11. Januar 2018

Internet mit Courage – solidarisch gegen Online Hate-Speech

Positionspapier unserer Grünen Landtagsfraktion
Beschlossen auf unserer Winterklausur am 11.01.2018 in Bayreuth

Das Netz ist keine Kuschelzone. Hier wird gerne gehasst, beleidigt, herabgewürdigt, diskriminiert und selbst offen zu Gewalt aufgerufen. Zwei Drittel aller InternetnutzerInnen sind 2017 im Netz mit Online Hate-Speech in Berührung gekommen, weitaus mehr als noch im Vorjahr. Bei ca. 90 % der deutschen Bevölkerung, die inzwischen im Netz präsent ist, ist das ein sehr großer Teil unserer Gesellschaft und zeigt die Tragweite des Problems.

Betroffen von Online Hate-Speech sind Jugendliche mehr als Erwachsene, Mädchen und Frauen mehr als Jungen und Männer. Homo- und Bisexuelle werden besonders gerne gehated und die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) hat eine starke Zunahme rassistischer und hetzerischer Äußerungen im Netz festgestellt. Und mit dem Journalismus wird zunehmend ein ganzer Berufsstand zum Feindbild .
Offline-Diskriminierung wird online weiter praktiziert, oft noch hemmungsloser, da der Hass anonym geäußert werden kann. Hate-Speech ist eine Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und meist sind es Männer, die Hass-Kommentare schreiben. Es handelt sich um kein neues Phänomen, der Hass war immer schon da. Nur die Möglichkeiten ihn auszuleben, sich zu Hass-Gruppen zusammenzurotten und Hass in Sekunden weltweit zu verbreiten, haben sich geändert. Die Kultur, die in sozialen Medien wie Facebook und Twitter und in Kommentarfeldern von Online-Medien und Blogs gelebt wird, ist hart. Diese Feststellung ist kein Auswuchs der Hypersensibilität von Kulturpessimist*innen wie ein Versuch von Microsoft mit einem lernfähigen Chatbot namens Tay zeigte. Tay lernte die vorherrschende Twitter-Kultur sehr schnell. Aus dem freundlichen Chatbot wurde innerhalb von Stunden ein rassistischer Sexist, der den Holocaust leugnete und Verschwörungstheorien unterstützte – Microsoft sah sich gezwungen Tay abzuschalten.

Etwas eint die Verfasser*innen von Hasskommentaren: sie schreiben gegen unsere liberale Gesellschaft an und berufen sich dabei auf die Meinungsfreiheit. Ihr Ziel ist, Menschen zum Schweigen zu bringen. Und die Angst, die Hilflosigkeit und manchmal auch nur der Frust der Opfer, lässt sie zu oft ihr Ziel erreichen. Die im Netz laut vernehmbaren Stimmen sind dann nur noch die der Hass-Kommentator*innen. Diese sind dabei teils nicht nur in ihren Kommentaren un-menschlich sondern in ihrer kompletten Existenz. Denn oft handelt es sich gar nicht um reale Personen, sondern um Social Bots, d.h. Chat-Software, deren Programm Hate-Speech ist. Formen des Hasses werden inzwischen nicht mehr ausschließlich gegen Einzelpersonen oder bestimmte soziale Gruppen sondern für gezielte Propaganda eingesetzt.

Oft begeben sich die Hater*innen mit ihren Äußerungen in den Bereich strafbarer Drohungen. Doch schon vor Betreten des strafbaren Bereichs müssen wir eine Grenze ziehen, die deutlich macht, was wir nicht tolerieren. Niemand muss oder darf Ausgrenzung, Diskriminierung, verdeckten oder offenen Rassismus aushalten. Das Netz ist keine Kuschelzone und es muss auch keine werden. Aber die Freiheit aller, Meinungen zu äußern und zu verbreiten als Grundvoraussetzung eines öffentlichen Diskurses in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft darf nicht gefährdet werden. Das Netz ist Teil unserer gesamtgesellschaftlichen, demokratischen Öffentlichkeit.

Fast 60% der 14- bis 29-Jährigen und über 40% der 30- bis 49-Jährigen nutzten 2017 Facebook mindestens wöchentlich und knapp 90% der Bevölkerung in Deutschland sind inzwischen online . 30 Mio. FB-Nutzer*innen waren monatlich in Deutschland aktiv und 15 Mio. Instagramnutzer*innen . Diese Zahlen verdeutlichen sehr eindrücklich, dass Diskussionsprozesse, die im Netz geführt werden, längst ganz wesentlich zur Meinungsbildung in unserer Demokratie beitragen. Die Kultur, die im Netz gelebt wird, hat Rückwirkungen auf unser Zusammenleben und kann den Zusammenhalt der Gesellschaft online wie offline beschädigen.

