Informationsschreiben für die Mitglieder der IOC-Evaluierungskommission
Sehr geehrte Mitglieder der Evaluierungskommission;
hiermit möchten wir Sie auf einige gravierende Kritikpunkte an der Bewerbung „München 2018“ aufmerksam machen. Wir bitten Sie, diese Kritik ernst zu nehmen und in Ihre Beurteilung für die Vergabe der Olympischen Winterspiele 2018 einfließen zu lassen.
Im Bid Book „München 2018“ werden wichtige Tatsachen verschwiegen oder falsch dargestellt, Halbwahrheiten werden verbreitet und eigene Planungen falsch wiedergegeben.
Die Bewerbung war und ist durch ein hohes Maß an Intransparenz gekennzeichnet. Sollte München den Zuschlag bekommen, würden Maßnahmen durchgeführt, die den BürgerInnen missfallen werden, über die sie zuvor nicht informiert wurden und die den bereits vorhandenen Widerstand gegen die Olympischen Spiele noch massiv verstärken werden.
Bürgerbegehren/Bürgerentscheid
In Kapitel 3.12 des Bid Book wird dargestellt, dass kein Referendum notwendig sei. Im weiteren Text des Kapitels wird die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens/Bürgerentscheides nicht dargestellt.
Das Bürgerbegehren in Garmisch-Partenkirchen wurde am 22. Februar 2011 gestartet.
Hier wurde also ein sehr gewichtiger Fakt unterschlagen. Sollte das Bürgerbegehren für „unzulässig“ erklärt werden, wird Klage eingereicht. Dieses Gerichtsverfahren würde sich über den 6. Juli hinaus hinziehen.
Wird das Bürgerbegehren für „zulässig“ erklärt, wird es sich ebenfalls über den 6. Juli hinziehen.
Auch weitere juristische Möglichkeiten, die bereits angedacht sind von denen noch Gebrauch gemacht werden kann, werden im Bid Book nicht erwähnt.
Grundstücke in Garmisch-Partenkirchen
Im Kapitel 9.12 des Bid Book wird gegenüber dem IOC der Eindruck erweckt, alle benötigten Grundstücke seien bereits gesichert oder die für die Sicherung der Grundstücke notwendigen Verträge seien in Bearbeitung.
Dies ist unrichtig: 63 Grundstückseigentümer, deren Grundstücke innerhalb der im Bid Book angegebenen Umgriffe oder direkt daneben gelegen sind, haben ihre Weigerung zur Verpachtung oder zum Verkauf dieser Grundstücke erklärt; 100 weitere Grundeigentümer haben sich solidarisch erklärt.
Hierfür wurde ein Rechtsanwalt mandatiert, der dies sowohl gegenüber dem IOC, gegenüber der Bewerbungsgesellschaft als auch gegenüber den Medien mehrmals ausdrücklich dargestellt hat.
Von den Bewerbern wiederholt dargestellte andere Lösungen („Plan B“) oder Umplanungen sind nicht möglich. Auch wären diese Umplanungen sonst längst erfolgt, wollte man im Bid Book doch die „endgültigen“ Lösungen anbieten.
Da die benötigten Grundstücke nicht zur Verfügung gestellt werden, droht den betroffenen Grundstückseigentümern die Enteignung. Dies hat auch der Oberbürgermeister der Bewerberstadt München bereits erklärt und gefordert.
Eine Enteignung (und bereits deren Androhung) für Olympische Winterspiele führt nicht nur den Gedanken der Frieden stiftenden Spiele ad absurdum, sondern verstärkt in der Bevölkerung die Ablehnung gegenüber dem IOC und den Olympischen Spielen. Zudem sind Enteignungen nach deutschem Recht für temporäre Sportereignisse nahezu unmöglich – Gerichtsverfahren zu Enteignungen würden sich über Jahre hinziehen und es wäre sehr wahrscheinlich, dass die Enteignungen abgelehnt würden.
Widerstand
Von der Bewerbungsgesellschaft wird weder gegenüber dem IOC noch in der Öffentlichkeit noch im Bid Book der mittlerweile große Widerstand gegen die Bewerbung um Olympische Winterspiele 2018 erwähnt.
