Bürgern, die bereit waren, mit ihrem Namen und ihrer Adresse öffentlich als Gesichter des Bürgerbegehrens zu fungieren.
Der Garmischer-Partenkirchener Bürgermeister Schmid gab schon vor Monaten einem Bürgerbegehren keine Chance, da bestehende Verträge dadurch nicht infrage gestellt werden dürften: „Wir gehen davon aus, dass man keine Frage mehr stellen kann“.
Dennoch startete zwei Tage nach der Ski-WM das auch von NOlympia unterstützte Bürgerbegehren unter dem Motto „Keine Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen! Gegen den Ausverkauf unserer Heimat!”. Unser Bündnis hatte bis zur Ski-WM 2011 bereits 13.000 Unterschriften gegen die Bewerbung gesammelt. Die gefundene Fragestellung bestand darin, mit einem Bürgerbegehren die rechtliche Zulässigkeit der unterschriebenen Verträge überprüfen zu lassen: Der Verfassungsrechtler Prof. Heinrich Amadeus Wolff sollte die mit dem IOC eingegangenen Verträge überprüfen. Wir sind der Ansicht, dass die Verträge Ihrer Organisation, nationales Recht brechen und missachten und wollen dies von einem der führenden deutschen Verfassungsrechtler prüfen lassen.
Für die Zulassung des Bürgerbegehrens wurden die Stimmen von acht Prozent der Einwohner benötigt, also 1693 Unterschriften. Die Initiatoren reichten jedoch nach nur vier Wochen 2430 zulässige Unterschriften bei der Marktgemeinde ein.
Wurden zuvor von den politisch Verantwortlichen und der Bewerbungsgesellschaft Bürgerbegehren stets abgelehnt, so wurde nach Bekanntwerden unseres Bürgerbegehrens von den Befürwortern rasch ein Gegenbegehren initiiert. Wieder zeigt sich, dass Transparenz und Bürgerbeteiligung zuerst von den Gegnern der Bewerbung eingefordert werden muss. Ohne das Bürgerbegehren gegen die Olympischen Spiele wären die Bürgerinnen und Bürger Garmisch-Partenkirchens niemals nach ihrer Meinung gefragt worden.
Am 08.05.2011 kam es zum Bürgerentscheid in Garmisch-Partenkirchen. Die rund 21.000 wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger hatten die Wahl zwischen der Fragestellung „Ja zu Olympia 2018“ und „Keine Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen! Gegen den Ausverkauf unserer Heimat!“. Das augenscheinlichste Ergebnis der Stichwahl brachte nur 55% Zustimmung, aber auch 45% Ablehnung gegenüber einer Ausrichtung Olympischer Spiele im Jahr 2018. Damit entspricht dieses Ergebnis den von Ihrem Haus ermittelten Zustimmungsraten von bayernweit nur 53 und deutschlandweit nur 56% Unterstützung.
Leider hatten die politisch Verantwortlichen in München und Garmisch-Partenkirchen, allen voran Oberbürgermeister Christian Ude, den Bürgerentscheid lange Zeit blockiert. Noch vor Bekanntwerden des Bürgerbegehrens in Garmisch-Partenkirchen hatte OB Ude stets behauptet, dass eine Bürgerbefragung rechtlich nicht möglich und zudem unnötig sei.  Es ist bedauerlich, dass sich die Bevölkerung erst mit immensem ehrenamtlichen Aufwand ihre Beteiligungsrechte erstreiten musste.

Abschließend möchte ich mich bei Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen für die zeitnahe Veröffentlichung des Berichts Ihrer Evaluierungskommission am 10.05.2011 bedanken. In diesem Vergleich der Kandidatenstädte werden einige von uns seit langem angeprangerte Fehlentwicklungen der Bewerbung auch von offizieller Seite bestätigt: Die desaströs niedrigen Zustimmungsquoten in München, Bayern und im gesamten Bundesgebiet (Seite 112), die weiter deutlich zurückgefahrenen ökologischen Zielsetzungen (Seite 27), die nicht zur Verfügung stehenden, aber bereits überplanten Grundstücke (Seite 34) oder auch die nur als vorläufig und detailarm bezeichnete Planungen (Seite 15). Ihr Bericht beweist, dass wir mit unserer Kritik richtig liegen.

Ich werde Sie, stellvertretend für die Plattform „NOlympia“, vor der Entscheidung am 06.07.2011 in Durban nochmals mit einem abschließenden Schreiben über die Stimmung vor Ort informieren.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Ludwig Hartmann

Anbei können Sie meinen Brief in deutscher und englischer Sprache als pdf-Datei herunterladen:

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