Die Meinungswirklichkeit im Netz stirbt, wenn die vermeintlich Schwachen, die Vernünftigen, die Weltoffenen zum Schweigen gebracht sind. Daher haben wir alle die Verantwortung dafür zu sorgen, dass der Online-Diskurs auch als Diskurs geführt wird und der Hass weder die Meinungs- noch die Bewegungsfreiheit im digitalen Raum einschränkt.

Das Phänomen Online Hate-Speech werden wir nur mit einem gesamtgesellschaftlichen Ansatz und unter Zusammenarbeit von Politik, Medienaufsicht, Bildungseinrichtungen und Unternehmen lösen können.

Politische Bildung ist ein wichtiger Grundpfeiler, um die Grundlinien des Diskurses in einer Demokratie zu verdeutlichen und Online Hate-Speech vorzubeugen. Es geht darum, Dialoge zu führen, das Für und Wider darzulegen und unterschiedliche Meinungen zuzulassen. Oft wird die abverlangte Toleranz schmerzen, doch das müssen wir aushalten. Die politische Bildung muss viel präsenter werden und auch finanziell eine weit größere Unterstützung erfahren. Wir Grüne haben dafür unter anderem eine Aufstockung der Haushaltsmittel für „Schulische Angebote zur Demokratieförderung“ von jährlich 1 Mio. Euro gefordert.

Doch politische Bildung kann nicht die auflodernden Brände in den Kommentarspalten löschen. Ihre Wirkung kann sie nur langfristig entfalten. Akute Reaktionen auf Online Hate-Speech sind ebenso wichtig wie die langfristige Prävention. Wir müssen deutlich machen, wie das einige Medien bei ihren Online-Kommentierungsmöglichkeiten bereits umsetzen, dass es immer um Auseinandersetzung in der Sache gehen muss und wir Diffamierungen von Personen oder Gruppen als Gesellschaft nicht dulden. Das darf kein trockener Vorsatz sein, sondern muss gelebt werden von jeder und jedem. Auf die Gruppe als Regulativ dürfen wir uns nicht verlassen, wenn es darum geht, Opfern von Online Hate-Speech zu helfen. Und „Don’t feed the troll!“, d.h. Online Hate-Speech zu ignorieren, ist keine Lösung.

Denn durch diese Strategie hatten Hasskommentator*innen viel zu lange die Möglichkeit, ungestört ethische Grenzen zu überschreiten und ihre Botschaften unwidersprochen zu verbreiten. Im Netz ist es ebenso notwendig, aufmerksam und couragiert zu sein, wie überall sonst. Wir müssen bei Kindern eine sachliche, offene, wertschätzende Debattenkultur fördern und sie zu souveränen Netznutzer*innen erziehen. Sie müssen, genauso wie Erwachsene, wissen, welche Daten sie von sich preisgeben dürfen, ohne sich unnötig verwundbar zu machen und wie sie mit Online Hate-Speech umgehen können, sollten sie selbst zu Opfern werden. Wir alle müssen wissen, welche Formen der Gegenrede möglich sind, wann noch mit Humor geantwortet werden kann und wann man sich lieber Hilfe von Dritten holt bzw. Inhalte meldet.

Wir Grüne fordern schon lange eine „Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ sowie eine „Bayerische Antidiskriminierungsstelle“, an die sich auch Opfer von Online Hate-Speech wenden können. Darüberhinaus muss die Zivilgesellschaft gestärkt werden – denn was ich „offline“ stärke, kann sich dann auch „online“ zu Wort melden.

Inhalte zu melden, darf keine weitere Hürde darstellen, die zu Verunsicherung führt. Dafür muss die Polizei auch im Netz weit präsenter und für alle leicht ansprechbar werden – insbesondere in den sozialen Netzwerken. Deswegen muss es in Bayern auch eine virtuelle Polizeiwache geben, bei der auch online Strafanzeigen gestellt werden können. Außerdem müssen wir in der Lage sein, zu erkennen, wann wir mit einem Menschen diskutieren und wann wir einem Roboter gegenüberstehen, der darauf programmiert ist, uns zu provozieren. Social Bots können zur Generierung und Aufbereitung von Inforamtionen durchaus hilfreich sein. Problematisch wird es dann, wenn als Fakeaccounts getarnte Bots zum Instrument der Meinungs- und Stimmungsmache werden. Deshalb müssen Social Bots gekennzeichnet werden. Um darüber hinaus diese Mediensouveränität zu erreichen, müssen wir weit mehr in Medienkompetenzangebote investieren und sicherstellen, dass Eltern, Erzieher*innen, Pädagog*innen und Lehrkräfte über das nötige Wissen verfügen, dieser Aufgabe nachkommen zu können.

