Bau des Erkundungsstollens im nördlichen Bereich des Kramertunnels
Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Ludwig Hartmann, Bündnis 90/Die Grünen vom 13.12.2011, mit den Antworten des Staatsministers des Inneren, Joachim Herrmann, vom 19.01.2012 (kursiv dargestellt)
Die Tunnelbaustelle im nördlichen Bereich des in Bau befindlichen Erkundungsstollens zum Kramertunnel steht seit mehreren Monaten still und ist derzeit ganz eingestellt. Staatliches Bauamt Weilheim: „Wann es weitergehen kann, ist unklar“.
Grund für diesen ungeplanten und sicher kostenintensiven Baustillstand ist eine totale Fehleinschätzung der Geologie in diesem Bereich. Im Erläuterungsbericht (EB) zur Planfeststellung wurde in diesem Bereich Festgestein erwartet. EB S. 82: „Die Tunneltrasse wurde auf diesen Standort hingeführt, auch unter dem Aspekt, dadurch auf kürzestem Weg den Tunnel baldmöglichst in den bautechnisch gesunden, standfesten Fels zu führen“. Nach 575 m ist der Tunnelvortrieb jedoch auf eine Lockergesteinsstrecke mit Moränen- und Bergsturzmaterial mit hoher Grundwasserüberdeckung gestoßen. Im August 2011 wurde eine kurzzeitige Grundwasserabsenkung durchgeführt. Als Folge dieser gezielten, unangekündigten Grundwasserabsenkung versiegten sämtliche Hangquellen und der Schmölzersee verschwand in einem atemberaubendem Tempo. Nun ist offenbar ein Verfahren zur Planänderung beim „Grundwassermanagement“ geplant.
Vor diesem Hintergrund frage ich die Bayerische Staatsregierung:
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin,
die Schriftliche Anfrage beantworte ich wie folgt:
1. a) Warum wurden die Bauarbeiten im nördlichen Bereich des Erkundungsstollens für den Kramertunnel eingestellt?
zu 1. a) Mit von Übertage aus durchgeführten Erkundungsbohrungen lässt sich für den Tunnelbau, insbesondere bei sehr inhomogenen geologischen Verhältnissen, oft kein vollständiges Bild von den tatsächlichen Gebirgsverhältnissen erreichen. So auch im gegenständlichen, bautechnisch kritischen Bergsturzbereich unterhalb der Pflegerseestraße und im Bereich der sogenannten Kramerüberschiebung. Deshalb hat sich die Straßenbauverwaltung entschlossen, vor dem Bau des eigentlichen Kramertunnels einen Erkundungsstollen aufzufahren, der später als Rettungsstollen benutzt wird. Damit sollen die geologischen Verhältnisse genauer untersucht und die notwendigen Ausbruchs- und Sicherungsmaßnahmen für den Kramertunnel im Einzelnen festgelegt werden.
Der Nordvortrieb am Kramer-Erkundungsstollen kam nach rund 580 m Vortrieb durch Felsgestein in den Bereich, in dem die Bergsturzzone vorab erkundet wurde. Um die notwendigen wichtigen Detailinformationen für den weiteren Vortrieb zu erhalten, wurden planmäßig aus dem Erkundungsstollen heraus ergänzende horizontale Aufschlussbohrungen in den Bergsturzbereich hinein durchgeführt. Wie die Ergebnisse der ergänzenden Aufschlussbohrungen nun zeigen, würde die in diesem Bereich vorgesehene Injektionsbauweise wegen der unerwartet großen Inhomogenität des Gebirges einen erheblichen Mehraufwand verursachen, der in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu den noch zu erwartenden zusätzlichen Erkenntnissen stünde. Auf einen Weiterbau des Erkundungsstollens Richtung Süden wird deshalb vorerst verzichtet.
