2. August 2012

Die Energietour 2012 im Allgäu -Teil 1

11.00 Uhr | Allgäuer Überlandwerke GmbH in Kempten

Beim Gespräch zwischen dem Geschäftsführer der Allgäuer Überlandwerke GmbH (AÜW), Dr. Michael Fiedeldey, drehte sich alles um IRENE. Das Akronym steht für „Integration regenerativer Energien und Elektromobilität“ und ist der Name eines Forschungsprojektes des Kemptener Energieversorgers mit Siemens, der RWTH Aachen und der Hochschule Kempten.

Im April 2012 starteten die Forschungspartner in der Gemeinde Wildpoldsried ein Projekt zur Erforschung eines Smart-Grid in Verbindung mit elektrischer Automobilität unter realen Bedingungen. Zu dem Untersuchungsaufbau, der in dieser Datenbreite und Aussagekraft einmalig ist, gehören 87 Messdaten liefernde Ortsnetzstationen in der Gemeinde sowie 32 Elektroautos, die den BewohnerInnen im Austausch für die Bereitschaft sich am Projekt zu beteiligen, zur Verfügung gestellt wurden. Ziel sei es unter anderem, so Geschäftsführer Fiedeldey, Erkenntnisse über die optimale Ausgestaltung eines intelligenten Verteilernetzes und die dafür notwendigen Hard- und Softwarekomponenten zu erlangen. Extremsituationen wie, z.B. die gleichzeitige Beladung aller Elektrofahrzeuge werden simuliert; Spitzenverbrauch und Minimalverbrauch der Beteiligten Haushalte im Ortsnetz gemessen. Und schon jetzt lassen die Daten einige Rückschlüsse zu, so z.B. dass die Netzausbaukosten durch Investitionen in Smart-Grids um 20 Prozent gesenkt werden könnten, wie die Forscher ausführten. Die Installation und Erprobung zentraler Groß-Akkumulatoren wird den nächsten Abschnitt des auf insgesamt zwei Jahre angelegten Projektes markieren.
Der Planung des Forschungsvorhabens kam entgegen, dass die BürgerInnen von Wildpoldsried ohnehin für Erneuerbare Energien offen waren, so Fiedeldey, und der Ort schon jetzt doppelt so viel Energie erzeugt, wie er verbraucht.

Derart involviert in wegweisende Grundlagenforschung verfolgen die Allgäuer Überlandwerke mit dem Projekt IRENE auch das Ziel, Erkenntnisse über die künftige Ausgestaltung der eigenen Geschäftsmodelle zu gewinnen. „Unser Geschäftsmodell wird sich grundlegend ändern. Wir werden künftig Systemmanager und nicht mehr primär Erzeuger sein. Die Datenerfassung, -Auswertung und Netzsteuerung wird zu unserer Schlüsselkompetenz werden“, so die Einschätzung von Dr. Michael Fiedeldey.

13.00 Uhr | Stiefenhofer Heizungs-, Sanitär und Solartechnik GmbH in Lindenberg

Lindenberg ist statistisch der Ort mit den meisten Sonnenstunden Deutschlands. Gleichzeitig ist die westallgäuer Stadt im Winter auch starkem Frost und Schneefall ausgesetzt. Diese klimatischen Einflüsse nutzen die Brüder Waldemar und Professor Matthias Stiefenhofer zur Erprobung eines Hybridenergiesystems von Geo- und Solarthermie auf dem eigenen Firmengelände und am Betriebsgebäude, wie wir beim zweiten Tourstopp des Tages erfuhren.

Waldemar Stiefenhofer, gelernter Heizungsbauer und Eletrotechniker, leitet das traditionsreiche Familienunternehmen und hatte die Idee, das neu errichtete Firmengebäude mit diesem dualen energiesparenden System auszustatten. Luft-Sole-Kovenktoren auf dem Dach, unter den Photovoltaikmodulen angebracht, sind dabei durch eine Wärmepumpe – das Herzstück der Anlage – verbunden mit Erdkollektoren in etwa 1,50 Meter Tiefe.
Auf diese Entwürfe seines Bruders hin kam der an der Universität Kempten Mathematik unterrichtende Matthias Stiefenhofer auf die Idee, die Technik in einem Forschungsprojekt zu untersuchen, berichtete er selbst. Seit 2008 sind die Hochschule Kempten, das Fraunhofer Institut Freiburg und Stiefenhofer Solartechnik nun Forschungspartner.

