Meine Rechercheergebnisse zur Öffnung von Einbahnstraßen für den Fahrradverkehr entgegen der Fahrtrichtung
Zu meiner ursprünglichen Schriftlichen Anfrage vom 14.09.2011 bekam ich leider nur wenig aussagekräftige Antworten. Aus diesem Grund habe ich mich kurz nach Erhalt der Antworten der Staatsregierung dazu entschieden, selbst die notwendigen Daten zu erheben, zu denen sich das Innenministerium außer Stande sah. Anbei versuche ich Ihnen die Ergebnisse dieser eigenfinanzierten Umfrage zusammenzufassen:
Zur Vorgeschichte meiner Recherche und den Reaktionen des Innenministeriums lesen Sie bitte die unten verlinkten Einträge.
Rückmeldungen
Die Quote der Rückmeldungen aus den 45 größten Bayerischen Städten mit mehr als 25.000 Einwohnern war sehr hoch und liegt bis dato bei 73%. Dabei sind keine regionalen Unterschiede festzustellen; die übermittelten Daten können somit für ganz Bayern als durchaus repräsentativ angesehen werden.
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen beteiligten Beamtinnen und Beamten, sowie Verwaltungsangestellten nochmals herzlich für die immer freundlichen, fachkundigen und teilweise sehr ausführlichen Antworten bedanken!
Rechtslage
Laut Straßenverkehrsordnung (§ 41 Abs. 2 Nr. 2 Zeichen 220 Satz 2 bis 4 StVO sowie in Nr. 4 der Verwaltungsvorschriften zu Zeichen 220 StVO) wird es Kommunen unter bestimmten Umständen ermöglicht Einbahnstraßen für den Radverkehr entgegen der Einbahnrichtung zuzulassen. Voraussetzungen hierfür sind eine „geringe Verkehrsbelastung“ und eine ausgewiesene Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h oder weniger. Ferner existieren Verwaltungsvorschriften und Anweisungen des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren. Die Kommunen handeln im Vollzug der Straßenverkehrs-Ordnung im übertragenen Wirkungskreis; Meldepflichten bestehen jedoch nicht. Die zuständige Straßenverkehrsbehörde entscheidet vor Ort nach Anhörung der Straßenbaubehörde und der Polizei. Die Anordnung setzt stets eine Beurteilung der besonderen Umstände im Einzelfall voraus. Vorgaben zur Öffnung von Einbahnstraßen für den Fahrradverkehr entgegen der Einbahnstraße enthält die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung zu Zeichen 220 StVO „Einbahnstraße““. Weitere Hilfestellungen geben die „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA), Ausgabe 2010“ der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. und das „Radverkehrshandbuch Radlland Bayern“ der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern. (Teilweise aus der Beantwortung auf meine Schriftliche Anfrage übernommen.)
Quantifizierbare Ergebnisse
Landesweite Hochrechnungen lassen sich freilich nur sehr schwer erzeugen, da in der Totalen die Großstädte mit ihrer naturgemäß wesentlich größeren Anzahl an Einbahnstraßen, die Bemühungen der kleineren Städte marginalisieren würden. Das arithmetische Mittel der prozentual geöffneten Einbahnstraßen in den 45 größten Bayerischen Städten würde jedoch Ausreißern zu viel Gewicht verleihen, die keine Einbahnstraßen haben oder sehr unterdurchschnittliche Ergebnisse aufweisen. Hinzu kommt, dass in einigen Kommunen (29% der Rückmeldungen) die genaue Anzahl der Einbahnstraßen im Stadtgebiet nicht bekannt ist. Außerdem herrschen in einzelnen Behörden mangelnde Unterscheidungsmöglichkeiten zwischen „echten“ und „unechten“ Einbahnstraßen. Eine verständliche und augenscheinliche Unterscheidung finden Sie hier auf der gemeinsamen Internetpräsenz des ACE – Auto Club Europa, der Deutschen Sporthochschule Köln und des Verkehrsclubs Deutschland: http://www.radschlag-info.de/277.html .
Soweit sich dies aus den jeweiligen Antworten ablesen lies, habe ich die Zahlen für die „echten“ Einbahnstraßen verwendet. Die Kennzahlen für alle Einbahnstraßentypen liegen also noch wesentlich höher.
Trotz der genannten Einschränkungen kann Folgendes mit Sicherheit festgestellt
werden:
– In allen angeschriebenen Kommunen wurde nur eine einzige Öffnung
wieder aufgehoben. Dies entspricht einem verschwindend kleinen
Prozentsatz von lediglich 0,14 % der bekannten geöffneten Einbahnstraßen.
– Von allen angeschriebenen Polizeibehörden konnte nur ein einziger Unfall angegeben werden, der in Zusammenhang mit der Öffnung von Einbahnstraßen für den Fahrradverkehr entgegen der Fahrtrichtung geltend gemacht werden kann. Und dies über einen jahrelangen Recherchezeitraum hinweg!
Aufgrund der vorliegenden Zahlen kann davon ausgegangen werden, dass
bereits zumindest ein Drittel der bayernweit vorhandenen
Einbahnstraßen geöffnet wurden!