Sich allein auf Demokratieerziehung und Medienkompetenzvermittlung zu verlassen, wird dem Problem aber nicht gerecht. Rechtswidriges Verhalten muss auch im Netz Konsequenzen für die Verfasser*innen von Hasskommentaren haben. Wir wollen eine personell gut ausgestattete Polizei und Justiz, die auch regelmäßig Zeit hat, sich in diesem Themenbereich weiterzubilden. Die Rechtsdurchsetzung muss dabei weiterhin in den Händen der Justiz liegen und darf nicht in die Hände einzelner Unternehmen abgegeben werden. Dennoch haben Unternehmen auch eine Mitwirkungspflicht, wenn sie von offensichtlich strafbaren Inhalten Kenntnis erlangen, sie können sich hier nicht komplett ihrer Mitverantwortung entziehen.

Unsere Rechtsordnung kennt Vorschriften, die das Phänomen „Online Hate-Speech“ mit umfassen, auch wenn sie es nicht explizit benennen. Doch damit eine effektivere Strafverfolgung krimineller Äußerungen durch unsere Behörden möglich ist, müssen wir diese weit besser ausstatten und die Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren konkretisieren. So kann die Staatsanwaltschaft die fraglichen Netzinhalte genauer prüfen und den Betroffenen zu ihrem Recht verhelfen. Derzeit werden zu viele Verfahren einfach eingestellt. Wir fordern daher eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Online-Hasskriminalität.

Das Netzdurchsetzungsgesetz (NetzDG) stellt einen neuen Versuch dar, über die bisherige Gesetzeslage hinaus, Online Hate-Speech wirksam zu bekämpfen. Das Gesetz verpflichtet Plattformen wie Facebook, You Tube und Twitter, die als Hassinkubatoren hauptsächlich genutzt werden, „offensichtlich rechtswidrige“ Inhalte innerhalb von 24 Stunden nachdem eine Beschwerde eingegangen ist, zu löschen. Andere rechtswidrige Inhalte müssen innerhalb von sieben Tagen gelöscht werden und alle drei Monate sollen die Firmen in einem Bericht transparent machen, wie sie mit den Beschwerden umgegangen sind und was sie gelöscht haben. Kommen sie diesen Pflichten nicht nach, drohen Bußgelder.

Die Aufforderung an die Plattformbetreiber, sich an deutsche Gesetze zu halten, darf nicht per se als Zensur gewertet werden. Es ist der lange überfällige Schritt, bestehende Gesetze im digitalen Raum durchzusetzen. Die Sozialen Netzwerke waren nach der bisherigen Rechtslage bereits verpflichtet, klar rechtswidrige Inhalte unmittelbar zu löschen. Die tatsächliche Ausgestaltung des NetzDG, dessen Ziel war, endlich Rechtsunsicherheiten zu beseitigen, hat jedoch unsere Befürchtungen und unsere Kritik bestätigt. Statt eine effektivere Verfolgung von Online-Hate-Speech zu ermöglichen, schafft es Anreize für die Betreiber, Overblocking zu betreiben, um den Arbeitsaufwand gering zu halten und Bußgelder zu vermeiden. Bei gemeldeten Verstößen zu prüfen, ob sie strafbar sind oder kaum aushaltbar, aber noch von der Meinungsfreiheit gedeckt, ist eine komplizierte juristische Abwägung, die Zeit und damit die Plattformbetreiber auch Geld kostet. Der Reiz zu löschen darf für Facebook, You Tube und Twitter nicht größer sein als der Reiz, Recht und Meinungsfreiheit einzuhalten. Das NetzDG ist daher dringend so zu ändern, dass klare Verfahrensregeln für die Unternehmen festgelegt werden sowie Schiedsstellen eingerichtet werden, die in Streitfällen die notwendige Abwägung treffen können.

Für strafrechtlich relevante Fälle von Online Hate-Speech ist heute schon die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) der Landesmedienanstalten zuständig. Die Kompetenz in der Beurteilung von Online Hate-Speech ist hier bereits vorhanden. Wir fordern daher, den Landesmedienanstalten weitere Kompetenzen zu übertragen damit sie in ihrer Funktion als staatsferne Aufsichtsbehörden effektiv gegen Online Hate-Speech vorgehen können. Damit würde die Aufsicht nicht privaten Unternehmen überlassen und eine staatsferne Kontrolle statt eines „Wahrheitsministeriums“ wären gesichert.

Online Hate-Speech ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das sich nur lösen lassen wird, wenn wir auf vielen Ebenen dagegen vorgehen. Online Hate-Speech erfordert zuverlässig Gegenreaktionen und Konsequenzen. Wir müssen Zivilcourage und Solidarität online ebenso leben und verbal ausdrücken wie offline. Es muss jeder und jedem klar sein, dass Hass im Netz nicht toleriert wird und rechtliche Konsequenzen hat. Und noch wichtiger: jede und jeder muss die Sicherheit haben als Opfer von Online Hate-Speech nicht verloren zu sein in den Weiten des Netzes.

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Hier habe ich Ihnen unser Klausurpapier auch als gelayoutete pdf-Datei hinterlegt.