Schweinezucht in Bayern: Von Kastenstand bis Wohlfühlstall
Luxus für die Sau oder der Standart der Zukunft? Auf den Naturlandhof Heigl im Landkreis Regensburg leben 70 Muttersauen in einem Wohlfühlstall. Das bedeutet, sie haben ständig Zugang zu allen vier Klimazonen, viel Platz, Stroh zum herumwühlen und spielen und werden nicht fixiert. Ihr Lebensraum ist unterteilt in Außenklimaställe mit Abferkelnestern, Liegekojen und einem Aufzuchtbereich. Sie leben hier in Bedingungen, die über den Öko-Standard hinaus gehen.
Was für die Sauen auf dem Bio-Hof Heigl selbstverständlich ist, muss für ihre Artgenossinnen, die unter herkömmlichen Bedingungen gehalten werden, eine Traumvorstellung sein. Die Realität in der Schweinehaltung sieht in Deutschland nämlich ganz anders aus.
Die Hintergründe – kurz und knackig
Immer weniger hochspezialisierte Betriebe managen immer größere Tierbestände. Die Zahlen sprechen für sich:
Mit 26,9 Millionen Schweinen, die in Deutschland zur Fleischerzeugung gehalten werden, ist Deutschland nach China und den USA der drittgrößte Schweinefleischerzeuger und der größte Exporteur von Schweinefleisch. Im Schnitt kommen auf jeden Halter in Deutschland 1.175 Schweine. Zum Vergleich: Im Jahr 1950 waren es noch fünf Schweine je Halter. Die meisten dieser Schweine- bzw. Mastställe werden aus Kostengründen für 2.000 bis 3.000 Tiere gebaut. Die Schweine leben auf Spaltenböden in geschlossenen Ställen. Ein 50 bis 110 Kilogramm schweres Schwein muss dabei lediglich 0,75 Quadratmeter Platz haben, ökologisch gehaltene Schweine haben je nach Vorgaben des jeweiligen Anbauverband mindestens mehr als doppelt soviel Platz. In Mastbetrieben werden Muttersauen meist in einem Einzelstand fixiert: Zwar müssen die Stände so beschaffen sein, dass die Schweine ungehindert liegen, aufstehen, eine natürliche Körperhaltung einnehmen und Kopf und Gliedmaßen ausstrecken können, bei einem Kasten von 200 x 70 Zentimetern ist das für ausgewachsene Altsauen jedoch kaum möglich.
Die Schweinehaltung ist für bayerischen Landwirt*innen eine wichtige Einkommensquelle. Mit 3,19 Mio. Schweinen und über 4.800 Betrieben halten die bayerischen Landwirte über 12% des deutschen Schweinebestands.
Auswirkungen auf Schweine und Umwelt
Der geringe Platz führt zu Erkrankungen und Verletzungen. Gegner des Kastenstandes kritisieren, dass die Schweine grundlegende Verhaltensweisen wie Sozial-, Ruhe-, Erkundungs-, Nahrungsaufnahme-, Komfort- und Ausscheidungsverhalten nicht ausleben können. Im Kastenstand gehaltene Sauen haben ein erhöhtes Risiko an Erkrankungen des Atmungs-, Verdauungs- und Bewegungsapparates zu leiden und von Verhaltensstörungen wie Leerkauen und Stangenbeißen betroffen zu sein.
Trauriger Beschluss einer langen politischen Debatte ist nun, dass nach einer Übergangsfrist von 15 Jahren sich die Kastenstandweiten künftig an der Größe der Tiere orientieren sollen.
Für männliche Ferkel kommt neben zu wenig Platz und Spaltenbödenhaltung noch ein weiterer gesundheitsgefährdender Aspekt hinzu: Sie werden kastriert, weil das Fleisch sonst unter Umständen einen unangenehmen Geruch entwickeln kann. Bis jetzt geschieht das oft ohne Betäubung. Es geht so schneller und kostet weniger. Ab dem 1. Januar 2021 dürfen Ferkel nur noch unter wirksamer Schmerzausschaltung kastriert werden.
Hinzu kommt die Umwelt und Klimabelastung: Zu Produktion der Futtermittel werden viele Ackerflächen intensiv gedüngt. Der Eintrag von Stickstoff in Böden, Gewässer und Luft ist eines der größten Umweltprobleme. Soja für die Mast kommt meist aus südafrikanischen Staaten, in denen für den Sojaanbau u.a. der Regenwald abgeholzt wird.
Und: Bakterien, die durch die in der Tierhaltung massiv eingesetzten Antibiotika Resistenzen gegen diese entwickeln können, bedrohen damit letztlich auch die Gesundheit der Menschen. Fachleute schätzen, dass 2050 über zehn Millionen Menschen jährlich sterben werden, weil Antibiotika bei ihnen nicht mehr gegen die krankheitsverursachenden Bakterien wirken. Neben einem zu laxen Umgang hinsichtlich der Verschreibungshäufigkeit von Antibiotika in der Humanmedizin, so die Weltgesundheitsorganisation (WHO), gehöre der massive Einsatz von Antibiotika in der Tierproduktion zu den wichtigsten Gründen.
