13. Dezember 2011

Aktuelle Stunde auf unseren Vorschlag zum Thema: „Zwischenbilanz: Wo bleibt die Energiewende?“

Meine Rede im Plenum vom 13.12.2011

Ludwig Hartmann (GRÜNE):
Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die jetzt zu Ende gehenden zwölf Monate dieses Jahres waren von einer sehr turbulenten Energiepolitik gekennzeichnet. Vor noch nicht einmal einem Jahr haben die Bundesregierung und die Staatsregierung die damalige Laufzeitverlängerung als Revolution gefeiert. Die Revolution hat keine hundert Tage gehalten, als die Bundesregierung und die Staatsregierung von den Risiken der Atomkraft eingeholt wurden und ihren Weg Gott sei Dank korrigiert haben.
In diesem Zusammenhang wurde die Energiewende ganz groß verkündet. Sie wurde von der Bundeskanzlerin, der Staatsregierung und dem Ministerpräsidenten Seehofer auf den Schild gehoben. Sie sollte jetzt endlich gestaltet werden. Ein halbes Jahr nach der Regierungserklärung der Staatsregierung ist jetzt zu fragen: Was ist aus der angekündigten Energiewende eigentlich konkret geworden? Die Staatsregierung hat eine Energiewende angekündigt. Das bedeutet, dass man auch die Politik ändern muss. Dies ist bis heute aber nicht geschehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben zwar mit dem Wiedereinstieg in den rot-grünen Atomausstieg die richtigen Weichen gestellt. Aber die Weichen in Richtung Ausstieg zu stellen, heißt auch, die Weichen in Richtung Einstieg in erneuerbare Energien zu stellen. Wenn man bei der Fahrt durch das Land mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern spricht, findet man überall die Bereitschaft, die Energiewende zu gestalten und tatkräftig anzufangen. Aber dann merkt man immer wieder, dass aus der Landeshauptstadt München kein richtiges Signal kommt, wie diese Energiewende umgesetzt werden soll. Das führt dazu – das ist in der Energiepolitik eine Seltenheit -, dass sogar eine Linie mit der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft besteht, deren Hauptgeschäftsführer Herr Brossardt kürzlich zu dem Thema feststellte: „Es ist noch nichts passiert.“ Das bestätigt unsere Auffassung: Im letzten halben Jahr wurde sehr viel angekündigt, aber das Einzige, was konkret umgesetzt wurde, ist die Gründung der bayerischen Energieagentur. Diese hat allerdings von Anfang an eine ganze Reihe von Konstruktionsmängeln.
Da ist zum einen die personelle Problematik. Beamte wurden aus mehreren Ministerien zusammengezogen. Man hat die Agentur einerseits dem Wirtschaftsministerium untergeordnet, andererseits aber einen Lenkungsausschuss gegründet, in dem fünf Ministerien mitreden sollen. Das kann so nicht funktionieren. Zum anderen ist die Aufgabenbeschreibung für die Energieagentur zwar äußerst umfassend, gleichzeitig aber auch reichlich verschwommen. Eine klare Linie, ein roter Faden, wohin das Ganze führen soll, ist nicht  erkennbar.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mein deutlicher Appell an die Staatsregierung lautet, die Energieagentur nicht an die kurze Leine zu nehmen, sondern ihr mehr Freiräume einzuräumen, sie personell und finanziell gut auszustatten und Ideen und Konzepte entwickeln zu lassen, ohne dass stets ein wie auch immer parteipolitisch geprägtes Ministerium versucht, dort seinen Schwerpunkt einzubringen. So kommen wir nicht weiter, und so werden wir uns dieser Aufgabe nicht stellen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist allerdings noch nicht das Schlimmste, was die Staatsregierung bisher verbockt hat. Viel trauriger und gleichsam entsetzt macht uns, dass sowohl auf europäischer als auch auf Bundesebene einiges darangesetzt wird, die Energiewende zu unterlaufen und zu bremsen. Da gibt es zum einen den Energiekommissar Oettinger, der in einer Roadmap, die er diese Woche vorlegt, davon spricht, dass 40 neue Atomkraftwerke notwendig seien. Er weiß sicherlich gut genug, dass er keinen Investor finden wird, der diese Anlagen bauen möchte. Und was macht er nun? – Er bringt neue Subventionen für eine Technik, die 50 Jahre alt ist, in die Debatte ein. Und er spricht von einem Atomeinspeisegesetz. Das ist beschämend.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Schwarz-Gelb auf Bundesebene gibt ebenfalls ein sehr merkwürdiges Bild ab. Wir haben zum einen die Einigkeit zwischen Kauder und Brüderle, die fordern, den Zubau an Solarstrom auf 1.000 Megawatt pro Jahr zu deckeln.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktion, haben Sie eigentlich einmal durchgerechnet, was das für Ihr eigenes Energiekonzept heißt? In Ihrem Energiekonzept gehen Sie von einem jährlichen Zuwachs von 700 bis 800 Megawatt aus, während Ihre Kollegen auf Bundesebene einen Deckel bei 1.000 Megawatt bundesweit fordern. Wie soll das funktionieren? Wenn das durchgeht, können Sie Ihr Energiekonzept im Frühjahr gleich wieder einstampfen. Möglicherweise werden Sie nun einfach bei Ihrem Energiekonzept eine Passage austauschen; denn wie so oft in den letzten Monaten und Jahren sind Sie bei der Energiepolitik hin- und hergeschwommen. Man wusste nie genau, wohin Sie wollten. Möglicherweise ändern Sie diesen Passus im PV-Bereich. Aber damit verursachen Sie Planungsunsicherheit bezüglich der Energiepolitik für die Unternehmen in diesem Lande. Die haben Sie auch in den letzten Jahren immer wieder verursacht. Jetzt beginnen Sie eine Debatte auf Bundesebene zur Schaffung eines Deckels für den PV-Bereich. Dabei haben Sie sich doch erst vor Kurzem auf Bundesebene auf einen Zielkorridor von 3.500 Megawatt pro Jahr verständigt. Eine solche Unsicherheit darf nicht aufkommen.
Was heißt es denn im Grunde genommen, wenn Sie jetzt den Zubau deckeln? In den ersten drei Monaten eines Jahres kommt der Installateur nicht mehr vom Dach runter, und im Rest des Jahres herrscht Flaute. Das heißt, der Investor plant, investiert und baut, muss sich dann aber fragen, ob im Sommer noch Platz unter dem Deckel ist oder ob die Anlage später nicht mehr vergütet wird, weil er etwas spät dran war. Damit verursachen Sie keine Planungssicherheit, sondern reines Planungschaos.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein weiteres Beispiel für die raffinierte Unterwanderung der Energiewende ist Folgendes. Im Sommer hat eine ganze Reihe gesetzlicher Regelungen das Parlament passiert bis hin zum Thema Netzentgelt, das kürzlich wieder durch die Medien geisterte. Von diesem Entgelt sollen die großen Stromverbraucher befreit werden. Das bedeutet konkret für kleine Stadtwerke wie zum Beispiel die Stadtwerke Neuburg, dass sie rückwirkend zu Anfang 2011 auf das Netzentgelt zugunsten des Großabnehmers verzichten müssen. Das wären circa 750.000 Euro, nur 500.000 Euro könnten zum höher gelagerten Netzbetreiber weitergegeben werden. Das heißt, dieses kleine Stadtwerk bliebe auf 250.000 Euro sitzen, die es ausgleichen muss. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, wir waren uns doch einig – so lese ich auch Ihr Energiekonzept -, dass wir die Stadtwerke stärken, nicht aber bremsen wollen. Das war der Auftrag.
Ein weiterer Bereich ist die EEG-Umlage. In diesem Rahmen sind energieintensive Industrien – circa 500 bis 600 – gestaffelt von der Umlage befreit. Und nun wird darüber nachgedacht, diese Anzahl zu verzehnfachen und immer mehr Industrien mit in diese Umlagebefreiung hineinzunehmen. Damit werden die Kosten der Energiewende auf die kleinen Bürgerinnen und Bürger und die Kleinunternehmen umgelegt. Das kann es nicht sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von den GRÜNEN: Unverschämt)

