28. Juni 2009

Landwirtschaftliche Privilegierung von Flächen im Außenbereich

Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Ludwig Hartmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 22. Mai 2009, mit den Antworten des Staatsministeriums des Innern vom 28.06.2009 (kursiv dargestellt)

Ein Landwirt aus Pöcking hat bei der Gemeinde Starnberg den Antrag auf Privilegierung zum Bau eines Pferdebetriebes im Ortsteil Percha gestellt. Bei der beantragten Fläche handelt es ich um ein Gebiet, das zugleich Fortpflanzungsstätte des sich auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten befindlichen Kiebitzes ist. Laut Stellungnahme an die Stadt Starnberg vom 26.3.2009 erteilte die Regierung von Obb. der Stadt Starnberg trotzdem eine Befreiung nach § 62 BNatSchG  für das angefragte Gebiet, über welche sie selber verfügen kann. Die Gemeinde sowie das Landratsamt Starnberg haben sich gegen die Befreiung ausgesprochen, jedoch hat das Landratsamt in eine Vorabprüfung des Antragsstellers eingewilligt. Dieser selbst hat gegen die Ablehnung des Bauantrages geklagt.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Staatsregierung:

Die Schriftliche Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit den Staatsministerien für Umwelt und Gesundheit sowie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wie folgt:
Vorbemerkung:
Am 03.06.2005 beantragte der Bauherr die Baugenehmigung zur Errichtung eines Reiterhofes mit Reithalle, Stallgebäuden, Lagerhalle, Longierhalle, Wirtschaftsgebäude mit Pferdepflegerwohnung und eines Betriebsleiterhauses mit Doppelgarage auf den im Außenbereich und im Geltungsbereich der Landschaftsschutzgebietsverordnung „Starnberger See-Ost“ liegenden Grundstücken der Gemarkung Percha. Die Stadt Starnberg hat am 28.07.2005 ihr Einvernehmen zu dem Bauantrag unter den Voraussetzungen erteilt, dass das Vorhaben privilegiert, seine Erschließung gesichert ist und eine Befreiung vom Veränderungsverbot der Landschaftsschutzgebietsverordnung erteilt werden kann. Das Amt für Land
wirtschaft und Forsten Weilheim hat am 18.01.2006 bestätigt, dass das Vorhaben einem landwirtschaftlichen Betrieb dient.
Am 27.03.2006 lehnte das Landratsamt Starnberg die Erteilung der Baugenehmigung mit der Begründung ab, dem Vorhaben würden öffentliche Belange entgegenstehen, da gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Baugesetzbuch (BauGB) die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt und das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet werde und das Vorhaben im Widerspruch zu den Regelungen der Landschaftsschutzgebietsverordnung stehe. Gegen diese Ablehnung hat der Bauherr Widerspruch erhoben und im Widerspruchsverfahren den Baugenehmigungsantrag auf einen Vorbescheidsantrag zur Klärung der planungsrechtlichen Zulässigkeit der Stallungen und Nebenanlagen reduziert. Am 15.01.2008 wurde auf Weisung der Regierung von Oberbayern der Vorbescheid durch das Landratsamt erteilt. Gegen den Vorbescheid hat die Stadt Starnberg Klage zum Bayer. Verwaltungsgericht München erhoben, über die bislang noch nicht entschieden ist. Die Stadt Starnberg hat am 26.07.2007 beschlossen, zur Realisierung des Vorhabens einen Bebauungsplan aufzustellen. Gleichzeitig wurde eine Veränderungssperre beschlossen. Wegen des Bestehens der Veränderungssperre und einer Nichtvereinbarkeit mit der Bauleitplanung der Stadt Starnberg lehnte das Landratsamt mit Bescheid vom 26.11.2007 einen Bauantrag vom 06. und 09.07.2007 ab, der das gleiche Vorhaben nur an anderer Stelle vorsah. Der Bauherr reichte hiergegen Klage zum Bayer. Verwaltungsgericht München ein, über die ebenfalls noch nicht entschieden ist. Dem Landratsamt liegen derzeit noch zwei weitere Bauanträge vor, die hinsichtlich Standort und Dimension des Vorhabens geringfügig von den beiden o. g. Anträgen abweichen und das Ziel verfolgen, eine Ausnahme von der Veränderungssperre zu ermöglichen. Über diese Anträge ist noch nicht entschieden. Die Stadt Starnberg hat ihr Einvernehmen zu beiden Anträgen verweigert.

