29. September 2010

Aktuelle Stunde auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema: „Revolution von oben? Atompolitik in Deutschland und ihre Auswirkungen auf Bayern“

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN „Revolution von oben? Atompolitik in Deutschland und ihre Auswirkungen auf Bayern“ 

Ludwig Hartmann (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als die Bundeskanzlerin Anfang September den Kompromiss mit der Atomwirtschaft veröffentlicht hat, sprach sie im Zusammenhang mit dem Energiekonzept von „Revolution“. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ich finde es schon ziemlich merkwürdig, dass eine Bürgerin der ehemaligen DDR den Ausdruck „Revolution“ in diesem Zusammenhang gebraucht. Für viele Menschen in diesem Land ist eine Revolution ein gesellschaftlicher Umbruch, bei dem ein Großteil der Bevölkerung, der Benachteiligten und Unterdrückten mit den Großen und Mächtigen bricht und einen Neuanfang wagt. Beim schwarz-gelben Atomdeal ist davon gar nichts zu spüren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als der Atomdeal nach der nächtlichen Sitzung bekannt gegeben worden ist, hat keiner auf den Straßen getanzt. Das Einzige, was getanzt hat, waren die Aktienkurse zweier großer Energiekonzerne in diesem Land, die davon profitiert haben, nichts anderes. Besonders erstaunlich an diesem Atomdeal, den die Regierung ausgehandelt hat, ist, dass ihn so gut wie keiner in diesem Land möchte. Die Regierung ist mit den vier Konzernen ziemlich allein. Quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen ist man einhellig der Meinung, dass man diesen Deal so nicht braucht.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abgeordneten Markus Rinderspacher (SPD))

Die Gründe dafür sind in den vergangenen Wochen oft genug genannt worden. Mit einer Verdreifachung der Restlaufzeiten wird das Sicherheitsrisiko um ein Vielfaches erhöht – nicht nur durch die Länge der Zeit, sondern zusätzlich durch die Alterung der Kernkraftwerke. Die Nachrüstungsprogramme, die so hoch aufgehängt worden waren, wurden zusammengestutzt. Zeitfenster, wann das passieren soll, wurden auf ein Minimum reduziert. Für viele Reaktoren werden diese Maßnahmen wahrscheinlich dann nie kommen. Die Gewinnabschöpfung – sie wurde in diesem Haus schon lange diskutiert – wurde ganz hoch angesetzt. Man hat von einer Marge von 50 % gesprochen. Davon ist man weit entfernt. Der einzige Schaden, der wohl schlagartig eintreten wird, ist der energiewirtschaftliche: Milliardeneinbußen im Bereich der erneuerbaren Energien und Verlust der Planungssicherheit. Diese Planungssicherheit hat Rot-Grün seinerzeit geschaffen, nicht das Energiekonzept, das jetzt vorgestellt wurde.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das war eine Planungssicherheit, bei der jeder Beteiligte gewusst hat, wie es weitergeht. Erstens wussten die AKW-Betreiber, dass die AKWs nach einer bestimmten Laufzeit abgeschaltet werden. Durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG – wusste man, wie die Förderungsbedingungen für neue Kraftwerke, für erneuerbare Energien sind. Davon hat Bayern gewaltig profitiert. Das war ein richtiger Fahrplan. Dieser Fahrplan war in einem Bereich sogar erfolgreicher als geplant. Im Bereich erneuerbarer Energien haben wir mehr erreicht, als jegliches Gutachten und jegliche Prognose uns im Jahr 2000 versprochen haben. Wir waren erfolgreicher. Das Einzige, was im Verzug ist, ist der Atomausstieg, und genau den möchten Sie rückgängig machen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Verhängnisvoll sind meiner Meinung nach die in den letzten Wochen geführten Debatten und auch die Berichte, die nach und nach an die Öffentlichkeit kommen, wie es eigentlich zu diesem Atomkompromiss gekommen ist. Das ist schon erstaunlich. Da tagt man nachts, der Minister, der für die Sicherheit dieser Anlagen verantwortlich ist, ist nicht beteiligt. Dort wird dann ausgekartet, wie das neue Atomgesetz aussehen soll.

Diesmal hat man dafür gesorgt, dass eine ganz kleine Klientelgruppe bedient wurde. Klientelpolitik hat die Bundesregierung in den letzten zwölf Monaten schon mehrfach gemacht, aber diesmal hat man wirklich nur vier Unternehmen massiv bedient, während eine ganz große Masse von anderen auf der Strecke bleibt.

Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang Folgendes – und das sage ich jetzt an die FDP gerichtet -: In die Koalitionsvereinbarung hier in Bayern haben Sie hineingeschrieben, dass Sie die kommunalen und genossenschaftlichen Unternehmen im Energiebereich weiter unterstützen möchten. Genau das passiert aber nicht. Wiederum wird die Machtstruktur für die Großen fest betoniert. Daran wird sich nichts ändern. Deshalb wurde dieser Atomdeal erreicht.