1. b) Wann plant das Straßenbauamt Weilheim die Wiederaufnahme der Bauarbeiten am nördlichen Bereich des Kramertunnels?
zu 1. b) Der nördliche Tunnelvortrieb endet aus o.a. Gründen wenige Meter vor dem Bergsturzbereich im sicheren Fels. Um den Bergsturzbereich aber noch besser eingrenzen zu können, wird von der anderen Seite der Südvortrieb bis an den Südrand des Bergsturzbereichs herangeführt. Anschließend sind ähnliche Untersuchungen mit ergänzenden horizontalen Aufschlussbohrungen vorgesehen wie im Norden. Der Lückenschluss für den späteren Rettungsstollen soll dann zusammen mit dem Bau der Fahrröhre des Kramertunnels erfolgen.
1. c) Was sind die Voraussetzungen für den Weiterbau im nördlichen Bereich des Erkundungsstollens?
zu 1. c) Mit den zusätzlichen Erkenntnissen aus dem Erkundungsstollen untersucht das Bauamt derzeit verschiedene Verfahren für den späteren Bau der eigentlichen Fahrröhre des Kramertunnels. Dies beginnt bei einer Grundwasserabsenkung und geht hin bis zu einer technisch sehr aufwändigen Baugrundvereisung. Dabei gilt es, eine möglichst wirtschaftliche Bauweise zu wählen und gleichzeitig die ökologisch sehr wertvollen Hangquellmoore oberhalb und unterhalb des Schmölzersees zu erhalten. Vor allem aber dürfen die unter Tage arbeitenden Mineure bei dem letztlich gewählten Bauverfahren keinem vermeidbaren Risiko ausgesetzt werden.
2. a) Welche ungeplanten Zusatzkosten hat der monatelange Stillstand der Baustelle und deren letztendliche Räumung verursacht?
zu 2. a) Ein Stillstand der Baustelle ist nicht eingetreten. Der Südvortrieb wurde und wird planmäßig, ohne Unterbrechung, vorangetrieben.
Im Bereich des Nordvortriebes haben für etwa zwei Monate keine Arbeiten stattgefunden. Die hierdurch entstandenen Kosten können aufgrund der Stillstandszeiten für die vorhandenen Geräte mit ca. 70.000 € angegeben werden.
Unabhängig hiervon werden seither die vertraglich vorgesehenen Restarbeiten ausgeführt. Anschließend wird die Baustelle für den Nordvortrieb geräumt. Die dafür notwendigen Arbeiten sind im Bauvertrag geregelt. Es ergeben sich deshalb keine zusätzlichen Kosten.
2. b) Wie beurteilt die Staatsregierung die eklatante Fehleinschätzung der Geologie im nördlichen Bereich des Kramertunnels?
zu 2. b) Es liegt keine Fehleinschätzung der Geologie vor. Vielmehr wird in den geologischen und hydrogeologischen Gutachten, die auch der Planfeststellung und dem Gerichtsverfahren zu Grunde lagen, die wassergefüllte Bergsturzbereichsstrecke klar angesprochen.
Mit den Ergebnissen der vorhandenen Aufschlussbohrungen wurde nach bestem Wissen die Ausschreibung für den Erkundungsstollen erstellt. Ein Durchfahren des kritischen Bereichs mit Hilfe von umfangreichen Injektionen schien auf der Grundlage des damaligen Erkenntnisstandes ohne Absenkung des Grundwassers mit wirtschaftlich noch vertretbarem Aufwand möglich. Die dem Stollenvortrieb vorausgehenden Horizontalbohrungen haben aber gezeigt, dass die Zusammensetzung des Lockergesteinsbereichs noch inhomogener und wasserdurchlässiger ist, als dies nach den ursprünglichen Aufschlussbohrungen zu erwarten war. Ein wasserdichter Injektionsring wäre nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand herzustellen. Trotzdem verbliebe aber ein schwer kalkulierbares Restrisiko für die Sicherheit der Vortriebsmannschaft.
2. c) Welche zusätzlichen Kosten erwartet die Staatsregierung aufgrund der geologischen Gegebenheiten im nördlichen Bereich des Kramertunnels, auch hinsichtlich der geplanten Absenkung des Grundwasserspiegels?
zu 2. c) Der ursprünglich vorgesehene Vortrieb des Erkundungsstollens im Schutz von Abdichtungsinjektionen im Lockergesteinsbereich erscheint aus heutiger Sicht unwirtschaftlich. Deshalb wird er aufgrund weitergehender geologischer Erkenntnisse und zur Sicherheit der Vortriebsmannschaft nicht mehr ausgeführt.
Ein Vortrieb nach einer Absenkung des Grundwasserspiegels für den Haupt- und Rettungsstollen wäre dagegen deutlich einfacher und wirtschaftlicher.
Weitere Vortriebsalternativen, wie etwa eine Vereisung des Baugrundes, werden derzeit im Hinblick auf ihre technische Umsetzbarkeit sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen untersucht. Eine Aussage über etwaige zusätzliche Kosten lässt sich erst nach Abschluss der Untersuchungen und der Entscheidung über die weitere technische Vortriebsmethode treffen.
3. a) Warum wurde im August durch gezieltes Ausleiten von Grundwasser aus dem nördlichen Portal des Erkundungsstollens der Grundwasserspiegel im Berg abgesenkt?
zu 3. a) Am 5. Juli 2011 erreichte der Nordvortrieb nach rund 580 m Felsstrecke den bereits bekannten Bergsturzbereich etwas früher als aufgrund der geologischen Untersuchungen prognostiziert. Das Lockergestein ist bis 40 m über Tunnelfirste mit Grundwasser gefüllt. Die vom Erkundungsstollen aus durchgeführten bis zu 20 m langen horizontalen Erkundungsbohrungen brachten einen unerwartet großen Wasserzufluss. Im Weiteren wurden deshalb auch sogenannte Drainagelanzen gesetzt, um die Wasserdurchlässigkeit und damit die Möglichkeit des weiteren Vortriebs abschätzen zu können.
Die vom 12. bis 22. August 2011 innerhalb der natürlichen Grundwasserschwankungen dazu durchgeführten kontrollierten Absenkungsversuche brachten zusätzliche Erkenntnisse, die auch zum vorläufigen Verzicht auf die Weiterführung des Vortriebs führten.
Der Grundwasserspiegel stieg nach Beendigung der Grundwasserentnahme wieder an und hatte bereits nach relativ kurzer Zeit einen höheren Stand erreicht als im Frühjahr 2011.
3. b) Warum wurde diese Absenkung, im Gegensatz zum Planfeststellungsbeschluss (PFB S. 188) ohne Rücksprache mit den zuständigen Behörden durchgeführt?
zu 3. b) Unter Punkt A.4.1.2 wird im Planfeststellungsbeschluss vom 30. November 2007 der Hinweis aufgeführt, dass zum eventuell erforderlichen Zutageleiten, Ableiten und Umleiten von Grundwasser zur Bauwasserhaltung eine wasserrechtliche Erlaubnis beim Landratsamt Garmisch-Partenkirchen beantragt werden muss. Das Staatliche Bauamt Weilheim ist davon ausgegangen, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Bauwasserhaltung, sondern um einen Absenkversuch, ähnlich einem Pumpversuch bei Aufschlussbohrungen, handelt, der zur Konzeption des weiteren Bauverfahrens, zur Sicherheit der Vortriebsmannschaften und zum Schutz von Biotopflächen zwingend notwendig ist. Die kontrollierte Grundwasserabsenkung wurde mit dem Wasserwirtschaftsamt vorab abgestimmt. Das Bauamt wird aber künftig in vergleichbaren Fällen die Wasserrechtsbehörde beim Landratsamt entscheiden lassen, ob bzw. welche wasserrechtlichen Erlaubnisse und Genehmigungen erforderlich sind.
3. c) Welchen Erkenntnisgewinn versprach man sich von diesem ungenehmigten und damit rechtswidrigen Eingriff in das Grundwasserregime?
zu 3. c) Die zusätzlichen Erkenntnisse aus dem Absenkversuch waren mit entscheidend für die Festlegung, vorerst den Nordvortrieb nicht weiter zu betreiben. Derzeit werden die gewonnenen Erkenntnisse weiter ausgewertet und dann die notwendigen Vorkehrungen für einen sicheren Stollen- und Tunnelvortrieb im Bergsturzbereich festgelegt.
4. a) Wer genehmigte im August 2011 die vom Straßenbauamt Weilheim kurzfristig durchgeführte Versiegung der Quellen und die Absenkung des Grundwasserspiegels?
zu 4. a) Wie bereits zu Ziffer 3 b) ausgeführt, ging das Bauamt davon aus, dass dafür keine gesonderte Erlaubnis erforderlich war.
4. b) Wie beurteilt die Bayerische Staatsregierung den Erläuterungsbericht und den Hydrogeologischen Bereicht der Planfeststellungsunterlagen vor dem Hintergrund, dass darin weder die Lockergesteinsstrecke im nördlichen Bereich der Tunneltrasse und deren Relevanz für den Tunnelvortrieb, noch die Risiken für die dortigen Biotope (Hangquellmoore, Schmölzersee) zur Sprache kamen?
zu 4.b) Die schwierigen geologischen Verhältnisse in der Bergsturzbereichsstrecke im nördlichen Bereich der Tunneltrasse waren aus den Baugrundaufschlussbohrungen von 2005/2007 bekannt. Die Erkenntnisse aus den Bohrungen waren die Grundlage für den geologischen Bericht und den hydrologischen Bericht. Beide Berichte sind Teil der Akten der Planfeststellungsbehörde. So werden im geologischen Bericht unter Ziffer 5.2.3 die Lockergesteinstrecke und die dortigen Grundwasserverhältnisse klar beschrieben. Im Erläuterungsbericht der Planfeststellungsunterlagen wird auf die beiden Berichte verwiesen. Auch in der mündlichen Verhandlung des Gerichtsverfahrens wurde das Thema ausführlich behandelt.
5. a) Wie beurteilt die Staatsregierung die Absicht des Staatlichen Bauamtes Weilheim, eine Absenkung des Grundwasserspiegels im Berg, vor dem Hintergrund der ökologischen Auswirkungen auf das angrenzende FFH-Gebiet, die Hangquellen und die Hangquellmoore, sowie auf die Wasserversorgung des Schmölzersees, herbeizuführen?
b) Für wie lange ist eine solche Absenkung geplant?
c) Wie wird seitens der Staatsregierung die Absicht des Staatlichen Bauamtes Weilheim beurteilt, die hoch sensiblen Hangquellmoore während der Grundwasserabsenkung künstlich zu bewässern und den Schmölzersee künstlich aufzufüllen?
6. a) Wie muss man sich eine künstliche Bewässerung der Moore vorstellen?
b) Hält die Staatsregierung bei einer Absenkung des Grundwasserspiegels eine Neubewertung der im Planfeststellungsbescheid ausgesprochenen Befreiung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG für das dann hochgradig bedrohte Sumpf-Glanzkraut (Liparis loeselii) für erforderlich?
c) Wenn nein, warum nicht?
zu 5 und 6.: Die Fragen 5. a), b), c) und 6. a), b) und c) werden aufgrund Ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Mit den nun vorliegenden zusätzlichen Erkenntnissen untersucht das Bauamt derzeit verschiedene mögliche Verfahren für den späteren Bau des Kramertunnels in der Bergsturzbereichsstrecke (siehe Antwort zu Frage 1. c)).
Konkrete Aussagen, etwa über eine mögliche Grundwasserabsenkung und deren Dauer oder durchzuführende Bewässerungen, lassen sich erst nach dem Abschluss der Untersuchungen machen. An Hand der gewonnenen Erkenntnisse wird auch geprüft, ob die ggf. neu gewählte Bauweise dem Regelungsumfang des Planfeststellungsbeschlusses entspricht oder ob eine ergänzende Planfeststellung erforderlich ist.
Um Beantwortung gemäß Geschäftsordnung und Drucklegung wird gebeten.
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Anbei habe ich Ihnen meine Schriftliche Anfrage und die Antworten der Staatsregierung als pdf-Datei im Drucksachenlayout des Bayerischen Landtags hinterlegt.