22. Oktober 2009

Atomkraftwerk Isar 1 ist überflüssig

Ludwig Hartmann (GRÜNE):
Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit der Bundestagswahl ist klar, dass die Debatte über die Zukunft der Kernenergie wieder auf die Agenda kommen wird. Dabei wird sicher wieder über verschiedene Sicherheitsfragen, Alterungserscheinungen usw. diskutiert werden. Wir möchten mit unserem heutigen Dringlichkeitsantrag diese Debatte ausdrücklich nicht führen, sondern wir wollen die Debatte aus energie- und wirtschaftspolitischer Sicht führen. Uns geht es konkret um das AKW Isar 1 bei Landshut. Bei genauer Betrachtung der energiepolitischen Situation sowohl in Deutschland als auch in Bayern kann man feststellen: Auf diesen Reaktor kann bereits heute locker verzichtet werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dies ist nicht erst seit der Wirtschaftskrise so, die zu einem verminderten Stromverbrauch um 6 % geführt hat. Auch die Zahlen aus dem Jahr 2007 und 2008 belegen, dass dieses Atomkraftwerk überflüssig ist. Ich möchte dies anhand einiger Zahlen aus dem bayerischen Wirtschaftsministerium verdeutlichen. Im Jahre 2007 ist der Anteil der erneuerbaren Energien in Bayern um sage und schreibe 12,8 % gestiegen. Das entspricht etwa 2 Terawattstunden. Parallel dazu ist der Stromexport aus Bayern auf einen neuen Höchststand von 4 Terawattstunden gestiegen. Das ist der höchste Stand seit über 20 Jahren.
Diese Entwicklung hat sich im Jahr 2008 fortgesetzt und wird auch für das Jahr 2009 erwartet. Zur Entwicklung der Stromexporte ins Ausland ist derzeit noch keine genaue Prognose möglich. So hängt es zum Beispiel von den Leitungen ab, welche Mengen an Strom überhaupt ins Ausland abgegeben werden können. Außerdem ist zu bedenken, dass sich die Wirtschaftskrise auch in den Nachbarländern ausgewirkt hat.
Eines können wir jedoch heute schon feststellen: Am heutigen Tage liegt ein Drittel der Leistung der deutschen AKW still. Das heißt, 6 von 17 AKW sind heute abgeschaltet. Das wiederum bedeutet: Von 20.500 Megawatt Atomstromleistung sind zurzeit nur 14.000 Megawatt verfügbar. Ein Drittel der Leistung der AKW ist heute nicht am Netz und wird nicht gebraucht. Das hat keine Auswirkungen auf den Strompreis. Die Stromimporte aus dem Ausland nehmen auch nicht zu.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie haben heute gemerkt, dass die Stromsicherheit zu keinem Zeitpunkt infrage stand, obwohl sechs AKW zeitgleich nicht am Netz waren. Wir sind inzwischen an einem Punkt angekommen, über den wir uns klar werden müssen. Wir haben oft genug in diesem Hause über das Thema der erneuerbaren Energien diskutiert. Wir stehen an einem Punkt, an dem wir uns entscheiden müssen. Bis jetzt haben die neueren Energien in der Regel Spitzen- und Mittellastkraftwerke ersetzt. Inzwischen sind die erneuerbaren Energien so erfolgreich, dass sie zunehmend zur Konkurrenz für die Grundlastkraftwerke werden. Diese Kraftwerke sind so schwerfällig zu regeln, dass sie nicht flexibel angepasst werden können.
Dies führt zu sehr erstaunlichen Effekten. Immer wieder kommt es vor, dass große Teile des Windkraftstroms nicht ins Netz eingespeist werden können, weil die Netze im wahrsten Sinne des Wortes von Atom- und Kohlestrom verstopft sind. Die Energiewirtschaft zahlt aber trotzdem für den Windkraftstrom, auch wenn sie ihn nicht abnimmt. Sie kann diesen Strom nicht ins Netz einspeisen, weil es für die Versorger, wirtschaftlich gerechnet, günstiger ist, Braunkohlemeiler und AKW weiterlaufen zu lassen, statt sie vorübergehend herunterzufahren.
Die Angelegenheit wird kurios, wenn man sich einmal die Strompreise an der Leipziger Strombörse ansieht. Herr Kollege Erwin Huber ist momentan leider nicht im Haus. Wir haben vor der Sommerpause länger über das Thema der negativen Strompreise debattiert. Damals wurde gesagt, dass es immer nur Minuten seien, wo dies passiere. Ich habe mir einmal die Zahlen vom Sonntag, 4. Oktober 2009, geben lassen. Erstaunlicherweise war der Durchschnittspreis für den gesamten Tag am Strommarkt in Leipzig negativ. Er lag bei 11,59 Euro pro Megawattstunde. Das entspricht 1,15 Cent für die Kilowattstunde. Bei 8 Stunden am Stück bedeutet das, der Strompreis lag bei Null oder sogar im negativen Bereich. Es geht nicht nur um kurze Zeiten. Das war an einem Sonntag, an dem man planen konnte, dass die Industrie diesen Strom gerade nicht benötigt.
Zum Schluss möchte ich noch Folgendes sagen: Wenn der negative Strompreis kommt und die großen Stromversorger die Atomkraftwerke und die Kohlekraftwerke weiterlaufen lassen – diese Versorger haben auch Kohlekraftwerke -, dann ist das energiepolitisch gesehen eine Katastrophe. Wir haben Strom aus erneuerbaren Energien, doch die Versorger nehmen ihre Kraftwerke nicht vom Netz. Für uns ist es deshalb ganz klar: Wir müssen uns für erneuerbare Energien entscheiden, und das heißt, wir müssen bestehende Grundlastkraftwerke, also Kohle- und Atomkraftwerke, vom Netz nehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Kraftwerk Isar 1 ist eines der kleinsten Atomkraftwerke und das älteste bayerische Atomkraftwerk. Nach dem Atomkonsens steht es sowieso im Jahr 2011 zum Abschalten bereit. Wir fordern: Auf Isar 1 ist ab jetzt zu verzichten, das Kraftwerk muss vom Netz genommen werden!