1. Wie beurteilt die Staatsregierung den Verlauf des Genehmigungsverfahrens der Privilegierung der Außenfläche im Ortsteil Percha angesichts der Tatsache, dass trotz Vorhandensein von Fortpflanzungsstätten des Kiebitzes durch die Regierung von Obb. eine Befreiung für die beantragte Fläche ausgesprochen wurde?
Zu 1.:
Gegenstand der Genehmigungsverfahren war bzw. ist im vorliegenden Fall jeweils ein Reiterhof auf den im Außenbereich liegenden Grundstücken der Gemarkung Percha. Das Vorhaben ist nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB als privilegiertes Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig, wenn es einem landwirtschaftlichen Betrieb dient, seine ausreichende Erschließung gesichert ist und ihm öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 BauGB nicht entgegenstehen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass immer nur jeweils konkrete Bauvorhaben im Außenbereich privilegiert sein können, keinesfalls, wie es die Fragestellung impliziert, Außenbereichsflächen an sich. Nach den eingereichten Unterlagen handelt es sich bei dem geplanten Reiterhof um ein privilegiertes Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB. Der Erteilung des Vorbescheids am 15.01.2008 lag die auf eine umfassende Ortseinsicht gestützte Entscheidung der Regierung von Oberbayern zugrunde, dass dem Vorhaben Belange des Naturschutzes als öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB nicht entgegenstehen. Die Problematik einer möglichen Kiebitzfortpflanzungsstätte wurde erst im Laufe des Jahres 2008 bekannt und wird im Übrigen nicht im Vorbescheidsverfahren, sondern im Verfahren nach § 62 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) abgearbeitet. Die Regierung hat mit Schreiben vom 26.03.2009 im Rahmen des laufenden Bauleitplanverfahrens eine Befreiung von den Verboten des § 42 BNatSchG in Bezug auf die inzwischen deutlich gewordene Problematik der Kiebitzfortpflanzungsstätte in Aussicht gestellt. Hintergrund für dieses Vorgehen ist, dass eine Bauleitplanung, die in einem Bereich erfolgen soll, in dem sich geschützte Arten aufhalten, nur realisiert werden kann, wenn eine Befreiung gemäß § 62 BNatSchG möglich ist (sog. Planung in eine Befreiungslage). Die Inaussichtstellung der Befreiung durch die Regierung von Oberbayern ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

2. Wie kann der Schutz von anderen Fortpflanzungsstätten des Kiebitzes im Raum Starnberg auf alternativen Standorten, wie Seefeld-Hechendorf, als hinreichende Begründung der Regierung von Obb. für die Befreiung des beantragten Gebiets in Percha dienen, wenn es sich bei der Vogelart um Tiere von der Rote Liste und damit in jedem einzelnen Brutfall unbedingt schützenswerten Vögeln handelt?
Zu 2.:
Nach § 62 Satz 1 BNatSchG – Befreiungen – kann von den Verboten des § 42 BNatSchG – hier: Schutz der Fortpflanzungsstätten nach § 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG – auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn die Durchführung der Vorschrift im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde. Durch Nebenbestimmungen kann dabei im Falle der Erteilung der Befreiung sichergestellt werden, dass der Betroffene etwa durch Ersatzmaßnahmen gleichwertige Zustände wiederherstellt (siehe § 62 Satz 2 BNatSchG und Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des BNatSchG [Drs. 16/5100]). Die Regierung von Oberbayern hält hier geeignete Maßnahmen zur Stützung einer anderen Fortpflanzungsstätte des Kiebitzes im Landkreis für erforderlich, die sogar wesentlich günstigere Voraussetzungen für eine langfristige Stabilisierung der Population bieten und damit den Belangen des Artenschutzes besser Rechnung tragen.

3. Warum liegt im vorliegenden Fall keine Beeinträchtigung öffentlicher Belange nach §35, Abs. 3, 5. BauGB vor, da eindeutig die Belange des Naturschutzes betroffen sind?
Zu 3.:
Wie in der Antwort zu Frage 1 dargestellt, sind privilegierte Vorhaben wie das Vorliegende im Einzelfall unter anderem zulässig, wenn ihnen öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Eine bloße Beeinträchtigung öffentlicher Belange führt dagegen nicht zur Unzulässigkeit, was bei sog. sonstigen Vorhaben der Fall wäre. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 und 2 verwiesen.

4. Wie hat sich der Bestand des Kiebitzes in den letzten Jahren im Raum Starnberg entwickelt?
Zu 4.:
Grundsätzlich ist festzustellen, dass bayernweit der Kiebitz in seinem Bestand und in seiner Verbreitung in den letzten Jahren stark abgenommen hat. Im Raum Starnberg sind aber keine Schwerpunktvorkommen des Kiebitzes bekannt. Es hat bislang auch kein Monitoring zum Kiebitz im Raum Starnberg stattgefunden. Insofern können auch keine verlässlichen Angaben zur Bestandsentwicklung im Raum Starnberg gemacht werden. 

5. Erfüllt der Bauantragssteller die nach „LFL Tierhaltung“ vorgegebenen Kriterien, wie
a) Kenntnisse des Betriebsleiters in der Pferdehaltung, Pflege, Fütterung sowie der umweltschonenden Flächenbewirtschaftung
b) Flächenbindung von 0,3-1 ha landwirtschaftliche Nutzfläche pro Pferd zur Futtergewinnung
c) Eines nachhaltigen, auf folgende Generationen angelegten landwirtschaftlichen Betriebs?
Zu 5.:
Die in der Frage 5 a bis 5 c aufgezählten Kriterien sind maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob ein landwirtschaftlicher Betrieb im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB vorliegt. Im Baugenehmigungsverfahren prüft das jeweils zuständige Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten – hier das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Fürstenfeldbruck –, ob die Kriterien erfüllt sind. Dieses hat bestätigt, dass die geforderten Maßgaben in 5 a bis 5 c eingehalten werden. 

6. Welche konkreten Einzelbauvorhaben sind in dem Projekt geplant, wie
a)Anzahl der Ställe für wie viele Pferde,
b) Anzahl und Größe der Reitplätze, Reithallen, Maschinenhallen,
c) sonstige Bauvorhaben wie Wohnhaus, Pflegerhaus, Parkplätze, Weideeinzäunungen?
Zu 6. a) bis 6. c):
Das Bauvorhaben umfasst in seiner Grundkonzeption Reithalle, Reitplatz, Stallgebäude, Longierhalle, Lagerhalle, Wirtschaftsgebäude mit Pferdepflegerwohnung und ein Betriebsleiterhaus mit Doppelgarage. Das Gesamtvorhaben ist auf die Haltung von 84 Pensionspferden ausgerichtet und hat nach den Stellungnahmen des Amtes für Landwirtschaft und Forsten die hierfür notwendige Dimensionierung. Wie dargestellt ist das Vorhaben Gegenstand mehrerer Bauanträge unterschiedlichen Inhalts, wobei unklar ist, welchen der Bauherr letztendlich verfolgen wird. Eine exakte Angabe der Gebäudezahl und der jeweiligen Grundflächen ist daher derzeit nicht möglich. 

7. Sind Projekte im Landkreis Starnberg innerhalb der letzten 3 Jahre bekannt, bei denen die Privilegierung erteilt wurde bzw. bereits in Aussicht gestellt wird, obwohl diese nicht von einem Landwirt beantragt wurde?
Zu 7.: 
Bauaufsichtliche Genehmigungen werden grundsätzlich nicht nach der Profession des Antragstellers erfasst. Voraussetzung für die Genehmigung landwirtschaftlicher Vorhaben im Außenbereich ist, wie dargestellt, dass die konkreten Anlagen einem landwirtschaftlichen Betrieb dienen. Dabei ist nicht notwendigerweise der Beruf des Landwirts Voraussetzung; nach der Rechtsprechung reicht vielmehr die zur Führung des konkreten Betriebes jeweils erforderliche Sachkunde, deren Vorliegen durch die Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Einzelfall festgestellt wird. Im Übrigen geht die Staatsregierung davon aus, dass die Landratsämter Genehmigungen nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen erteilen.

Anbei habe ich Ihnen meine Schriftliche Anfrage und die Antwort der Staatsregierung als pdf-Datei im Drucksachenlayout des Bayerischen Landtags hinterlegt.

Related Files