15. September 2015

Montessori 2.0 – Lernen im digitalen Zeitalter

Beschluss der Klausur unserer Landtagsfraktion vom 15.09.2015 in Kempten

– Wiederbelebung reformpädagogischer Prinzipien für Lernen mit digitalen Medien

– Digitale Medien für neue Lernkultur nutzen

– Medienbildung als Aufgabe aller Schulen im digitalen Zeitalter wahrnehmen

– Infrastruktur schaffen

Die Digitalisierung ändert nicht nur die Lernmittel in den Schulen, sie macht eine neue Lernkultur nötig. Insbesondere die Selbständigkeit und die Eigenverantwortung des Lerners soll dabei in den Mittelpunkt gerückt werden. Ohne passende Infrastruktur klappt es nicht – doch gerade hier fehlt es an allen Ecken und Enden. Mit Medien leben und lernen – diese Herausforderung wollen wir politisch gestalten.

Die Digitalisierung ist die größte technologische Revolution der vergangenen Jahre. Klar ist: Wir sind mittendrin im digitalen Zeitalter, der digitale Wandel verändert unser tagtägliches Leben, unseren Alltag. Smartphones, Tablets, E-Books, Apps und Social Media haben unsere Gesellschaft und die Art wie wir kommunizieren, arbeiten und nicht zuletzt wie wir lernen bereits heute grundlegend gewandelt. Das Internet ist zu einem globalen Möglichkeitsraum mit nahezu uneingeschränkter wechselseitiger Kommunikation, aber auch der Wissenserzeugung, des Wissensaustauschs und damit des informellen Lernens geworden. Auf der anderen Seite bringt das Medium Internet auch Gefahren und Risiken mit sich. Diese technologische Entwicklung wird sich nicht aufhalten lassen, aber sie wirft ganz grundlegende Fragen auf: persönliche, gesundheitliche, pädagogische. Und insgesamt gesehen weitreichende politische, rechtliche, ökologische, soziale und nicht zuletzt kulturelle Fragen. Uns LANDTAGSGRÜNEN geht es darum, dass wir die Entwicklungen nicht einfach so geschehen lassen. Wir wollen den Wandel aktiv politisch gestalten. Auch im Netz setzen wir auf unsere Werte: Freiheit, Selbstbestimmung, Teilhabe, Vielfalt und Nachhaltigkeit. Unser Leitbild ist nicht der konsumfreudige User, sondern der digitale Citoyen.

Die digitalen Medien sind auch immer früher Teil der Lebensrealität unserer Kinder. Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (im Auftrag des Bundesfamilienministeriums) sind rund 1,2 Millionen der Drei- bis Achtjährigen regelmäßig online. Bei den 3-Jährigen ist es fast jedes 10. Kind, bei den 6-Jährigen fast ein Drittel, bei den 8-Jährigen gut die Hälfte. Digitale Bildung gilt neben Lesen, Schreiben und Rechnen inzwischen als Kulturtechnik. Kinder und Jugendliche zu kompetenten NutzerInnen zu machen ist Aufgabe der Schule. Alles andere ginge an der Lebensrealität und an der Arbeitswelt vorbei. Dabei geht es auch um Teilhabe: Denn beim souveränen Umgang haben jetzt schon die Kinder von bildungsnahen internetaffinen Eltern einen klaren Startvorteil. Wer nicht das Glück hat, aus einem solchen Elternhaus zu kommen, läuft hinterher. Dem entgegen zu wirken, ist eine bildungspolitische Herausforderung.

Insgesamt leistet Medienkompetenz einen Beitrag zu persönlichen und beruflichen Entwicklungsperspektiven und kann mit Blick auf Medienwirkungs- und Mediennutzungsrisiken präventiv wirken.

Medienbildung in die Schule!

Im Schulalltag hat sich Medienpädagogik als Querschnittsaufgabe für alle Fächer bislang nicht durchgesetzt. Bisher ist die Einführung von beispielsweise Tablets im Unterricht eine punktuelle Entwicklung, die mit engagierten Lehrkräften steht und fällt. Dabei mangelt es nach Einschätzung von ExpertInnen nicht allein an der technischen Ausstattung. Der Einsatz neuer Medien im Unterricht ist auch unter den Lehrkräften nach wie vor umstritten, und es fehlt eine umfassende Qualifizierung der Lehrkräfte. Die internationale Vergleichsstudie zur Computerkompetenz von Schülerinnen und Schülern in der 8. Klasse, (ICIL) hat nicht nur festgestellt, dass deutsche SchülerInnen in der IT-Kompetenz nur im Mittelfeld liegen, sondern sie warnen auch vor einem Mythos, dass Kinder und Jugendliche durch das Aufwachsen in einer von neuen Technologien geprägten Welt automatisch zu kompetenten Nutzerinnen und Nutzern digitaler Medien werden.

