22. Oktober 2009

Atomkraftnutzung nicht verlängern – Atomstrom bis 2025 ist mehr als genug

Ludwig Hartmann (GRÜNE):
Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die neue Bundesregierung hat sich entschlossen, den mühsam gefundenen Atomkonsens aus dem Jahr 2000 aufzukündigen. Mit der Aufkündigung des Atomkonsenses werden die Planungssicherheit und die Investitionssicherheit aufgegeben, die man in diesem Konsens gefunden hatte und die aus einer jahrelangen Debatte zum Thema Atomausstieg hervorgegangen sind.
Die Planungssicherheit, die in dem Konsens im Jahr 2000 vereinbart worden ist, hat auch dazu geführt, dass die Reaktoren Reststrommengen zugeordnet bekommen haben. Deshalb wird die aktuelle Debatte darüber, dass Laufzeiten bis 2020 zu kurz seien, falsch dargestellt. Die aktuelle Entwicklung zeigt uns, dass wir schon jetzt bei dem gültigen Atomausstiegsgesetz noch Laufzeiten der AKW von gut 16 Jahren haben.
Das hat einmal damit zu tun, dass ein Großteil der AKW – zurzeit in der Anzahl sechs – nicht am Netz ist. In den letzten Jahren ist einer Anzahl von AKW infolge von Unfällen, Baumängeln und Reparaturarbeiten der Betrieb teilweise entzogen oder ausgesetzt worden. Die Namen Biblis, Brunsbüttel und Krümmel haben dadurch traurige Berühmtheit erlangt. Herr Kollege Thalhammer, das sind deutsche AKW mit angeblich deutschen Sicherheitsstandards.
Hinzu kommt, dass, wie vorhin schon einmal erwähnt wurde, am Wochenende, aber auch nachts von Mitternacht bis 7.00 Uhr in der Frühe zum Beispiel das AKW Neckarwestheim regelmäßig vom Netz genommen wird, da die Strommenge nicht benötigt wird.
Diese nicht genutzten Strommengen muss man sozusagen an die unter dem Atomkonsens vereinbarten Reststrommengen anhängen. Das verlängert die Laufzeit unter dem gültigen Atomrecht ohne Weiteres um zusätzliche 16 Jahre. Das ist durchaus genug. Erstaunlich ist aber, dass das den Atomkonzernen, der Staatsregierung und der neuen Bundesregierung nicht genug zu sein scheint. Sie haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, an dem Ausstieg zu rütteln und die Laufzeiten verlängern zu wollen.
Aber wie so oft nach Wahlen kommt es dicker als angekündigt. In den Wahlkampfreden hieß es immer wieder, die Brückentechnologie müsse um acht bis zehn Jahre verlängert werden. Wer das geglaubt hat, wird in diesen Tagen eines Besseren belehrt. An dem aktuellen Stand der Koalitionsverhandlungen kann man deutlich feststellen, dass für die Atomindustrie quasi eine Ewigkeitsgarantie vorgesehen ist. In dem Text heißt es nämlich, die Atomenergie sei so lange unverzichtbar, bis sie durch erneuerbare Energien verlässlich ersetzt werden kann.
Gleichzeitig will man aber auch die erneuerbaren Energien überall dort weniger fördern, wo sie in die Richtung einer Grundlastverdrängung kommen. Aber das kann nicht funktionieren. Auf der einen Seite redet man davon, man brauche ein Marktanreizprogramm, wonach Strom aus erneuerbaren Energien in Spitzenzeiten anders vergütet wird als zu anderen Zeiten. Aber so gelangt man nie ans Ziel. Es kann ja nicht dahin kommen, dass die erneuerbaren Energien der Atomkraft die Grundlastbedienung wegnehmen können. In dieser Hinsicht ist man hinters Licht geführt worden.
Ein anderer Punkt ist die Sicherheitsfrage. Da haben sich vor allem die Kollegen der FDP teilweise lautstark aus dem Fenster gelehnt. In Schleswig-Holstein hat man gehört, Brunsbüttel und Krümmel sollten vorzeitig stillgelegt werden. So hieß es immer wieder in den Medien.
Aber in dem Entwurf der Koalitionsvereinbarungen nach dem heutigen Stand steht kein Wort darüber, dass die AKW frühzeitig vom Netz gehen sollten.
In Nordrhein-Westfalen hat der Wirtschaftsminister Pinkwart deutlich geäußert, im nächsten Jahr müssten fünf AKW stillgelegt werden. Davon ist nichts zu lesen. Davon wurde nur gesprochen. Es war ein Wunschdenken. In dem aktuellen Stand der Koalitionsvereinbarung ist davon nichts zu lesen, dass ältere AKW früher vom Netz gehen sollen.
Man weiß nicht, wer sich bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin durchsetzt. Ist es die CSU, die FDP oder die CDU? Man weiß es nicht. Aber ein Bereich hat sich durchgesetzt: die Atomlobby; das muss man ganz ehrlich sagen. Sie hat eigentlich schon erreicht, was sie erreichen wollte. Die Chefvertreter der Atomlobby waren, überspitzt gesagt, mit Günther Oettinger, Roland Koch, Karl-Theodor zu Guttenberg, Guido Westerwelle am Koalitionsverhandlungstisch in Berlin. Die haben dort die Lobbyarbeit der Betreiber gemacht.
Was eigentlich erstaunlich ist: Die Debatte ist nach der Bundestagswahl um einiges sachlicher geworden, wenn ich ganz ehrlich bin jetzt nicht von den Parteien, aber von vielen kritischen Gruppierungen. Zum Beispiel hat das Katholische Büro in Berlin vor wenigen Tagen erklärt, die schwarz-rote Regierung habe den Beschluss zum Atomausstieg aus gutem Grunde nicht angetastet. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken meldet am 5. Oktober: „Der Einsatz für den nationalen und internationalen Klimaschutz muss intensiviert werden. Dazu gehört die Weiterentwicklung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.“
Für das Festhalten am Atomausstieg hat sich auch eine ganze Reihe von Umweltgruppen ausgesprochen; das brauche ich hier wohl nicht näher zu erklären. Was mich aber in den letzten Wochen erstaunt hat, ist, dass sich auch eine ganze Reihe von staatlichen Stellen dazu geäußert und eigentlich gegen eine Laufzeitverlängerung ausgesprochen hat.
Das Umweltbundesamt hat sich unter seinem früheren Leiter, dem ehemaligen CDU-Mitglied Andreas Troge, damals gegen eine Laufzeitverkürzung ausgesprochen, aber auch bei seinem Nachfolger kommt immer wieder heraus, dass die Laufzeitverlängerung im Gegensatz zur Energiewirtschaft und zum Klimaschutz in Deutschland steht und eigentlich nicht sein kann.
Das Umweltbundesamt hat letzte Woche noch einmal deutlich nachgelegt und darauf hingewiesen, dass die Verlängerung der Laufzeiten der alten AKW auch dazu führt, dass die Wirkung des Emissionshandels, die eh schon relativ gering anzusetzen ist, noch weiter untergraben wird und man davon ausgehen kann die Emissionsrechte wurden nach dem damals gültigen Atomausstiegsgesetz vergeben -, dass diese AKW eines Tages vom Netz gehen und eine Laufzeitverlängerung die CO2-Zertifikatpreise endgültig in den Keller drängt. Das muss man einmal ganz ehrlich sagen; sie sind jetzt schon eh relativ weit unten.
Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz hat darauf hingewiesen, dass auch die Suche nach einem geeigneten Endlager für hoch radioaktive Abfälle und abgebrannte Brennelemente ungleich schwerer werden würde, wenn die Atommüllproduktion nicht zeitlich befristet wird und die einzulagernde Menge nicht absehbar ist. Das ist doch genau das Problem, vor dem wir jetzt stehen: Wir wissen nicht mehr, wie viel noch hinzukommt, sollen aber schon ein optimales Endlager suchen.
Der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen hat in diesem Sommer ein Papier veröffentlicht mit dem Titel: „Weichenstellung für eine nachhaltige Stromversorgung“. Selbst in diesem Papier heißt es wörtlich: „Hohe Anteile von Grundlastkraftwerken sind mit dem Ausbau erneuerbarer Energien nicht vereinbar.“ Grundlastkraftwerke sind Atomkraftwerke, das steht außer Zweifel. Das also steht im Papier des Sachverständigenrates der Bundesregierung für Umweltfragen.
Der Präsident des Bundeskartellamtes hat sich ganz aktuell ich glaube, es war vorgestern im „Handelsblatt“ zu dem Thema zu Wort gemeldet. Ich zitiere hier eine ddp-Meldung: „Wenn die Laufzeiten verlängert werden, wird die hohe Verdichtung der Erzeugungskapazitäten zementiert.“ Das sagt der Kartellamtspräsident Bernhard Heitzer. Gleichzeitig würde unabhängigen Energieerzeugern „der Boden unter den Füßen weggezogen“.
Jetzt wende ich mich vor allem an die Kollegen der FDP: Wir sind uns doch alle einig, dass die Monopolstruktur aufgebrochen werden muss, aber mit den längeren Laufzeiten der großen AKW zementieren wir doch eigentlich die Monopolstruktur und sind damit auf dem falschen Weg. Da ist einmal das Sicherheitsrisiko. Wir haben die gewaltige Blockade der erneuerbaren Energien, die das mit sich bringt, und das Monopol der großen Versorger wird nicht gebrochen was eigentlich immer Ziel der FDP war, soweit ich das den Wahlprogrammen entnehmen konnte.

(Zuruf des Abgeordneten Tobias Thalhammer (FDP))

Die einzigen, die durch die Laufzeitverlängerung wirklich gewinnen und einen Vorteil haben, sind die vier großen Konzerne. Sie haben einen Vorteil, ohne Zweifel. Aber ich glaube, Politik ist doch dem Gemeinwohl verpflichtet und nicht dem Wohl der vier großen Konzerne. Das ist, glaube ich, ganz deutlich.

(Widerspruch bei der CSU)

In diesem Sinne bitte ich Sie, zu überlegen, ob man nicht an dem alten Atomkonsens festhalten sollte. Es war ja ein Konsens. Wenn man an ihm festhielte, wäre das allemal besser als ein Rückfall in die Neunzigerjahre. Vielleicht kann man Sie in diesem Falle nicht belehren, aber eines ist sicher: Die Debatten werden Sie sicher nicht los sicher nicht hier im Parlament, sicher nicht in den Medien, sicher nicht in den Verbänden und sicher auch nicht auf der Straße vor den AKW.

(Beifall bei den GRÜNEN)

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