– Über ein Drittel der Kommunen, die bislang Einbahnstraßen geöffnet haben,
haben bereits kurz nach den entsprechenden, anfänglich befristeten,
Änderungen der StVO im Jahre 1997 damit begonnen.
Qualifizierbare Ergebnisse
Zur besseren Analyse des örtlichen Umgangs mit der Öffnung von Einbahnstraßen habe ich die Antworten so weit möglich kategorisiert. In einem ersten Schritt habe ich die Antworten danach kategorisiert, wie erfolgreich die Einführung der Öffnung in den jeweiligen Kommunen gesehen wird:
Negativ: 0
Überwiegend negativ: 1
Sowohl positiv als auch negativ: 3
Überwiegend Positiv: 22
Positiv: 7
Keine Zuordnung möglich: 12
Diese Kategorisierung entspricht den Zahlen bezüglich der kaum vorhandenen Rücknahme einmal geöffneter Einbahnstraßen und der sehr geringen Unfallzahlen. In der einzigen Kommune die eine überwiegend negativ formulierte Bewertung übermittelte, wurden auf Basis einer negativen polizeilichen Stellungnahme bisher keine Einbahnstraßen geöffnet. Es handelt sich also in diesem Fall also nicht um eine Beurteilung aufgrund lokaler Erfahrungswerte.
Positive Ergebnisse aus kommunaler Sicht
Insbesondere hervorgehoben wurden:
– Verbesserungen des Radwegenetzes
– Erhöhung der verkehrlichen Sicherheit durch neue Umfahrungsmöglichkeiten
stark befahrener Straßenzüge
– Höhere Akzeptanz von Radfahrer*innen im Straßenverkehr
Negative Ergebnisse aus kommunaler Sicht
Negative Auswirkungen von Öffnungen wurden nur sehr selten geschildert. Vereinzelt wurden Probleme mit Fußgängern benannt, die nicht mit Radfahrernentgegen der Fahrtrichtungen rechnen würden. Wie bei jeder Neuerung im Straßenverkehr würde auch bei der Öffnung von Einbahnstraßen eine gewisse Eingewöhnungszeit von Nöten sein, bis sich alle Verkehrsteilnehmer*innen auf die neue Situation eingestellt hätten. In einem Fall gab ein Vertreter einer Polizeiinspektion an, dass sich weder Kollegen noch Verkehrsteilnehmer darauf einstellen könnten, welche Regelung in welcher Straße gelte und deshalb steigende Verunsicherung zu beobachten sei. Dem könnte natürlich entgegnet werden, dass die Einbahnstraßen entsprechend ausgeschildert sind. Andernfalls könnte dies auch als ein Argument für eine generelle Öffnung gesehen werden.
Prüfkriterien
Während in einigen Kommunen nur verkehrsberuhigte Straßen geöffnet wurden, handeln andere Städte insbesondere nach dem Gesichtspunkt einer möglichen Lückenschließung im Radverkehrswegenetz. Einige Städte vernetzen ihre Erfahrungen z.B. auch in interkommunalen Arbeitskreisen wie dem AK fahrradfreundlicher Kommunen in Bayern, der 2011 ins Leben gerufen wurde. Neben den gesetzlichen Vorgaben erscheint einigen Kommunen eine Öffnung insbesondere dort problematisch, wo auch aufgrund historischer Gegebenheiten die Fahrbahnbreiten nicht für einen Begegnungsverkehr ausreichen und diese auch durch vertretbare bauliche Eingriffe nicht zu beheben sind. Für negative Bescheidungen wurden auch folgende Gefahrenpotentiale, die sich teilweise mit den rechtlichen Vorgaben der StVO decken, angegeben:
– hoher Anteil von Lkw’s im Straßenverkehr, z.B. vor Einkaufsmärkten oder in Gewerbegebieten
– unübersichtliche Straßenverläufe, gerade auch in Kreuzungsbereichen mit Rechts-vor-Links-Regelungen
– Hohes Verkehrsaufkommen
– Kein Bedarf für den Radverkehr, da es sich nur um sehr kurze Wegstrecken handle, die anderweitig sicherer und schneller umfahren werden könnten
– Vereinzelt wurden auch Bedenken bei ein- bzw. beidseitigen Stellplätzen gemeldet. Bei Straßen in denen aber die Sicht- bzw. Blickbeziehungen zwischen Autoverkehr und Radverkehr sehr gut sind, arrangierten sich Autofahrer und Radfahrer in den meisten Fällen.
– Zwei Rückmeldungen nannten auch das Vorhandensein von Gefälle und der damit zusammenhängenden eventuell unterschätzten Geschwindigkeitserhöhung des Radverkehrs als einen möglichen Ablehnungsgrund, dem jedoch ggf. durch Abmarkierungen und Beschilderung an den entsprechenden Stellen begegnet werden könnte.
– An kritischen Stellen werden von Seiten einer Kommune sogenannte „Fahrradschleusen“ eingesetzt, die Konflikte zwischen Autofahrer*innen, die am Ende der Einbahnstraße links abbiegen, sowie Radfahrer*innen, die zur selben Zeit entgegen der Einbahnrichtung einfahren, verhindert werden können. Dies zieht jedoch ggf. Kosten durch bauliche Umgestaltungen nach sich.
– So wurden in wenigen Fällen finanzielle Ablehnungsgründe genannt, falls eine Einbahnstraße nur mit baulichen Veränderungen zu öffnen sei.
– Bei der Beurteilung sah eine Kommune auch die Einsetzung eines Verkehrsbeirats, dem auch Mitglieder der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmerorganisationen angehören, als hilfreiches und erprobtes Mittel an. Auch die Hinzuziehung des Stadtrats bei komplexeren Fällen habe sich bewährt.
Zielsetzungen
Die meisten Kommunen entscheiden im Einzelfall anhand der juristischen und lokalen Prüfkriterien, wobei der Antrag auf Öffnung meist aus der Bürgerschaft oder dem Stadtrat kommt. Viele Kommunen gaben den Willen zur grundsätzlichen Öffnung von Einbahnstraßen an, wenn dies in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben zu bringen sei. Die wenigsten Kommunen haben konkrete Zielsetzungen wie z.B. die Landeshauptstadt München, die bis 2015 ein Ausbauziel von 300 ihrer ca. 700 Einbahnstraßen angibt. Jedoch sind in einigen kommunalen Haushalten und in Radverkehrsentwicklungsplänen Mittel reserviert, wenn eine Öffnung nur mit baulichen Änderungen zu erreichen ist.
Abgeschlossene Prüfungen
Hinsichtlich der Frage, wie viele Einbahnstraßen im Stadtgebiet bereits geprüft und entweder positiv oder negativ beschieden wurden, ergibt sich ebenfalls eine große Bandbreite. Acht Kommunen gaben explizit an, bereits alle ihre Einbahnstraßen hinsichtlich einer Öffnung geprüft zu haben. Andere Kommunen wollen dies durch schrittweise Prüfungen in Reihenfolge der erwarteten Verbesserung für das städtische Radverkehrsnetz in den nächsten Jahren bewerkstelligen. Die meisten Kommunen prüfen jedoch nach Beantragung im Einzelfall.
Wissenschaftliche Vergleichsstudien
Bereits im Jahr 2000 führte die Bundesanstalt für Straßenwesen eine wissenschaftliche Studie durch, bei der die Akzeptanz und Erfahrungen im Umgang mit der Öffnung von Einbahnstraßen geprüft werden sollte. Denn ursprünglich war die Regelung nur bis 31.12.2000 befristet eingeführt worden. Die positiven Ergebnisse der Studie trugen dazu bei, dass diese Befristung schließlich aufgehoben wurde. Schon damals zeigte sich, dass trotz intensivster Untersuchungen von Einbahnstraßenunfällen und einer vertiefenden drei- bis vierjährigen Unfallanalyse in 15 ausgewählten deutschen Städten, Einbahnstraßen mit mehr als einem Unfall pro Jahr extrem selten seien und die Verkehrssicherheit insgesamt hoch ist. Und dies unabhängig von der Freigabe für den Radverkehr in oder entgegen der Fahrtrichtung.
Tendenziell sei durch die Öffnung sogar ein Sicherheitsgewinn zu erwarten. Außerdem hob die Untersuchung die für Kommunen kostengünstige Möglichkeit hervor ihr Radverkehrsnetz auszubauen oder zu schließen. Radfahrer könnten Umwege vermeiden und wären nicht gezwungen auf hochfrequentierten Hauptverkehrsstraßen zu fahren. Schmale Fahrgassen werden in der Studie nicht als Ausschlusskriterium bewertet, sofern Ausweichmöglichkeiten bestünden. Die Ergebnisse der Studie decken sich also mit den Rückmeldungen aus den angefragten bayerischen Städten.
Fazit
Aus meiner Sicht zeigen die Ergebnisse der Umfrage deutlich, dass sich auch in bayerischen Kommunen schon längst die Ansicht durchgesetzt hat, dass die Öffnung von Einbahnstraßen für den Radverkehr entgegen der Fahrtrichtung ein sinnvolles Instrument kommunaler Verkehrsplanung ist. Dies lässt sich an der weiterhin steigenden Zahl der Öffnungen, der nahezu nicht existenten Unfallstatistik, dem Fakt, dass nur in einem Fall eine einmal erfolgte Öffnung wieder zurückgenommen wurde und nicht zuletzt an den deutlich überwiegenden positiven Einschätzungen in den Kommunen belegen, die sich zu Öffnungen entschieden haben.
Es bleibt zu hoffen, dass auch momentan noch zögerliche Gemeinden ihre Gestaltungsmöglichkeit in dieser Hinsicht nutzen und ihre anfänglichen Bedenken überwinden.
Stand: 24.04.2012
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Die genannte Untersuchung kann hier bestellt werden:
BASt-Info07/02
Bericht
Verkehrssicherheit in Einbahnstraßen mit gegengerichtetem Radverkehr
Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft V83,2001
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