Im Kontrollraum im Obergeschoss des Firmengebäudes laufen im Fünf-Sekundentakt 50 Messdaten ein und werden in Diagrammen visualisiert. Eine zweite einfache Geothermieanlage wurde für die Gewinnung von Vergleichsdaten ebenfalls installiert. Im vergangenen Winter konnten durch das Hybridsystem gegenüber einfacher Geothermienutzung Energieeinsparungen von etwa 20 Prozent gemessen werden.
Bei einem abschließendem Rundgang durch den Untersuchungskontrollraum und in den Keller, wo die Wärmepumpe und Messsysteme untergebracht sind, veranschaulichten uns die Brüder Stiefenhofer den komplexen Versuchsaufbau. Zentral für das Funktionieren des Hybridsystems, so Matthias Stiefenhofer, sei eine ausgereifte Messtechnik, die dafür sorge, dass die Potentiale der Energiequellen optimal genutzt würden.

Waldemar Stiefenhofer sieht in der Geothermie nicht zuletzt eine große Chance für das lokale Handwerk und betonte, dass Erdwärme gerade im Allgäu noch wesentlich stärker zum Einsatz kommen könnte. In Verbindung  mit Ingenieurswissen, so Mathematikprofessor Matthias Stiefenhofer, müssten die individuellen Bodenbeschaffenheiten von Grundstücken jedoch erst untersucht werden, bevor man beurteilen könne, wo sich eine solche Anlage auch lohne.

15.30 | BlueSynergy GmbH in Lindau

Technologie und Geschäftsmodell der von Tobias Bergmann gegründeten BlueSynergy GmbH, bekamen ich und meine allgäuer Kollegen, Thomas Gehring und Adi Sprinkart, vom Firmengründer selbst in Lindau erläutert. Abwasser als Energieträger steht beim Start-Up Unternehmen im Mittelpunkt.
Sowohl Wärme als auch elektrische Energie, so Bergmann, ließe sich durch das Nachrüsten spezieller Installationen in bestehenden städtischen Abwasserrohrsystemen aus den Abwässern privater Haushalte zurückgewinnen. Typischerweise habe Abwasser, wenn es in die Kanalisation fließe, eine Temperatur von zehn bis zwanzig Grad Celsius. Durch Wärmetauschermodule (s. Foto), die in ausreichend breite Rohrleitungen ohne größeren Aufwand hineingelegt werden könnten, ließe sich diese Wärmenergie für Klimatisierungsprozesse in Haushalten oder Firmen aus der Kanalisation vor den Gebäuden nutzbar machen.
Gerade in Städten, wo verfügbare Freiflächen für Geothermienutzung fehlten, könne man durch diese Technologie von BlueSynergy bisher verkannte Wärmeenergiepotentiale freisetzen. Die junge Firma hat bereits 30 Anlagen realisiert, unter anderem in München und Berlin. Eine Kooperation in größerem Umfang bestehe derzeit mit der Stadt Mannheim.
Eine wichtige Botschaft bei der Überlegung für oder gegen ein Investment in diese Technologie müsse sein, „dass Abwasser kontinuierlich, verlässlich und planbar fließt“, so Bergmann. Amortisationsräume von bereits vier Jahren seien erreichbar.

BlueSynergy arbeitet derzeit auch an der Nutzbarmachung elektrischer Energie aus Abwässern. Gerade habe die Firma ein Patent für ein am Kanalrand laufendes Wasserrad eingereicht, erläuterte uns Bergmann. Das Wasserrad ließe sich in einem Abstand von 100 Metern in Abwasserkanälen mit einer gewissen Mindestdurchlaufmenge installieren und sei für eine Leistung bis zu sechs Kilowatt ausgelegt.
Die größte Herausforderungen für seine Firma sei weniger die Technik als die Vermarktung, denn bisher seien die im Abwasser enthaltenen Energiepotentiale weder den meisten PlanerInnen noch den BürgerInnen bewusst und das gelte es dringend zu ändern, betonte Thomas Bergmann abschließend.