Aufgabe der Schule ist es, die Kinder stark zu machen für das, was sie später im Leben erwartet. Wir leben in der digitalen Welt, unabhängig davon, ob die Schulen die digitalen Medien nutzen oder nicht. Die Frage ist: kommen die Kinder in der Welt wirklich besser zurecht, wenn in den Schulen Lernen an und mit digitalen Medien im Unterricht kaum eine Rolle spielt? Vielmehr kommt es doch darauf an, sie an die Möglichkeiten und die Grenzen der digitalen Welt heranzuführen, ihnen die Chance auf den souveränen Umgang mit den digitalen Technologien zu ermöglichen. Das gelingt nur dann, wenn man an den Schulen Raum dafür schafft. Für uns LANDTAGSGRÜNE ist klar, dass Schule der Ort sein muss, an dem digitale Bildung allen vermittelt wird. Dabei geht es uns um erheblich mehr als Medienkompetenz und mediale Lehr- und Lerntools. Es geht um schulische Bildung als Vorbereitung auf das Leben in einer komplexen Gesellschaft. Die Förderung von Medienbildung der Schülerinnen und Schüler über alle Schulstufen wird damit zum prioritären Thema für ein zukunftsfähiges Bayern – und damit für eine moderne, zukunftsweisende Lehrkräftebildung. Perspektivisch ist davon auszugehen, dass Deutschland und Bayern ohne konzeptionelle Verankerung digitaler Medien in schulischen Lehr- und Lernprozessen, unter Berücksichtigung eines kompetenten Umgangs damit, im internationalen Vergleich auch zukünftig nicht über ein mittleres Leistungsniveau hinauskommen wird. Vom Megatrend Digitalisierung werden nur die Länder profitieren, die gezielt in eine zukunftsfähige digitale Infrastruktur investieren und die die Weichen das neue Lernen und Lehren heute richtig stellen.

„Alte Schule mit neuen Medien“ wird nicht funktionieren

Das Wesen von Schule hat sich im Kern seit dem vorletzten Jahrhundert nicht verändert. Der Staat gibt einen beständig gewachsenen Kanon von Inhalten vor, gelehrt durch Lehrkräfte und Bücher, angetrieben und kontrolliert durch Prüfungen und Abschlüsse, gelernt durch Zuhören, Lesen, Wiederholen und Üben. Seit einigen Jahren gerät dieses Selbstverständnis ins Wanken, beeinflusst durch die Erhebungen der PISA-Studien, den Ausruf der Kompetenzwende oder best-practice-Beispiele wie in den Filmen von Reinhard Kahl. Nun fordert die Digitalisierung die Pädagogik heraus. Die Rolle der Schule in der digitalen Welt wird sich grundlegend ändern müssen, wenn Fakten und Informationen jederzeit für jeden verfügbar sind. Ein Unterricht, der das Vermitteln und Abprüfen dieser Fakten ins Zentrum stellt, macht sich selbst überflüssig. Lernen im digitalen Zeitalter heißt aber andererseits nicht nur die Technik zu nutzen. Denn Digitalisierung führt nicht automatisch zu einer Veränderung der Lernkultur an der Schule: Oft werden gewohnte Verfahren, Instrumente, Methoden lediglich digitalisiert, d. h. der Unterricht ändert sich nicht, ist z.B. weiterhin lehrerzentriert, nur jetzt mit digitalen Medien. Der Einsatz von IT im Unterricht macht nur Sinn, wenn dieser eingebunden ist in ein Konzept zur Unterrichtsentwicklung, das auf Teamarbeit, individualisiertes Lernen und eigenständiges Arbeiten setzt.

Grüne digitale Agenda für die Schule

Die Bildungspolitik in Bayern läuft der Digitalisierung hinterher. Die digitalen Medien müssen als Chance wahrgenommen werden und nicht als Bedrohung. Wir sehen die digitale Medienkompetenz als neue zeitgemäße Kulturtechnik zu Lesen, Schreiben und Rechnen an. Wer keine digitale Kompetenz hat, ist im Nachteil und kann am gesellschaftlichen und kulturellen Leben nur eingeschränkt teilhaben. Daher muss der Umgang mit digitalen Medien in der Schule kultiviert werden und ein selbstverständlicher Teil des Schullebens sein. Uns geht es darum, wie digitale Medien Lernen und individuelle Förderung weiterentwickeln können.

Unser Ideal vom schulischen Lernen orientiert sich zu großen Teilen an reformpädagogischen Überlegungen. Uns geht es um Individualisierung und Selbstbestimmheit der Lernenden und gleichwohl um die Bedeutung der Lerngemeinschaft. Wir wollen, dass jedes einzelne Kind seine individuellen Fähigkeiten entfalten kann. An dieser Stelle müssen wir uns fragen, welche Potenziale über digitale Medien erschlossen werden können. Wir wollen die Weichen stellen, damit Bildung, Lernen und Schule nicht bloß digitalisiert, sondern grundsätzlich verändert werden. Es geht uns um gute Pädagogik im digitalen Zeitalter. Das Netz macht es möglich, teamorientierter und zugleich individueller zu arbeiten. Digital und online lernen heißt eigenständig, entdeckend und selbsttätig zu lernen und bietet neue Chancen über Klassen- und Alters- und sonstige Grenzen hinweg gemeinsam an Lösungen zu feilen. Lehrkräfte haben in aller Regel eine begleitende und weniger eine belehrende Rolle mit dem Ziel, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.

Sieben notwendige und innovative Schritte:

1. Infrastruktur aufbauen, Support stärken

Notwendige Bedingung für Lernen mit digitalen Medien schaffen: Schulstufenadäquate Ausstattung der Klassenzimmer mit digitalen Medien sowie deren flächendeckender und nachhaltiger Support. In Bayern sind die Regionen außerhalb der großen Ballungsräume bei einer Bandbreite von mindestens 50 Mbit/s weitgehend unter oder unversorgt. Bayern hinkt in der Ausstattung dem hinterher, was Kinder und Jugendliche privat vorfinden. Nur 45,7% der Schulen in Bayern haben einen Breitbandanschluss von 6 Mbit/s oder mehr. Knapp 1,3 Millionen Schülerinnen und Schülern stehen gerade einmal rund 303.500 Computerarbeitsplätze gegenüber. Der gleichberechtigte Zugang zum Internet muss bis 2017 in Bayern realisiert werden. Gleiche Lernchancen heißt auch schnelles Breitband für alle Schulen.

Angesichts der Fülle von Aufgaben, die von pädagogisch-didaktischen Fragen über die Sicherung der technischen Funktionalität und Administration bis hin zu der technischen Wartung und Reparatur reichen, ist es notwendig, den Systembetreuerinnen und Systembetreuern an Schulen künftig eine Anrechnungsstunde zukommen zu lassen. Die SystembetreuerInnen sollen zudem bei entsprechender dienstlicher Beurteilung bei der Vergabe einer Leistungsstufe berücksichtigt werden oder mit entsprechenden Funktionsstellen versehen werden. Bei einer höheren EDV-Ausstattung an der Schule oder besonderen Belastungen können weitere Anrechnungsstunden gewährt werden. Zudem wollen wir einens Pool von medienpädagogischen Fachkräften schaffen – mit medienpädagogisch-informationstechnischen BeraterInnen (MiBs) und auch externen Fachkräften, die nachgefragt werden können. Für diese Kooperation mit der müssen organisatorische, finanzielle und rechtliche Rahmenbedingungen verbessert werden.

2. Medienpädagogische Bildung der Lehrkräfte

Die Vermittlung von Medienkompetenz muss sich in der Aus- und Weiterbildung des Lehrpersonals widerspiegeln. Medienpädagogische Ausbildungsinhalte müssen daher integraler Bestandteil der Ausbildung für alle Schularten und in allen Fachbereichen sein und prüfungsrelevant verankert werden. In diesem Sinne ist Medienbildung sowohl in den Bildungswissenschaften als auch in der fachbezogenen Lehrerausbildung der ersten und zweiten Phase in den Prüfungsordnungen ausreichend und verbindlich zu verankern. Diese grundlegende Ausbildung für Lehrkräfte muss fortgeführt und ergänzt werden durch entsprechende Fortbildungsangebote, in denen Medienkompetenz und medienpädagogische Kompetenzen vermittelt und erworben werden können. Hierfür schlagen wir eine Fortbildungsoffensive vor.

3. Digitale Bildung in die Schule – Informatik als Pflichtfach

Die Förderung umfassender und schulstufenadäquater Medienbildung muss in den Curricula der Unterrichtsfächer verbindlich und breiter verankert werden. Der Erwerb eines souveränen Umgangs mit den digitalen Medien muss dabei verknüpft werden mit Technologiekompetenz. Der Themenkomplex Technologie gibt den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, nicht nur Rezipient der neuen Medien zu sein, sondern selbst aktiv neue Medien und Technologien mitzugestalten. Neben dem Grundwissen sollen auch Programmierkenntnisse vermittelt werden. Dafür soll Informatik verpflichtendes Unterrichtsfach an den Schulen werden. Schulen müssen dem Auftrag nachkommen, über Medienkompetenz hinaus im Unterricht auch ein fundiertes Verständnis für IT-Technologien zu vermitteln. Informatik beeinflusst heute alle Lebensbereiche. Informatiksystemen kann sich niemand entziehen. Viele Funktionen, die uns selbstverständlich zur Verfügung stehen, werden über Informatik realisiert. Deswegen sind wir der Überzeugung, dass wir über Technik, aber insbesondere auch über Informatik mehr wissen sollten, auch, um mit diesen Systemen gut umgehen zu können.

4. Förderung medienpädagogischer Forschung und Praxisforschung

Neben der Förderung medienpädagogischer Grundlagenforschung zum Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in einer Mediengesellschaft sowie zum Lehren und Lernen mit digitalen Medien, ist auch die Erforschung der Praxis des Lernens mit digitalen Medien bedeutsam und notwendig. Es geht dabei um systematische Begleitung, Dokumentation, Reflexion, Auswertung und Bewertung von Konzeptionen, Projekten und Praxisaktivitäten in medienpädagogischen Handlungsfeldern.

5. Nutzung von W-LAN an den Schulen

Der Vorrang von kabelgebundenen Datennetzen an den Schulen, sollte ergänzt werden durch eine eigenverantwortliche Entscheidung der Schulfamilie. Denn vielfach sind pädagogisch begründete und konzeptionell entwickelte Unterrichtskonzepte erarbeitet worden, die die Nutzung von W-LAN als Voraussetzung haben bzw. dadurch deutlich erleichtert würden. In den Schulen gilt es abzuwägen, wie W-LAN unter Einbeziehung medienpädagogischer, gesundheitlicher, wirtschaftlicher, sozialer und inhaltlicher Faktoren verantwortungsvoll genutzt werden kann.

6. BYOD statt Handyverbot

Im Rahmen der digitalen Bildung soll zusätzlich der Einsatz von schülereigenen Geräten (bring-your-own-device) im Unterricht ermöglicht werden. Das ungeheure Potenzial, welches der Einsatz von eigenen mobilen Geräte mitbringen kann, kann so gewinnbringend für den Unterricht einsetzt werden. Wir wollen den Schulen einen Vertrauensraum geben, anstatt diese zu nötigen ein Verbot zu untergraben. Mittlerweile gibt es keine Spaltung mehr zwischen Haushalten mit und ohne digitaler Ausstattung – und diesbezüglich zwischen „bildungsfern“ und „bildungsnah“ – aber es gibt Unterschiede in der qualitativen Nutzung. Während die eine Gruppe die digitalen Medien primär als Spiel- und Kommunikationsgerät nutzt, nutzt die andere Gruppe die Geräte auch zum Lernen oder Arbeiten. Die Befürchtungen, dass hier SchülerInnen benachteiligt werden, die keine oder schlechtere Geräte benutzen, können also ausgeräumt werden. Umso mehr besteht bei dem BYOD- Ansatz die Chance, das Nutzungsverhalten zu thematisieren und die Möglichkeiten digitaler Medien aufzuzeigen.

7. Finanzierung: Sonderprogramm Schule digital – Schulen bevorzugen!

In den kommenden Jahren muss die Bildungspolitik stärker unter dem Blickwinkel der Digitalisierung betrachtet und die Digitale Agenda in den Haushalten verankert werden. Für den Breitbandausbau an Schulen, die IT-Ausstattung und die Lehrkräftefortbildung können 11 Millionen Euro veranschlagt werden. Die Mittel sollen schrittweise aus der Maßnahme zur Breitbandförderung in Bayern gespeist werden. Dabei sollen die Richtlinien so angepasst werden, dass Orte mit Schulen zuerst gefördert werden.