Handeln gegen Rechtsextremismus – Aktionsprogramm für Bayern 5: Versammlungsrecht nutzen – Öffentliche Auseinandersetzung fördern
Der Landtag wolle beschließen:
Die Staatsregierung wird aufgefordert, die öffentliche Auseinandersetzung mit rechtsextremen Aktivitäten mit allen rechtsstaatlich gebotenen und zulässigen Mitteln zu fördern, die Versammlungsfreiheit zu schützen und auszubauen sowie innerhalb ihrer Möglichkeiten jedes demokratische bürgerschaftliche Engagement zu unterstützen, das Rechtsextremen den öffentlichen Raum mit demokratischen Mitteln streitig macht.
Dazu soll die Staatsregierung u.a.
a) einen „Leitfaden Versammlungen“ erstellen, der den zuständigen Versammlungsbehörden und Sicherheitskräften eine Orientierung bietet, wie das Versammlungsrecht nicht nur für mögliche Aktionen von Rechtsextremen, sondern auch die Rechte potentieller Gegendemonstranten gewährleistet werden kann.
Dieser Leitfaden soll klarstellen, dass
– auch Gegendemonstrationen unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stehen,
– unter bestimmten Bedingungen friedliche Sitzblockaden zu dulden sind,
– der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von den Behörden strikt zu befolgen ist, deshalb auch ggfs. Proteste in Sicht- und Hörweite der geplanten Nazi-Veranstaltungen zugelassen werden können und der angemeldete Weg von rechtsextremen Demonstrationen unter zu benennenden Voraussetzungen nicht freigeräumt werden muss,
– bürgerschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus Bürgerpflicht ist,
– die interessierte Öffentlichkeit sofort über angemeldete bzw. ihnen bekannt gewordene rechtsextreme Veranstaltungen, Versammlungen oder sonstige Aktivitäten rechtsextremer Organisationen oder deren Mitglieder zu informieren ist;
b) den zuständigen Kommunen bzw. Landratsämtern gegenüber klarstellen, dass man rechtsextreme Aktivitäten nicht „totschweigen“, sondern ans Licht der Öffentlichkeit zerren muss, es also auch bei kleineren rechtsextremen Aktivitäten und Spontan- bzw. Eilversammlungen erwünscht ist, „großes Aufheben zu machen“,
– sie zu bitten, in den zuständigen Ordnungsbehörden einen Bereitschaftsdienst einzurichten, damit sie auch außerhalb der Dienstzeiten Entscheidungen über Versammlungen treffen und die Öffentlichkeit schnellstmöglich informieren können,
– sie zu ermutigen, wo immer rechtlich möglich rechtsextreme Versammlungen zu verbieten
– anzuregen, einen regelmäßigen Austausch zwischen den vor Ort aktiven Vertreterinnen und Vertretern zivilgesellschaftlicher Initiativen, der Polizei und Kommunalvertretungen einzurichten.
c) alle mit rechtsextremen Veranstaltungen, Versammlungen oder sonstige Aktivitäten rechtsextremer Organisationen oder deren Mitglieder befassten Beamtinnen und Beamten ausreichend zu schulen, so dass sie in der Lage sind, im Fall eventueller Straftaten handelnde Personen, strafbare, also z.B. volksverhetzende Texte, Verstöße gegen Kontaktverbote etc. zu identifizieren, mit dem Ziel einer konsequenten Verfolgung möglicher Straftaten.
Begründung:
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 4. November 2009 (1 BvR 2150/08) die besondere Rolle zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechtsextremismus hervorgehoben: „Den hierin begründeten Gefahren entgegenzutreten, weist die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes primär bürgerschaftlichem Engagement im freien politischen Diskurs sowie der staatlichen Aufklärung und Erziehung in den Schulen gem. Art. 7 GG zu.“ Das Gericht gibt auch einen Hinweis darauf, wie mit rechtsextremistischen Äußerungen in unserer Gesellschaft umgegangen werden soll: „Die Verfassung setzt vielmehr darauf, dass auch diesbezüglich Kritik und selbst Polemik gesellschaftlich ertragen, ihr mit bürgerschaftlichem Engagement begegnet und letztlich in Freiheit die Gefolgschaft verweigert wird“. Dabei haben politische Funktions- und Mandatsträger eine wichtige Repräsentations- und Vorbildfunktion. Ihr Engagement kann zu einer Bestärkung des örtlichen Engagements führen.
Dieses bürgerschaftliche Engagement gegen Rechtsextremismus, zu dem uns die Verfassung und das Verfassungsgericht aufrufen, ist nur möglich, wenn die Versammlungsbehörden die Öffentlichkeit über anstehende Aktivitäten von Rechtsextremen rechtzeitig und umfassend informieren.
Für erfolgreiches zivilgesellschaftliches Engagement gibt es auch in Bayern viele Beispiele (z.B. „Gräfenberg in Oberfranken: Wie die Gemeinde bundesweit zum Vorbild wurde für zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen Neonazis“, BSZ 24. Februar 2012): „‚Das einzige wirksame Mittel gegen Rechtsradikalismus ist zivilgesellschaftliches Engagement‘, sagt Bürgermeister Wolf. Deshalb wünschen sich die Verantwortlichen des Bürgerforums: Auch in den Reihen der Polizei, in Landratsämtern und den Verwaltungsgerichten möge die Einsicht wachsen, dass der Schutz der Demokratie nicht allein in Behördenhand liegen kann.“
Für die lokale Bevölkerung und für die bundesweite Öffentlichkeit, aber auch für Sympathisanten der Rechtsradikalen ist es immer ein nachhaltiges Zeichen, wenn sich Gegendemonstrantinnen -demonstranten und wichtige politische Persönlichkeiten der Region bzw. des Landes durch nichts von ihrem Protest abhalten lassen.
Auch Innenminister Herrmann hat am 17. August 2012, bei der Vorstellung der Verfassungsschutzinformationen 1. Halbjahr 2012, zivilgesellschaftliches Engagement gefordert: „Ich appelliere auch an alle gesellschaftlichen Kräfte, weiterhin wachsam zu bleiben und den Feinden unseres Rechtsstaats mutig entgegen zu treten.“ Dieses Engagement braucht jede rechtlich mögliche Unterstützung staatlicher Behörden.
Der Innenminister hat damals auch ausgeführt: „Erfreulicherweise findet die NPD in Bayern nur wenig Rückhalt. Dies hat ihre diesjährige Sommertour gezeigt. Es waren regelmäßig nur wenige NPD-Aktivisten bei den Veranstaltungen anwesend. Demgegenüber machte jeweils eine vielfache Anzahl an Gegendemonstranten ihre ablehnende Haltung gegenüber der NPD deutlich.“ Diese positive Einschätzung muss allerdings in zweifacher Hinsicht korrigiert werden. Zum einen zeigen Vergleichsdaten, dass die NPD und andere Neo-Nazis gerade in Bayern besonders aktiv sind. Der bayerische NPD-Landesverband weist die höchsten Mitgliedszahlen bundesweit und besonders viele Internetaktivitäten auf: zusammen mit Nordrhein-Westfalen und Sachsen gibt es in Bayern die meisten NPD-Webseiten (vgl. jugendschutz.net), Neo-Nazi-Webseiten sind besonders in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen aktiv. Zum anderen steht eine solche positive Bewertung aber in vielen Fällen im Widerspruch zur örtlichen Polizeistrategie, z.B. zu der beim durch eine Eilanmeldung angekündigten Aufmarsch von etwa 100 Neonazis durch die Fürther Innenstadt. „Die Veranstaltung sei ‚störungsfrei‘ verlaufen, so die Polizei, bei der Bevölkerung sei sie ‚nur auf geringes Interesse‘ gestoßen. Wegen der Kurzfristigkeit kam es nicht zu Gegendemonstrationen im üblichen Ausmaß“ (Nürnberger Nachrichten 20. Februar 2012). „Gegendemonstrationen im üblichen Ausmaß“ sind nach Auffassung des Landtags bei rechtsextremen Aktivitäten jederzeit erwünscht – als Zeichen unserer wehrhaften Demokratie und der Bereitschaft der bayerischen Bevölkerung, aktiv für sie einzutreten.
Nach Art. 13 Abs. 5 BayVersG kann die Ordnungsbehörde den Leiter einer Versammlung ablehnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser die Friedlichkeit der Veranstaltung gefährdet. Ein Verstoß gegen die Ablehnung wäre mit bis zu 3000 € bußgeldbewehrt.
Der notorische Neonazi Martin Wiese ist im Mai zu einer Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden, da er anlässlich einer Veranstaltung zum Frankentag Journalisten damit gedroht hatte, sie durch den Volksgerichtshof zum Tode verurteilen zu lassen. Dementsprechend hat Polizeipräsident Waldemar Kindler erklärt: „Wir haben Polizeipräsidien und Versammlungsbehörden sensibilisiert“, sagte Kindler, „einer, der schwere Straftaten begehen wollte und zu einer erheblichen Haftstrafe verurteilt wurde, wie etwa Wiese, ist in der Regel als Versammlungsleiter ungeeignet“ (PNP 2. August 2012). Andererseits haben die Polizeibehörden in Landshut nach Auskunft der Staatsregierung (29. März 2012, Drs. 16/12076) Wiese als „Wortführer“ akzeptiert und ihn so aufgewertet. Im Nachgang zu dieser Versammlung wurden stattdessen die friedlichen Blockierer des Neonaziaufmarsches in einer gemeinsamen Pressekonferenz von Polizei und Kommune als diejenigen dargestellt, die gegen Recht und Gesetz verstoßen haben. Hier ist ein konsequentes, bayernweit einheitliches und Zivilcourage förderndes Handeln erforderlich.
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Aktuelle Informationen zum Beratungsverlauf unseres Antrags im Bayerischen Landtag.
Wie sie den Unterlagen unter dem oben stehenden Link entnehmen können, wurde unser Antrag leider durch die Stimmen der Regierungsfraktionen von CSU und FDP (bei Enthaltung der SPD) abgelehnt.