Im Bid Book wird in Kapitel 6.4 als Mitglied in den Beratungsgremien und vor allem als Beteiligter am weiteren Planungsprozess der Deutsche Naturschutzring (DNR) immer noch erwähnt. Der DNR ist eine Dachorganisation von 98 Umwelt- und Naturschutzverbänden in Deutschland. Der DNR hat jedoch bereits am 13.09.2010 seinen Ausstieg aus der Fachkommission Umwelt und damit aus den Bewerbungsgremien bekannt gegeben. Interessanterweise ist er im Kapitel 3.6 des Bid Books auch nicht mehr als Unterstützer aufgeführt. Natürlich könnte man unterstellen, dass der DNR bewusst nicht gestrichen wurde, um dem IOC eine große Unterstützung von Umweltverbänden vorzutäuschen.
Mit keinem Wort erwähnt wird der Ausstieg der meisten am Anfang beteiligten großen Naturschutz- und Umweltverbände aus der Fachkommission Umwelt: Bund Naturschutz in Bayern e.V. (176.000 Mitglieder), Verein zum Schutz der Bergwelt, Alpenschutzkommission CIPRA Deutschland und Mountain Wilderness. Diese Verbände haben die Fachkommission Umwelt verlassen, da die Planungen für die Olympischen Winterspiele 2018 in der geplanten Form mit den Satzungen dieser Verbände, deren oberstes Ziel der Schutz und der Erhalt von Natur und Umwelt ist, nicht vereinbar sind. Zudem wurden die Vorschläge und Einwendungen dieser Verbände in der Fachkommission Umwelt nicht berücksichtigt.
Ebenfalls mit keinem Wort erwähnt wird im Bid Book die Ablehnung der Bewerbung durch das überparteiliche und gesellschaftsübergreifende Netzwerk „NOlympia“, auf dessen Homepage www.nolympia.de bis Mitte Februar 2011 über 150.000 Besucher registriert wurden.
Im Kapitel 3.4 wird dargestellt: „While Munich´s Green faction supports the bid, the Bavarian and German Green Party have expressed concerns regarding the bid.” Dies ist unrichtig. Der Stadtverband München, der bayerische Landesverband und der Bundesverband der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ haben nicht „Bedenken geäußert“, sondern lehnen die Bewerbung per Mehrheitsbeschlüssen ab. Alleine die Grüne Stadtratsfraktion (11 Mitglieder) ist diesem Beschluss nicht gefolgt. Die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ ist derzeit die drittstärkste politische Kraft in Deutschland.
Umweltzerstörungen und falsche Versprechungen
Schutzgebiete werden im Bid Book nicht genannt:
Die Evaluierungskommission muss sich vergegenwärtigen, dass Sportstätten, Funktionsflächen und Infrastruktur zum Teil auf hochwertigen Flächen, darunter in Schutzgebieten (Biotope), errichtet werden. Hierauf wird im Bid Book nicht eingegangen. Dort heißt es in Kapitel 6.1 dazu lapidar: „Protected biotopes and protected landscapes exist in these areas, but are not indicated on the map.“ Bei Interesse erläutern wir diese Flächen gerne. Ob diese Flächen im nachzureichenden Umwelt- und Nachhaltigkeitskonzept dargestellt sind, bleibt abzuwarten.
Beispiele für Naturzerstörungen:
In Schwaiganger würde eine herrliche Voralpenlandschaft großflächig und dauerhaft zerstört.
Baum- und Bergwaldrodungen sind im „Snow-Cluster“ geplant – die Größe der Flächen wird herunter gespielt.
In München müssen mindestens 1.300, vermutlich 2.000 Bäume für den Bau des olympischen Dorfes gefällt werden.
Dem Umwelt- und Nachhaltigkeitsgedanken, wie auch vom IOC gefordert, entspricht dies nicht.
Transport
Die im Bid Book in Kapitel 15 dargestellten Infrastrukturmaßnahmen sind bisher nicht gesichert. Einen Autobahnanschluss an Garmisch-Partenkirchen wird es nicht geben.
Nach dem Bundesverkehrswegeplan können vor dem Jahr 2015 für einen Großteil der dargestellten Projekte die Planungen nicht beginnen, da sie lediglich unter „Weiterer Bedarf“ aufgeführt sind. Diese Projekte werden nur dann genehmigungsfähig, wenn die Finanzierung im Jahr 2015 gesichert ist. Die Finanzierung der Maßnahmen ist nach heutigem Stand auch im Jahr 2015 nicht gesichert, die Gelder sind nicht vorhanden.