Demokratisch gesehen ist es schon erstaunlich, dass man diese Revolution, die von oben kommt, mit aller Macht durchsetzen möchte. Da ist zum einen die Tatsache, dass der Bundesrat nicht gefragt werden soll. Da geht es schon los. Des Weiteren werden zwei wichtige Bundesbehörden, das Umweltbundesamt und das Bundesamt für Strahlenschutz, völlig ignoriert.

Es geht noch weiter: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen wird links liegen gelassen. Auf seine Bedenken wird keine Rücksicht genommen, man möchte es durchdrücken. Das ist wirklich eine reine Gefälligkeitspolitik für die großen Konzerne, die die Laufzeitverlängerung gewollt haben, für Konzerne, die in der Energiedebatte die Planungssicherheit stets in den Vordergrund stellen, die diese Planungssicherheit bereits im Jahr 2000 bekommen haben und sie jetzt aufgekündigt haben.

Aber die Laufzeitverlängerung reicht den großen Konzernen bei Weitem nicht. Die Regierung geht in ihrer Gefälligkeit noch um einiges weiter. Durch die Änderung des Atomgesetzes wird in laufende Verfahren eingegriffen. Wir haben in Bayern ein anhängiges Verfahren von drei Bürgerinnen und Bürgern, die im Umkreis des AKWs Isar 1 bei Landshut eine Klage zum Thema „Gefahr von Flugzeugabstürzen und deren Auswirkungen“ eingereicht haben. Dieses Verfahren ist weiter anhängig, aber ihm soll jetzt die rechtliche Grundlage entzogen werden. Das ist für mich ein Skandal.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein weiterer Bereich im Zusammenhang mit der Änderung des Atomgesetzes: Die Enteignungsvorschriften und -verfahren zur Erkundung von Gorleben sollen gegen den Widerstand der dortigen Bevölkerung wieder eingeführt werden, um das dort durchsetzen zu können. Ohne zu wissen, ob das überhaupt der richtige Standort ist, wird hier wieder ein Rad zurückgedreht.

Erstaunlich ist auch Folgendes: Diese Regierung hat nicht nur Angst vor den Bundesländern, sie hat Angst vor den eigenen Behörden, sie hat Angst vor den eigenen Sachverständigen, sie hat Angst vor den Gerichten, und, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, diese Regierung hat auch Angst vor den Wählerinnen und Wählern in diesem Land.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sonst lässt sich beim besten Willen nicht erklären, warum man eine Reihe von Geheimverträgen machen musste. Im Umweltausschuss des Bundestages – dort wird dieses Thema heute auch diskutiert – kam heraus, dass zu vermuten ist, dass noch weitere geheime Verträge geschlossen worden sind, geheime Verträge, die dank der Dummheit eines einzigen Managers an die Öffentlichkeit gekommen sind, und Verträge, die zukünftige Regierungen daran hindern sollen, bestimmte Entscheidungen wieder rückgängig zu machen. Das ist für mich, demokratisch gesehen, ebenso ein Skandal.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Und es hört damit nicht auf. Morgen sollen ähnlich wie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in einer Sitzung die Anforderungen an ein Endlager für hochradioaktive Abfälle weiter nach unten geschraubt werden, um für Gorleben möglichst schnell einen Passierschein zu bekommen. Das kann es auch nicht sein. Da wird genau so weitergemacht, wie man in den letzten Wochen angefangen hat.

Aber zu Recht ist der Aufschrei in diesem Land immer größer geworden. Viele Menschen in diesem Land fragen sich: Wer regiert eigentlich dieses Land? Ist das überhaupt noch das Bundeskabinett, sind es nicht vier große Stromkonzerne,
(Zuruf von der CSU)
oder sind es sogar 41 Männer, die in einer einzigen Anzeige die Kanzlerin zur Erfüllungsgehilfin der Atomwirtschaft gemacht haben? Die Anzeige war geschaltet, kurz danach gelang ein Kompromiss. Diese Art der Durchsetzung der Atompolitik erinnert mich sehr stark an das Buch von Robert Jungk „Der Atomstaat“. Wir erleben, wie mit recht zweifelhaften Methoden die Wünsche der Atomlobby bedient werden. Das haben wir in diesem Land lange nicht mehr so erlebt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, viele von Ihnen waren nie bei einer Demonstration in Gorleben dabei. Auf der linken Seite sicherlich einige. Sie haben sicherlich mitbekommen, dass es in den nächsten Wochen wieder zu einem Transport nach Gorleben und im Zusammenhang damit zu Demonstrationen kommen wird. Ich war 1998 selbst dabei und habe erlebt, dass die Staatsgewalt diese Atompolitik nur mit Methoden durchsetzen kann, vor denen es einem graust. Da sitzen Tausende von Menschen, die von einem Grundrecht Gebrauch machen und friedlich demonstrieren. In der ersten Stunde werden sie von der Straße getragen. In der zweiten kommt der Wasserwerfer mit einem kleinen Einsatz. Wenn er nach vier Stunden nicht fertig ist, wird der Knüppel ausgepackt, um diese Politik durchzusetzen.

Diese Bilder werden wir im Herbst wieder sehen. Für mich ist dabei erstaunlich, dass eine Kanzlerin das als Revolution bezeichnet. Ich nenne das Konterrevolution. Das ist auch nicht konservativ, sondern das ist reaktionär.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

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