(Beifall bei den GRÜNEN)

(…)

Meine Zwischenbemerkung auf die Ausführungen des Kollegen Reiß (CSU):

Ludwig Hartmann (GRÜNE):
Sehr geehrter Herr Kollege,
ich habe eine kurze Frage an Sie. Sie haben richtig geschildert: Die Grundlastkraftwerke müssen heruntergefahren werden, weil der Strom aus erneuerbaren Energien vorrangig ins Stromnetz kommt. Würden Sie mir deshalb zustimmen, wenn ich feststelle, dass wir eigentlich flexiblere Kraftwerke brauchen, um die erneuerbaren Energien, wenn sie zur Verfügung stehen, verwenden zu können? Wir müssen schlagartig gegensteuern können. Stimmen Sie mir zu, dass ein Braunkohlekraftwerk oder ein Atomkraftwerk, das 11 Stunden Regelzeit hat, hierfür nicht geeignet sind?

(Beifall bei den GRÜNEN)

(…)

Meine Zwischenbemerkung auf die Rede des Kollegen Thalhammer (FDP):

Ludwig Hartmann (GRÜNE):
Sehr geehrter Herr Kollege Thalhammer,
habe ich Sie jetzt richtig verstanden:
Für Sie sind alle AKW, egal welcher Baureihe, egal, in welchem Jahr gebaut, gleich sicher. Habe ich Sie richtig verstanden? Sie machen keinen Unterschied, ob ein AKW schon 30 Jahre auf dem Buckel hat oder erst 22. In den Jahren seither ist doch die Entwicklung weitergegangen, ist man in der Forschung weitergekommen, hat man das optimiert. Für Sie ist ein AKW immer gleich sicher, das in Deutschland läuft. Habe ich Sie da richtig verstanden?

(Zurufe von den GRÜNEN)

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In der angefügten pdf-Datei können Sie den gesamten Diskussionsverlauf als Auszug des Plenarprotokolls nachlesen. Unser Dringlichkeitsantrag wurde leider in namentlicher Abstimmung mit 53 zu 107 Stimmen bei einer Enthaltung abgelehnt. Das detaillierte Ergebnis finden Sie am Ende der angehängten pdf-Datei.

Hier geht es zu einem Videomitschnitt meines Redebeitrags und des gesamten Diskussionsverlaufs.

An dieser Stelle finden Sie die Videoaufzeichnung meiner ersten und zweiten Zwischenbemerkung.

Hier können Sie den gesamten Diskussionsverlauf, den Antragstext und das Abstimmungsergebnis nachlesen.

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