14. Oktober 2009

E.ON-Energie-Lehrstuhl für Nukleartechnik an der TU München

Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Sepp Dürr und Ludwig Hartmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 18.08.2009, mit der Antwort des Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst vom 14.10.2009

Bezug nehmend auf die Antwort auf die Interpellation „Forschungsstandort Bayern“ (Dr. 16/1482) fragen wir die Staatsregierung:

1. Wie hoch waren die gesamten Personalkosten für diesen Lehrstuhl im Jahr 2008?
Zu 1.:
2008 betrugen die gesamten Personalkosten des Lehrstuhls für Nukleartechnik 328.864,06 €. Ein klassischer Ingenieurlehrstuhl schlägt mit gut den doppelten Aufwendungen zu Buche, teils bis 1 Mio. EUR p.a.

1.1 Wer finanziert welche Personalkosten?
Zu 1.1:
Die Finanzierung der Personalkosten verteilt sich wie folgt:
• 213.777,50 € (W3-Professor und 3 nichtwissenschaftliche Mitarbeiter) zulasten von der TU München bei Kap. 15 12 zur Verfügung stehenden Stellen für Beamte bzw. Stellen für Arbeitnehmer
• 43.701,15 € (1 wissenschaftlicher Mitarbeiter) zulasten von Mitteln aus der Zuwendungsvereinbarung mit E.ON
• 51.012,71 € (2 wissenschaftliche Mitarbeiter) zulasten der zwei vom StMWFK zugewiesenen Stellen
• 2.367,33 € (2 studentische Hilfskräfte) zulasten von Mitteln aus der Inanspruchnahme von Stellengehältern
• 18.005,37 € (1 wissenschaftlicher Mitarbeiter) zulasten von sonstigen Drittmitteln

2. Wie hoch waren jeweils die Studierendenzahlen in den beiden Studiengängen (BA und MA) in den vergangenen Semestern seit Einrichtung der Studiengänge?
Zu 2.:
Die Studierendenzahlen für die beiden Studiengänge stellen sich (gem. Studentenstatistik des SSZ)wie folgt dar:
Nukleartechnik Bachelor
WS 2008/09: 1
SS 2009: 1
Nukleartechnik Master
SS 2008: 2
WS 2008/09: 2
SS 2009: 3
Diese Zahlen können aber nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind im Gesamtzusammenhang des studentischen Interesses für die Lehrveranstaltungen zu bewerten. Es handelt sich um einen neu eingeführten Studiengang, der überwiegend aus völlig neu etablierten Vorlesungen besteht. Studenten sind traditionell zunächst vorsichtig, einen solchen Studiengang zu wählen, für den noch keine Erfahrungswerte anderer Studenten vorliegen. Vor allem aber tendieren Studenten dazu, sich weniger stark zu spezialisieren, und wählen eher breiter angelegte Studiengänge wie den „Master of Energy“ oder das Fachmodul „Energietechnik“, in welchen in der Regel auch zwei der neuen nukleartechnischen Vorlesungen gewählt werden können. Auch ist die Beschlusslage zur Nutzung der Kernenergie in Deutschland zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass Interessierte eher den Studiengang „Energietechnik“ belegen, dort zwei bis drei nukleartechnische Vorlesungen hören und ihre Diplomarbeit am Lehrstuhl für Nukleartechnik anfertigen. Damit erwerben sie durch das Lehrangebot dieses Lehrstuhls belastbare nukleartechnische Grundlagen und werden derzeit vom Arbeitsmarkt stark nachgefragt. Andererseits stehen für diese Studenten auch andere Optionen offen. Diese Variante wurde bewusst so eingerichtet.
Aussagekräftiger sind die eigentlichen Hörerzahlen der neuen Vorlesungen im Hauptstudium (Vorlesung besucht/Prüfung abgelegt):
1. Introduction to Nuclear Energy
– WS 2007: 44/35
– WS 2008: 62/58
2. Fundamentals of Nuclear Engineering
– SS 2008: 26/17
– SS 2009: 18/15
3. Fundamentals of Thermal-hydraulic Analysis of Nuclear Systems
– WS 2008: 12/6
4. Applications of Radioactivity to Medicine, Industry and Research
– SS 2008: 21/14
– SS 2009: 11/9
5. Future and Advanced Nuclear Energy Systems
– SS 2009: 25/19
Die angeführten Hörerzahlen belegen, dass der Lehrstuhl sich nicht auf die Betreuung der in den in der Anfrage genannten Studiengängen eingeschriebenen Studierenden beschränkt. Ergänzend ist hierzu festzustellen, dass nicht ein Lehrstuhl einen Studiengang betreibt, sondern vielmehr Lehrveranstaltungen anbietet, die dann in einen oder (wie üblich) in mehrere Studiengänge integriert werden.
Weitere Vorlesungen und ein Praktikum sind für das Wintersemester 2009 in Vorbereitung (Fundamentals of Radiation Protection, Nuclear Fusion Engineering, Safety Analysis of Nuclear Reactor Systems (Praktikum)). Es ist anzumerken, dass ein einziger Lehrstuhl sämtliche Themenbereiche der Nukleartechnik abdecken muss. Damit komplettiert dieser Lehrstuhl in der für eine moderne Technische Universität erforderlichen Weise das breite Angebot der TUM im Bereich der Energietechnik (s. hierzu auch die Antwort zu Frage 6).

