12. März 2015

10H: Unsere Klage gegen das Windkraftverhinderungsgesetz ist eingereicht

Bereits im Sommer 2014 haben zahlreiche namhafte Expertinnen und Experten im Landtag deutlich Stellung genommen: Das 10H-Gesetz der Staatsregierung sei Gift für die Energiewende. Wenn Windräder künftig im Schnitt 2000 Meter von Wohnhäusern entfernt sein müssen, gebe es in Bayern keine Flächen mehr.

Aber nicht nur, dass die 10H-Regelung die den Windkraftausbau in Bayern aushebelt, sie ist nach Auffassung unserer Fraktion und diverser ExpertInnen darüber hinaus rechtswidrig. Nach eingehender Prüfung des Gesetzes stand letztendlich ein angesichts der Gesetzes-Genese wenig überraschendes Ergebnis: 10H ist willkürlich, unverhältnismäßig und wurde unter Missachtung von Oppositionsrechten durch das Parlament gepeitscht.

Für uns Grüne bedeutet die Energiewende saubere und sichere Energie, bürgerfreundlicher Windenergieausbau und Rechtssicherheit für die Kommunen. Dass dies nicht für alle Parteien im bayerischen Landtag gilt, davon konnten wir uns im Laufe des letzten Jahres angesichts der „10H-Farce“ eindrucksvoll überzeugen (hier die Chronologie der Windenergie-Blockade).

Um dem rechtlichen Bedenken gegenüber der unverhältnismäßigen und willkürlichen Regelung Genüge zu tun, reichten die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Freien Wählern Anfang März 2015 Klage gegen das Gesetz beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof ein. Unterstützt werden die Fraktionen beim Klageverfahren vom Verfassungsrechtler Prof. Dr. Josef Franz Lindner von der Universität Augsburg.

Die rechtlichen Angriffsflächen, die das kopflos zusammengeschusterte Gesetz bietet, sind so groß wie die diesbezügliche Ignoranz der CSU. Folgende Sachverhalte, die im Widerspruch zur Bayerischen Verfassung bzw. zu Bundesrecht stehen, sind demnach zu beanstanden:

 

1.     Fehlende Gesetzgebungskompetenz

Die sogenannte Länderöffnungsklausel greift für einzelne Bestandteile des 10H-Gesetzes nicht. Der Landesgesetzgeber ist nach wie vor an bestehende Grundsatzentscheidungen des Bundesgesetzgebers im Baugesetzbuch gebunden, in diesem Fall an die Privilegierung der Windenergie nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB (Baugesetzbuch). Diese missachtet das 10H-Gesetz, indem es den Abstand zwischen Windenergieanlagen und Wohnbebauung so ausgestaltet, dass dies einer faktischen Entprivilegierung der Windkraft gleichkommt. Darüber hinaus wird das bundesrechtlich vorgesehene Planungssystem für Windenergieanlagen im Außenbereich faktisch beseitigt und den Nachbargemeinden ein Beteiligungsrecht (Vetorecht) zugestanden, für das nach Bundesgesetzgebung kein Raum ist.

Nicht nur in bundes- und landesgesetzliche Regelungen, auch in kommunale Obliegenheiten greift 10H rechtswidrig ein. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie wird durch 10H in mehrfacher Hinsicht verletzt:

  • Durch die quasi vollständige Entprivilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich wird verhindert, dass die Gemeinden die Ausweisung von Konzentrationsflächen für Windenergie in Teilflächennutzungsplänen vornehmen können. Dadurch greift der Landesgesetzgeber unzulässig in die Planungshoheit der Gemeinden ein.
  • 10H blockiert auch die Anwendung der Konzentrationsflächen in bereits bestehenden Teilflächennutzungsplänen. Diese bleiben zwar in Kraft, können aber ihre Wirkung aufgrund der pauschalen Abstandsregelung nicht mehr voll entfalten. Da den Nachbargemeinden ein Widerspruchsvorbehalt unabhängig von sachlichen Kriterien eingeräumt wird verstößt 10H insofern gegen die Bestandskraft von Konzentrationsflächenausweisungen. Bestehende FNP bleiben nur gültig (und 10H greift hier somit nicht), wenn die Nachbarkommune, deren Wohnbebauung weniger als 2000 Meter von bestehenden Konzentrationsflächen im Gebiet der Planungsgemeinde entfernt ist, nicht bis zum 21.5.2015 Widerspruch einlegt. Dies steht der Planungsfreiheit der Kommunen entgegen und ist somit als mittelbarer Eingriff ins kommunale Selbstverwaltungsrecht zu werten.
  • Ein weiterer Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie findet sich in der Regelung, welche die Aufstellung von Bauleitplänen für Windenergieanlagen, die den Mindestabstand zu Wohngebäuden der Nachbargemeinde nicht einhalten, vom „Hinwirken“ auf eine einvernehmliche Festlegung mit betroffenen Nachbargemeinden abhängig macht. Die Formulierung, hierbei sei auf ein „Einvernehmen“ zwischen den betroffenen Nachbargemeinden „hinzuwirken“, verändert widerrechtlich den Sinn des § 2 Abs. 2 BauGB, der eine Abstimmungspflicht der Bauleitpläne benachbarter Gemeinden vorsieht. Kommt eine einvernehmliche Lösung mit der Nachbargemeinde nicht zustande, wäre ein ungeachtet dessen aufgestellter Bebauungsplan bzw. Flächennutzungsplan womöglich rechtswidrig. Die rechtlichen Auswirkungen dieser – unzulässigen – Verschärfung des üblichen kommunalen Abstimmungsgebots sind überhaupt nicht absehbar. Folglich könnte die planende Gemeinde in eine unzulässige Fremdbestimmung geraten, der die in Art 11 Abs. 2 BV (Bayerische Verfassung) geschützte Planungsfreiheit entgegensteht.

2. Verletzung von Grundrechten potenzieller Betreiber von Windkraftanlagen

Des Weiteren greift 10 H in die Grundrechte potenzieller Betreiber von Windkraftanlagen ein.

Erstens liegt eine Verletzung der Eigentumsgarantie nach Art. 103 BV vor. Angesichts des Mindestabstands der Windradhöhe mal zehn ist es rechtlich unmöglich, Windenergieanlagen in der heute üblichen und für eine effiziente Nutzung nötigen Höhe (rund 200 Meter) zu bauen. Der eigentumsrechtlich geschützte Raum für die Errichtung von Windenergieanlagen wurde faktisch nahezu vollständig gesperrt. Ein gesetzlicher Eingriff wie 10H ist jedoch für eine optimale Flächen- und Raumnutzung, welche die Bevölkerung vor optischer Bedrängung durch Windräder schützt, rechtlich weder erforderlich noch verhältnismäßig. Zum einen stehen die entsprechenden planungs- und baurechtlichen Instrumente bereits zur Verfügung, zum anderen ist die pauschale Festlegung des Abstandes, der mehr als das Dreifache dessen beträgt, was Verwaltungsgerichte üblicherweise zur Vermeidung optischer Bedrängung ansetzen, überzogen und unangemessen.

Zweitens liegt auch eine Verletzung der Berufsfreiheit nach Art. 101 BV vor. Der Betrieb von Windenergieanlagen ist durch genannten Artikel der Bayerischen Verfassung geschützt, da dieser nach Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nicht nur die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern auch die Handlungsfreiheit in beruflicher und wirtschaftlicher Hinsicht abdeckt. Dazu zählt auch der kommerzielle Betrieb von Windkraftanlagen mit einer ökonomisch sinnvollen Höhe.

 

3. Fehler im Gesetzgebungsverfahren

Die Minderheitenrechte, die uns nach der Bayerischen Verfassung zustehen, wurden bei der Entstehung des Gesetzes grob verletzt. Während der Ausschussberatungen im federführenden Wirtschaftsausschuss des Landtags wurde die Vorschrift des § 173 GeschOLT (Geschäftsordnung des Bayerischen Landtages) missachtet, welche Ausschussanhörungen regelt. Die von unserer Fraktion angesichts substanzieller, nach der ersten Expertenanhörung eingebrachter Änderungsanträge geforderte erneute Anhörung zu den juristischen Folgen der 10H-Regelung musste uns die CSU zugestehen. Allerdings wurde das Gesetz verabschiedet, bevor die Anhörung stattfinden konnte. Ein entsprechender Passus, der dieses Vorgehen legitimieren soll, wurde erst nachträglich in die GeschOLT aufgenommen.

 

Mit einer Entscheidung über die Klage ist erwartungsgemäß in etwa einem Jahr zu rechnen. Neben unserer Klage, die hier vollständig eingesehen werden kann, ist zudem eine Popularklage der Klagegemeinschaft „Pro Windkraft“, vertreten unter anderem durch den ehemaligen grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell, anhängig.

Letztlich sind wir uns mit „Pro Windkraft“ völlig einig: Das 10H-Gesetz der Staatsregierung wird juristisch keinen Bestand haben.