Haltung und Schlachtung sind eng verwoben
Über die letzten Jahrzehnte wurden regionale Versorgungsstrukturen durch das industrielle Fleischsystem verdrängt. Die dramatischen Ereignisse in zahlreichen industriellen Schlachtkonzernen während der Coronapandemie haben verdeutlicht, wie die Schlachtbranche organisiert ist und wo die Schwachstellen liegen: Wenige große Schlachtkonzerne beschäftigen ihre MitarbeiterInnen unter miserablen Arbeits- und Wohnbedingungen. Es gibt Verstöße gegen Arbeitsschutzstandards, Hygieneauflagen und Seuchenschutzmaßnahmen. Wie krisenanfällig dieses System ist, hat die Coronakrise schonungslos offengelegt. Weiter Folgen sind wirtschaftliche Zusammenbrüche von (landwirtschaftlichen) Betrieben. Das System Fleischindustrie fußt auf der Ausbeutung von MitarbeiterInnen im Betrieb und den Tieren. Es ist nicht zukunftsfähig, krisenanfällig und muss sich ändern.
Nachhaltigkeit und Tierwohl in der Schweinehaltung
Dass es auch anders geht, zeigen Höfe wie der Naturlandhof der Famile Heigl im Landkreis Regensburg. Hier sieht man, dass auskömmliche Schweinezucht auch tiergerecht und nachhaltig funktioniert. Die Schweine werden mit großzügigem Platzangebot, eingestreuten Liegeflächen, freiem Abferkeln und ständig frei zugänglichen Ausläufen in einem Wohlfühlstall gehalten. Der hohe Tier-Komfort spiegelt sich in der Gesundheit der Schweine und der guten Fleischqualität wieder.
Sauen und Ferkeln stehen eingestreute Abferkelnester mit ständigem Zugang zu allen vier Klimazonen und ohne Fixiermöglichkeit zur Verfügung. Muttersau und Ferkel sind für die ersten sechs Wochen zusammen. Den Ferkeln steht, neben dem guten Stallklima, eine Joghurttränke beim Absetzten, sauberes Futter und Stroh zur Verfügung. Homöopathische Behandlungen und eine sorgfältige Futterumstellungen rund um das Absetzen unterstützen die Gesundheit der Ferkel.
Die Futtermittel für die Tiere werden überwiegend selbst erzeugt. Auf 70 ha baut Familie Heigl eine weite Getreidefruchtfolge mit Untersaaten und Zwischenfrüchten an. Das Stroh verbleibt zu einem großen Teil auf der Fläche und auch der letzte Schnitt des Klee-Grases wird untergepflügt.
Vielfältige und dezentrale Schlachthofstrukturen
Wir GRÜNE wollen nachhaltigen bäuerlichen Betriebe und vielfältige, dezentrale und in einem fairen Wettbewerb stehende Schlachthofstrukturen.
Dafür müssen wir
1. Große Schlachtunternehmen mit verpflichtenden, landeseinheitlichen Hygienekonzepte in die Pflicht nehmen,
2. die Schlachtung und Fleischverarbeitung dezentralisieren und regionale Wertschöpfung stärken,
3. die Rahmenbedingungen für kleinere Schlachtstätten und Metzgereien verbessern und
4. Weide-, Mobil-und hofnahe Schlachtungen unterstützen und fördern.
Mehr GRÜNE Forderungen zur Schlachtbranche gibt es unter dem Beitrag „Der hohe Preis für billiges Fleisch. Probleme in der industriellen Fleischproduktion und Grüne Forderungen für mehr Tierwohl, Klimaschutz und bessere Arbeitsbedingungen“.
Fazit
Wir brauchen eine Agrarpolitik, die regionale Kreisläufe fördert und den bäuerlich geprägten Betrieb in den Mittelpunkt stellt. Eine Agrarpolitik, die nicht die Produktion günstiger Rohstoffe für Industrie und Handel in den Fokus nimmt, sondern neben der Lebensmittelerzeugung die erbrachten Gemeinwahlleistungen honoriert. Wir müssen uns darauf besinnen, wie wertvoll Fleisch wirklich ist. Ein respektvoller Umgang mit Menschen, Tieren und der Umwelt, sowie eine handwerkliche Produktion muss im Zusammenhang mit der Fleischproduktion das oberste Ziel darstellen.
Weiterführende Informationen gibt es auch im Beitrag: Forderungen und Maßnahmen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft.
Quellen:
Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE): Schweinehaltung in Deutschland.
https://www.praxis-agrar.de/tier/schweine/schweinehaltung-in-deutschland/#:~:text=Immer%20weniger%20hochspezialisierte%20Betriebe%20managen%20immer%20gr%C3%B6%C3%9Fere%20Tierbest%C3%A4nde.&text=In%20Deutschland%20werden%2026%2C9%20Millionen%20Schweine%20zur%20Fleischerzeugung%20gehalten.&text. Aufgerufen am 22.09.2020
Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und Le Monde Diplomatique: FLEISCHATLAS 2018. Abrufbar unter https://www.boell.de/sites/default/files/2019-10/fleischatlas_2018_V.pdf
Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. https://www.stmelf.bayern.de/Schweinehaltung. Aufgerufen am 22.09.2020.
Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL): Naturlandhof Heigl (BioRegio-Betrieb). https://www.lfl.bayern.de/iab/landbau/166357/index.php. aufgerufen am 22.09.2020.