Wenn man das alles durchrechnet, wird sich vermutlich der Strompreis um einen Cent erhöhen, allerdings nur für die Kleinverbraucher. Das Erstaunlichste an dieser Sache ist, dass das ganz ohne Not geschieht. Selbst bei der Vereinigung der industriellen Kraftwerkswirtschaft, also faktisch dem Lobbyverband der großen Stromabnehmer, besteht Konsens, dass aufgrund des EEG und der vorrangigen Einspeisung des Ökostroms in das Netz die Spitzenpreise an der Strombörse gefallen sind und auch unten gehalten werden können. Diese Firmen haben also einen Vorteil davon, sollen aber weiterhin von der Umlage befreit werden.
Zusammenfassend kann man feststellen – leider reicht die Redezeit nicht, um noch weitere wichtige Punkte anzusprechen -: Dem bayerischen Wirtschaftsminister ging die Unterstützung der Wirtschaft nicht weit genug; er wollte am liebsten gleich noch die Ökosteuer infrage stellen, um die Wirtschaft noch weiter zu entlasten. Das zeigt ganz deutlich, dass die Kosten auf die Kleinen umgelegt werden. Das kann es nicht sein. Und es zeigt auch, was das Netzentgelt angeht – das habe ich vorhin angesprochen -, dass Sie die kleinen Stadtwerke und Kommunen belasten, was wir keinesfalls wollten. Wir wollten die Bürgerinnen und Bürger bei der Energiewende stärken, wir wollten die Stadtwerke stärken, und wir wollten die Genossenschaften stärken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für mich bleibt festzustellen: Wenn die Energiewende in diesem Land vorangeht, ist das mit Sicherheit nicht der Verdienst der Staatsregierung, sondern der Bürgerinnen und Bürger, die in die Windkraftanlagen investieren, in Solaranlagen, in Biomasseanlagen und die sich zu Genossenschaften zusammentun, um diese Wende zu gestalten und daran teilzuhaben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gibt viele Bürgermeister in diesem Lande, die gezielt an dieser Wende arbeiten. Deren Arbeit müsste man deutlicher unterstützen; man darf ihnen keine weiteren Bremsklötze vor die Füße werfen. Die Planungsunsicherheit, die diese Staatsregierung produziert, ist für ein Industrieland wie Bayern und für dessen Mittelstand beschämend.

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN)

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Anbei finden Sie Links zu einem Videomitschnitt meiner Rede. Außerdem können Sie in der angefügten pdf-Datei den Diskussionsverlauf als Auszug des Plenarprotokolls nachlesen.

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