Der versprochene Ausbau der Eisenbahnstrecke von München nach Garmisch-Partenkirchen (Gesamtlänge 100,4 km), einer der wichtigsten Argumente für die Nachhaltigkeit der Spiele, wird entgegen der öffentlichen Aussagen nur auf einer Länge von insgesamt 6 km umgesetzt. Hier wird der Bevölkerung etwas versprochen, was letztendlich nicht eingehalten wird und zur weiteren Ablehnung Olympischer Spiele führen wird.
Kosten
Nachfragen nach den Wirtschaftsplänen der Bewerbung bleiben unbeantwortet, die Planungen sind vollkommen intransparent. Nach einer Umfrage der Friedrich-Schiller-Universität Jena gehen 79% der Deutschen von völlig falschen Kosten für die Olympischen Spiele aus.
Glaubwürdigkeit der Bewerbungsgesellschaft
Auch eine Reihe anderer Aussagen führten zu Unverständnis in der Bevölkerung.:
• So ist fälschlicherweise vom „2-Park-Konzept“ die Rede. Es handelt sich tatsächlich um ein 4-Park-Konzept (München, Garmisch-Partenkirchen, Schwaiganger, Schönau am Königssee) mit den folgenden Entfernungen (Straßenkilometer laut www.viamichelin.de):
München – Garmisch-Partenkirchen: 100 km
München – Schwaiganger: 70 km
München – Schönau am Königssee: 160 km
Garmisch-Partenkirchen – Schönau am Königssee: 190 km
Garmisch-Partenkirchen – Schwaiganger: 25 km
Schwaiganger – Schönau am Königssee: 170 km
• Der tatsächliche Flächenverbrauch wird regelmäßig mit „weniger als 1 ha“, „einem halben Fußballfeld“ oder „einem Fußballfeld“ angegeben. Dabei werden ca. 150 ha alleine für temporäre Bauten im Bereich der Sportstätten benötigt, dazu 12.000 Parkplätze plus Infrastruktur und Olympische Dörfer etc. Wenn später der tatsächliche Flächenverbrauch offenbar werden wird, wird die Bevölkerung dagegen Sturm laufen.
Dies fällt auf das IOC und die Olympischen Spiele zurück.
• Umfragen zur Zustimmung/Ablehnung der Bewerbung:
Es wird im Bid Book lediglich eine Umfrage aus dem „Frühjahr 2010“ zitiert. Nicht berücksichtigt wurde die Umfrage von infratest dimap vom Oktober 2010, die eine Zustimmung von nur noch 60% ergab (im Mai 2010 waren bei einer Umfrage des gleichen Instituts noch 80% dafür). In Bayern ergab eine Umfrage von infratest dimap im Januar 2011 eine Zustimmung von ebenfalls nur noch 60%.
Nicht erwähnt wurde eine Vielzahl von Online-Befragungen, die alle eine Ablehnung der Bewerbung zeigten (wären diese positiv für die Bewerber ausgegangen, wären sie natürlich dargestellt worden):
BR-online, 14.02.2010: 56,4% dagegen
Merkur online, 14.02.2010: 78% dagegen
tz online, 14.02.2010: 88% dagegen
Augsburger Allgemeine, 23.07.2010: 65% dagegen
Frankfurter Rundschau, Dezember 2010: 61% dagegen
AZ online, 15.12.2010: 76,6% dagegen
BR2 online, 18.01.2011: 57,8% dagegen
Garmisch-Partenkirchner Tagblatt, 21.01.2011: 50,4% würden ein Bügerbegehren gegen Olympia unterstützen
• Die Sinnhaftigkeit der 18 „Umwelt-Leitprojekte“ wurde bereits mehrfach widerlegt. So wird das Olympische Dorf im „Ice-Park“ nicht im Plus-Energie-Standard errichtet. Weitere der genannten Umwelt-Konzepte existieren längst, oder es handelt sich um die Umsetzung bestehender Gesetzeslage. Hierzu erarbeitet „NOlympia“ eine eigene Stellungnahme.
• Das Bid Book wird in wesentlichen Punkten in einer demnächst erscheinenden Stellungnahme widerlegt sowie die tatsächlichen Fakten erläutert. Hierzu zählen z.B. Projekte, die mit dem Kontext der Bewerbung nichts zu tun haben: wie das in Kapitel 1.3 genannte und fälschlicherweise der Bewerbung zugeordnete „UNESCO-Projekt“ oder der regelmäßige Hinweis auf „bereits existierende rechtskräftige Bebauungspläne“, die tatsächlich in keinerlei Zusammenhang mit den für die Olympischen Winterspiele 2018 geplanten Bebauungen stehen.