2.1 Was wurde unternommen, um die beiden Studiengänge zu bewerben?
Zu 2.1:
Werbung wurde durch Nutzung persönlicher Kontakte der involvierten Personen zu relevanten Universitäten und einschlägigen Unternehmen im In- und Ausland betrieben. Auch ist der Lehrstuhl ein aktives Mitglied im ENEN (European Network of Nuclear Education).

3. Gibt es Planungen, die Bewerbung dieser Studiengänge zu intensivieren?
Zu 3.:
Ja.

3.1 Wenn ja, wie?
Zu 3.1:
Besonders die Bewerbung des Master-Studiengangs soll über ENEN intensiviert werden. Auch sollen die regelmäßigen Besuche einschlägiger Institutionen am Lehrstuhl verstärkt werden, wobei deren Personalplanungen und Karrieremöglichkeiten den TUM-Studenten aufgezeigt werden sollen. Auch der Bereich der beruflichen Weiterbildung soll verstärkt abgedeckt werden.

3.2 Welche Studierendenzahlen werden in den nächsten Jahren erwartet?

4. Welche Verpflichtungen ist das BayStMWFK im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Mitteln für zwei wissenschaftliche Mitarbeiter an diesem Lehrstuhl eingegangen?
Zu 4.: Keine.

4.1 Für welche Dauer ist diese Form der Unterstützung des Lehrstuhls verabredet? Zu 4.1:
Die Stellen wurden auf 3 bzw. 5 Jahre ab Besetzungszeitpunkt befristet, sodass die Endtermine der 13.01.2011 bzw. der 31.12.2013 sind.

4.2 Was waren die Entscheidungsgründe für diese Form der Unterstützung des Lehrstuhls?
Zu 4.2:
Die von der Hochschulleitung vorgebrachten Argumente für die Einrichtung des Lehrstuhls (s. hierzu die Antwort auf die Frage 6) wurden als überzeugend angesehen.

5. Gibt es Planungen, diese Form der Unterstützung des Lehrstuhls aus Mitteln des BayStMWFK über den vereinbarten Zeitraum von 5 Jahren hinaus fortzuführen?
Zu 5.:
Derzeit gibt es keine derartigen Planungen.

5.1 Ist die Anzahl der Studienabschlüsse für den Masterstudiengang Nuclear Technology ein Kriterium für die Entscheidung über die Fortführung?
Zu 5.1:
Siehe Antwort zu Frage 5.

5.2 Ist die weitere finanzielle Beteiligung des E.ON Konzerns an den Kosten des Lehrstuhls ein Kriterium für die Entscheidung über die Fortführung?
Zu 5.2:
Siehe Antwort zu Frage 5.

6. Aus welchen Gründen hat sich die TU München zur Anschlussfinanzierung entschlossen?
Zu 6:
Die TU München versteht sich als eine international ausgerichtete Universität mit den Kompetenzfeldern Ingenieurwissenschaften – Naturwissenschaften – Medizin – Lebenswissenschaften. Die Hochschule ist bestrebt, in technologischen Schlüsseldisziplinen Alleinstellungsmerkmale zu gewinnen, die sie mit internationalen Universitäten und außeruniversitären Forschungspartnern allianzfähig macht.
Im Rahmen ihres Zukunftskonzeptes (z.B. Hochschul-Entwicklungsplan 2000; innovaTUM-2008) will die TU München die Energieforschung zu einem Schwerpunkt in Forschung und Lehre ausbauen. Das Ausbildungs-und Forschungskonzept setzt auf fossile und alternative Energiequellen. Dazu gehören neben Wind-, Solar- und Geoenergieauch die Energie aus Biomasse, Kohle & Gas sowie die Kernenergie und die Fusionsenergie.
Keine Komponente dieses Spektrums kann für sich isoliert betrachtet werden, jedoch muss für jede Komponente eine Kernkompetenz vorgehalten werden. Diesem Ziel nähert sich die TUM Schritt für Schritt an:
Technik & Forschung / TUM-Aktivitäten
• Windenergie
wird aufgebaut z.Zt. Kooperation mit General Electric (Garching)
• Sonnenenergie (Photovoltaik, Solarthermie)
Walter-Schottky-Institut für Halbleiterphysik und Nanotechnologie
• Geothermie
neue W2-Professur (Fakultät 
Bau- und Vermessungswesen)
• Biomasse-Energie
Zentrum f. Nachwachsende Rohstoffe Straubing
• Biogas-Energie
Anlage in Weihenstephan, Planungsphase abgeschlossen (Prof. Faulstich)
• Konventionelle Kraftwerke (Kohle, Gas, Erdöl)
führende Kompetenzen in den Fakultäten Maschinenwesen und Elektrotechnik u.a. Forschungscluster KW21
• Kernenergie
Lehrstuhl Prof. Macian-Juan, Fakultät Maschinenwesen (insbes. Nukleartechnik u. Kerntechnische Sicherheit)
• Kernfusion
3 gemeinsame Berufungen mit Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) gestartet
Die TUM wird in absehbarer Zeit die einzige Technische Universität sein, die das Gesamtspektrum der Energieforschung abdeckt. Dazu gehört auch die Kerntechnik einschließlich der Sicherheitsforschung. Ferner hält die TUM Lehrstühle für Energiewirtschaft und Brennstoffzellenforschung vor, ein neuer Lehrstuhl für Batterieforschung entsteht derzeit. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Nukleartechnik, die mit Hilfe des finanziellen Engagements von E.ON als Lehrstuhl und als europäischer Master-Studiengang eingerichtet werden konnte.
Deutschland befindet sich im Industrieumfeld (Energieversorgungsunternehmen, Siemens) gemeinsam mit Frankreich immer noch an der weltweiten Spitze der Know-how-Träger zur Kerntechnik. Ungeachtet des geplanten Ausstiegs aus der Kernenergie besteht für kerntechnisches Wissen weltweit großer Bedarf, und es werden in der kerntechnischen Branche für die nächsten Jahrzehnte kompetente Nachwuchskräfte benötigt. Neben dem Betrieb der Kernkraftwerke stehen die Stilllegung sowie der Rückbau kerntechnischer Anlagen oder die sichere Zwischen- und Endlagerung an. Viele Unternehmen und Organisationen in der Kerntechnik (Energieversorger, Kernkraftwerksbauer, Forschungseinrichtung, Gutachterinstitution, Zulieferer) bieten interessante Arbeitsplätze mit persönlichen Entwicklungschancen.
Die TU München vertritt die Auffassung, dass es aus Gründen einer umfassenden und realitätsnahen Ausbildung von Ingenieuren im Sektor der Energietechnik nicht vertretbar sei, die Nukleartechnik und die Nukleartechnische Sicherheit aus Forschung und Lehre auszukoppeln. Die Staatsregierung hält dies für plausibel und hat sich aus Gründen der Hochschulautonomie einer weiteren inhaltlichen Bewertung zu enthalten. Die TUM konnte diese Aufgaben mithilfe der Stiftungsmittel von E.ON nach langjähriger Unterbrechung wieder wahrnehmen. Mit Prof. Macian-Juan hat die TUM einen erfahrenen und als Forscher hervorgetretenen Ingenieur aus einem renommierten Forschungsinstitut (Paul-Scherrer-Institut, Würenlingen/Schweiz) gewonnen.

6.1 Ist die TU München im Zusammenhang mit diesem Lehrstuhl für die Zeit nach dem 01.04.2012 Verpflichtungen E.ON gegenüber eingegangen?
Zu 6.1:
Die TU München ist im Zusammenhang mit diesem Lehrstuhl E.ON gegenüber für die Zeit nach dem 01.04.2012 keine Verpflichtungen eingegangen.

6.2 Wurden mit dem Stifter Vereinbarungen über die Forschungstätigkeit des Lehrstuhls geschlossen?
Zu 6.2:
Der Vertrag mit dem Stifter enthält keinerlei Vereinbarungen über die Forschungstätigkeit des Lehrstuhls. Forschung und Lehre genießen auch bei Stiftungslehrstühlen selbstverständlich Wissenschaftsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 GG.

7. Welche Ziele verfolgt der Stifter mit der Einrichtung des Lehrstuhls?
Zu 7.:
In der Präambel der Zuwendungsvereinbarung heißt es dazu: „… Der Stifter ist ein Konzernunternehmen der E.ON AG, einem weltweit führenden Energie-Unternehmen mit der Fokussierung auf Strom- und Gasversorgung. Die E.ON Kernkraft GmbH ist verantwortlich für Bau und Betrieb von Kernkraftwerken. Der Stifter hat deshalb ein nachhaltiges Interesse, dass Forschung und Lehre der Nukleartechnologie an deutschen Universitäten erhalten bleiben, um qualifizierten akademischen Nachwuchs für den Betrieb seiner Kraftwerke zu sichern.“

7.1 Gibt es regelmäßige oder unregelmäßige Arbeitsabsprachen zwischen Vertretern des Stifters und dem Lehrstuhl?
Zu 7.1:
Zwischen E.ON und dem Lehrstuhl besteht regelmäßiger Kontakt. Hier hat die TUM, wie in vielen anderen Bereichen, großes Interesse, über aktuelle wissenschaftliche und technische Entwicklungen und Probleme in der Industrie informiert zu sein, um dann unabhängig von der Industrie, aber durchaus am Puls aktueller Fragestellungen selbst zu entscheiden, welche Forschungsrichtungen oder Ausbildungsziele verfolgt werden sollen.

7.2 Welche Forschungsvorhaben wurden in Zusammenarbeit mit E.ON durchgeführt?
Zu 7.2:
Ein Projekt war eine detaillierte Analyse der neuen Nuklearreaktortypen der „Generation-IV“ hinsichtlich verschiedenster Aspekte wie Technik, Wirtschaftlichkeit, Forschung (2009). Ein anderes Projekt beinhaltete eine Untersuchung der Nuklearforschung in Europa (Wissenschaftler, Zentren, Gebiete, etc.) zur Erstellung einer umfassenden Datenbank.
Weitere stärker technisch und wissenschaftlich geprägte Projekte sind für 2010 geplant.

8. An welchen Stellen im Haushaltsplan der Staatsregierung sind die Mittel für die Kosten der TU München und des BayStMWFK im Zusammenhang mit diesem Lehrstuhl ausgewiesen? (Unter der in Anlage 2 zur Drucksache 16/1482 genannten Fundstelle Einzelplan 15, Kapitel 12, TG 94 kann sie im aktuellen Haushaltsplan 2009/10 nicht aufgefunden werden.)
Zu 8.:
Seit 01.01.2007 werden die Einnahmen bzw. Ausgaben der TU München im Zusammenhang mit diesem Lehrstuhl im Einzelplan 15, Kap. 15 12, Tit. 282 40, 429 02 und 547 41 nachgewiesen.
Die Ausgaben für die vom Staatsministerium bei Kap. 15 28 Tit. 422 01c) zugewiesenen zwei Stellen werden bei Kap. 15 12 Tit. 422 01 nachgewiesen.

Anbei unsere Anfrage samt den Antworten der Staatsregierung als pdf-Datei im Drucksachenlayout des Bayerischen Landtags. Außerdem finden Sie dort auch die oben angesprochene Interpellation zum Forschungsstandort Bayern.

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