• Öffentlich geäußerte Informationen der Bewerber entsprechen nicht den Angaben in den Bewerbungsunterlagen. Wir geben Ihnen gerne einige Beispiele.
• Pressemitteilung Winfried Herrmann, MdB Grüne, Mitglied im Sportausschuss, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, vom 22.11.2010: „Vorhandene Pisten, Schneekanonen, Schanzen und Hallen werden genützt, nicht neu- oder zusätzlich gebaut. Nur die Anlagen für Langlauf und Biathlon werden temporär gebaut und wieder zurückgebaut.“
• Dr. Thomas Bach im „Tagesspiegel“ am 23.11.2010: „Aber wir brauchen keine neue Eisenbahnlinie, keine neuen Straßen.“
• Bernhard Schwank, Geschäftsführer der Bewerbungsgesellschaft, in „ya- hoo.sport“ am 03.01.2011: „Wir haben komplette Infrastruktur. Wir brauchen keine Schienen verlegen und keine Autobahn errichten.“
• Boris Schwartz, Leiter der „Fachkommission Umwelt“, am 17.02.2011 in „münchen.tv“:„Die Sportstätten, die wir brauchen, für die ganzen Skirennen, für die Langlaufrennen, für die Biathlonrennen, die sind zum allergrößten Teil wirklich schon da, sie sind vorhanden. Das sind die gleichen Strecken, mit denen jetzt momentan gerade die Ski-Weltmeisterschaften durchgeführt werden.“
Alle diese Aussagen widersprechen eklatant den Ausführungen im Bid Book, zeugen sogar von Unkenntnis der eigenen Bewerbungsunterlagen und sind schlicht falsch. Diese Aussagen wurden bereits mehrfach von NOlympia und Anderen glaubhaft und öffentlich widerlegt – wir haben uns dabei auf die veröffentlichten Bewerbungsunterlagen gestützt: Ohne Resonanz bei den Urhebern der genannten Aussagen. All dies spricht gegen die Glaubwürdigkeit der Bewerbungsgesellschaft und damit inzident gegen die Glaubwürdigkeit des IOC.
Summary
Die BürgerInnen werden für all dies nicht nur die Bewerbungsgesellschaft oder einzelne VertreterInnen der Bewerber, sondern vor allem auch das IOC und die Olympischen Spiele selbst verantwortlich machen. Damit würde der olympische Gedanke dauerhaften Schaden leiden. Die deutsche Bevölkerung ist gerade im Bereich des Umwelt- und Naturschutzes sehr aufgeschlossen, interessiert und sensibel. Zerstörungen und nicht eingehaltene Versprechungen in diesem Zusammenhang für Olympische Winterspiele 2018 werden mit Sicherheit weitere Widerstände und Proteste in der Bevölkerung erzeugen. Gleiches wird für die Kosten gelten, die bisher vollkommen intransparent dargestellt werden.
Das „Olympische Erbe“ wird sich in der deutschen Bevölkerung in der Ablehnung des IOC, Olympischer Spiele sowie der Bewerbungsgesellschaft äußern.
Wir möchten Sie daher dringend auffordern, keine Empfehlung für die Bewerbung von „München 2018“ auszusprechen.
Wir dürfen Ihnen mitteilen, dass wir die genannten Punkte und viele weitere Aspekte auch in Zukunft öffentlich machen werden und die Bevölkerung weiterhin über die Schäden, die Olympische Winterspiele 2018 in Bayern anrichten werden, aufklären. Eine Stellungnahme zum Bid Book wird derzeit erstellt. Gleiches wird für das Umwelt- und Nachhaltigkeitskonzept verfasst werden. Ebenso werden wir weiterhin für die Transparenz sorgen, die die Bewerbungsgesellschaft für sich reklamiert, aber nicht umsetzt. Wir werden weiterhin alle Dokumente, vom Host City-Vertrag bis zu den Nebenverträgen sowie die wahren Kosten öffentlich machen und die Verträge auf mögliche Verstöße gegen deutsches Recht überprüfen lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Ludwig Hartmann
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, Mitglied des Bayerischen Landtags
München
Axel Doering
Bund Naturschutz in Bayern
Kreisgruppe Garmisch-Partenkirchen
Christian Hierneis
Bund Naturschutz in Bayern
Kreisgruppe München
Dr. Wolfgang Zängl
Gesellschaft für ökologische Forschung
München
Anbei finden Sie das Informationsschreiben für die IOC-Evaluierungskommission in deutscher und in englischer Sprache als pdf-Datei: